Andrew Warhola sagt Wahrheiten

■ In den Deichtorhallen wird die Sammlung des Schweizers Bischofsberger gezeigt / Eindimensionale Präsentation der Pop-Idol-Ikone Von Gunnar F. Gerlach

Über 1OO Arbeiten des profanierten Heiligen der Pop-Art, Andy Warhol, sind ab heute in den Deichtorhallen zu sehen. Die gezeigten Werke bieten einen seltenen Einblick in die private Sammlung eines Schweizers. Die Züricher Sammlung von Bruno Bischofsberger möchte einen Beitrag leisten zur Erschließung des Warholschen Universums in den Jahren 1962 bis 1972.

Andy Warhol, 1928 in Pittsburg als Andrew Warhola geboren, beginnt startet als Werbegraphiker. Ab 1962 beginnt seine Karriere – erst als als Maler, später als Erfinder seriengraphischer Bilder, Filmemacher, Polaroid-Genie und schließlich der stilisierte Sammler mit erlesenem Geschmack. Er gab den Leuten, was sie wollten, und erhielt dafür, was er brauchte: Dollars.

Warhols kunsthistorische Leistung besteht darin, Gegenstände aus der Realität zu übernehmen und über eine medienwirksame Reflexion als bildhafte Chiffren zu verwenden. Das Pathos des Gegenstandes, der nicht um seiner selbst Willen reproduziert wird, erreicht in seinem Werk einen Höhepunkt: Wirklichkeit und Kunst werden gegeneinandergestellt.

Zweckentfremdung ist der richtige Terminus: Stars und Waren werden als Referenz an die Bildtradition der Ikonen geistig unverkäuflich gemacht, eine Gegenposition zu Warhols scheinbarer Werbewirksamkeit. So konnte er auch 1967 behaupten : „Mein Werk hat überhaupt keine Zukunft.“ Warhol spielt mit einem positivistischen Kunstbegriff, der bedingungslos wiedergibt, was dem Künstler erscheint.

Er lockt den Betrachter in die Falle seiner eigenen Wahrnehmung. Gerade die Betonung der fotografischen Oberflächlichkeit ist der Dreh, die Kunst, auf den ästhetischen Charakter des Vor-Scheins zu verweisen. Joseph Beuys erkannte dies bereits im Jahre 198O: „Selbst wenn Warhol sehr viel spricht, löscht er den Inhalt seiner Informationen aus durch tausende von Widersprüchen, die er aufbaut. Auch im Reden schweigt er.“ Dies ist bei Warhol der Gedanke einer Art geistiger Blindenschrift.Ein Appell an die vor-rationale Sinnlichkeit, die den bildüberfluteten Betrachtern der Gegenwart seit den 6Oer Jahren durch den Massenmedien-Boom verloren gegangen ist. Die kunsthistorischen Bezüge in seinen „Flowers“ von 1964 überraschen immer wieder: Zum einen kann es als Hommage an Matisse gelesen werden, zum andern erinnert es an die farbrauschenden „interactions of colors“ von Josef Albers.

Leider schafft es die Ausstellung in den Deichtorhallen nicht, Warhols epochale künstlerische Bedeutung für Amerikas Weg der großindustriellen, arbeitsteiligen Produktionsweise zu entschlüsseln. Dies liegt zum einen an der einseitigen Sammlung Bischofsberger – über deren Hintergrund, Finanzierung und Sammlungskriterien kaum etwas mitgeteilt wird – und andererseits an der verklärenden Perspektive der Ausstellung, die nur die Pop-Idol-Ikone zeigt: Aufklärung-Verklärung-Verfall. Die Hintergründigkeit, mit der Warhol von seiner Zeit und ihren Produktionsformen berichtet, verkündete er skurril und selbst-ironisch: „Ich möchte eine Maschine sein!“ Die Strahlung dieses Satzes, „seine Kunstwirkung“ (Kunstprofessor J. Stüttgen) bleibt zugunsten eines mißverstandenen Star-Gerummels auf der Strecke. Denn Warhol hat auch gesagt : „Ich möchte, daß die Maschine, die mein Körper ist, verschwindet.“

Gelungen ist der Ausstellung die Präsentation Warhols als Portraitist. Gelungen auch die Dokumentation seiner Gesellschafts-Szenerien und ihre Hauptdarsteller: verliebt und entlarvend. Warhols Aussagen bewegen sich immer in einem gefährlichen Grenzbereich, wo ästhetische Statements politische Aussagen ersetzten. Die Furcht vor der gesellschaftlichen Vereinnahmung führte ihn bis zur Distanzierung von der persönlichen Handschrift. Aber eben jene Distanz zu sich selbst ist Bedingung des klaren Sehens. Und das kann bis heute kaum einer besser als Andy. Vor diesem nur angedeuteten Hintergrund ist die Ausstellung der Verkunstung von Verfallsbildern im ausgehenden 2O. Jahrhundert ein Genuß.

Ausstellung bis 19.September,Di-So 11-18, Do 11-21.Katalog 45 Mark.