„Traurig, aber vorübergehend“

■ Albanien reagiert vorsichtig auf griechische Massenabschiebungen

Tirana (taz) – Mit Fassungslosigkeit reagiert die albanische Öffentlichkeit auf die Massenabschiebungen aus Griechenland. Die Ausweisung des griechisch-orthodoxen Priesters aus dem südalbanischen Gyrokaster gilt hier nur als Vorwand für die griechischen Polizeiaktion. Schließlich hat der „Priester“ gegen die Souveränität Albaniens gearbeitet, indem er Landkarten verteilte, auf denen die südalbanischen Bezirke Saranda, Gyrokaster und Korça als griechisches Territorium eingezeichnet sind.

Tirana stand nach Angaben von Präsident Sali Berisha vor der Wahl, den Mann wegen „albanienfeindlicher Tätigkeit“ zu bestrafen oder ihn des Landes zu verweisen. Erst am 25. Juni, dem Tag der Ausweisung, forderte der - angeblich schon vorher informierte - griechische Generalkonsul in Gyrokaster vergeblich eine Aufschiebung der Ausweisung von Chrysostomis Maydonis.

Rund 300 Angehörige der griechischen Minderheit in Südalbanien versammelten sich trotz eines polizeilichen Verbots am 30. Juni in der orthodoxen Kirche von Gyrokaster, um eine Messe abzuhalten. Dies blieb die einzige Protestveranstaltung gegen die Abschiebung des Priesters. Das griechische Fernsehen berichtete dagegen über Auseinandersetzungen, bei denen mehrere Menschen ums Leben gekommen sein sollen.

Die Massenabschiebung verschärft die katastrophale wirtschaftliche Situation Albaniens. Die Arbeitslosenrate liegt bei über 50 Prozent. Die staatliche Industrie liegt brach. Auf ausländische Investoren wartet die Regierung vergebens. Obwohl in den letzten zwölf Monaten in privatwirtschaftlichen Bereich etwa 100.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind, ist die Wirtschaftsreform ins Stocken gekommen. Die Äcker sind zwar weitgehend an Privatbauern verteilt, aber sie sind nicht selten zu klein, um Profite abzuwerfen. Trotz der schlechten Beschäftigungslage hat die Regierung in den letzten zwölf Monaten alle Preise freigegeben. Zuletzt den Weizenpreis zum 1. Juli. Damit hat sich der Brotpreis verdoppelt.

Durch die Preissteigerungen und die Inflation tun ein Übriges. Lag das durchschnittliche Jahreseinkommen vor drei Jahren noch bei 600 Dollar, so sind es heute oft nicht mehr als knapp über 300 Dollar im Jahr. In vielen Fällen reicht dies nicht aus, um die Familie zu ernähren. Für ein Jahr bezahlt der Staat zwar Arbeitslosenunterstützung, aber ein arbeitsloser Stahlarbeiter erhält im Monat gerade mal zwölf Dollar.

So sind viele darauf angewiesen, daß ein oder mehrere Familienmitglieder für einige Monate im Jahr ins Ausland gehen, um Geld zu verdienen. Die meisten gehen nach Griechenland, wo schätzungsweise 200.000 bis 250.000 AlbanerInnen leben. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die meisten keine Papiere haben.

Die griechischen Behörden dulden die Anwesenheit der „Illegalen“. Als billige Arbeitskräfte sind sie den Unternehmern willkommen. Es gibt Adressen, bei denen sie nach Arbeit fragen können.

Die albanische Regierung betrachtet die Duldung als eine Form der wirtschaftlichen Unterstützung für ihr Land. Nach Italien und der Türkei ist Griechenland der Staat, der Albanien am meisten unterstützt. Auch der im vergangenen Jahr entstandene albanische Privathandel wickelt einen Großteil des Warenimportes mit Griechenland ab. Tirana versucht seit Monaten in Athen einen legalen Status für die albanischen Migranten auszuhandeln. Ihr zusätzliches Einkommen soll eine weitere Senkung des Lebensstandards in Albanien und damit noch mehr Unmut in der Bevölkerung verhindern. Ein Abkommen über die Legalisierung albanischer Saisonarbeiter stand ganz oben auf der Wunschliste des albanischen Ministerpräsidenten Aleksander Meksi, als er im Mai zu einem offiziellen Besuch nach Athen reiste. Es kam jedoch keine Einigung zustande. Die albanischen Migranten blieben ein Spielball Athens.

Im Februar schob Athen zahlreiche Albaner ab, weil die Migranten angeblich die Kriminalitätsrate in Griechenland hochtreiben. Die Anerkennung Makedoniens durch Albanien am 26. April führte zur Abschiebung von weiteren 1.500 Albanern.

Doch erst bei der jetzigen Massenabschiebung reagierte das postkommunistische Albanien reagierte äußerst scharf. Das Fernsehen griff noch einmal tief in die Propagandakiste und schickte alten Phrasen der Hoxha-Diktaturen in den Äther. Von „chauvinistischen albanienfeindlichen griechischen Kreisen“ war die Rede. Anfangs angedeutete albanische Vergeltungsmaßnahmen blieben dann jedoch aus. Der albanische Präsident Sali Berisha wollte die Situation nicht noch verschärfen. Er erklärte, was jetzt geschieht sei „traurig, aber vorübergehend“.

Als wirkliche Motive Griechenlands sieht Berisha zwei Möglichkeiten: Einmal der Wahlkampf in Griechenland, zum anderen, die freundschaftlichen Beziehungen Athens zu Belgrad. Griechenland könnte mit der Destabilisierung im Süden des Balkans den Serben im Norden eine Atempause bei ihrem Kampf für ein Großserbien verschaffen. Würde dies wirklich zutreffen, wären die Folgen für Albanien weitreichend. Dann hätte das Land mit sämtlichen angrenzenden Staaten große Probleme und es gäbe eine geschlossene Allianz gegen Albanien. Dem neuen demokratischen Albanien würde die gleiche Isolation drohen, wie zu kommunistischen Zeiten.

Rest-Jugoslawien im Nordosten verhindert mit seiner Unterdrückungspolitik gegen die Albaner im Kosovo jegliche Normalität der Beziehungen. Die Grenze zwischen dem Kosovo und Albanien ist faktisch geschlossen. In Albanien wird immer stärker von Serbien abweichende Meinungen aus Montenegro besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Beziehungen zu einem eventuell später einmal enstehenden selbständigen Nachbarstaat sollen nicht unnötig belastet werden.

Mit Makedonien gibt es Uneinigkeit über die Rechte der dort lebenden zwanzigprozentigen albanischen Minderheit. Bis zur Klärung dieser Frage blockiert Albanien die Aufnahme Makedoniens als Vollmitglied der KSZE. Von makedonischer Seite kommt es immer wieder zu Grenzzwischenfällen. In diesem Jahr wurden bereits neun Albaner an der Grenze erschossen und dreizehn verletzt.

Der albanische Präsident hofft, daß internationale Proteste Griechenland dazu bewegen, ihre Abschiebeaktion zu beenden. Der internationale Unterstützerkreis Albaniens ist bisher jedoch bescheiden. Bis heute verurteilten nur die türkische Regierung in Ankara und „amnesty international“ die griechischen Abschiebungen. Matthias Kalusch