■ Mit Englands Wäldern auf du und du
: Britische Rückzieher

Rückzieher sind eine Spezialität der britischen Regierung – man denke nur an die Kopfsteuer, die Mitgliedschaft im Europäischen Währungssystem oder die EG-Sozialcharta. Beim neuesten Rückzieher geht es um den Oxleas-Wald südlich von London. Ursprünglich wollte das Transportministerium den mittelalterlichen Wald abholzen und eine Schnellstraße bauen lassen, die bei Woolwich über die Themse führen sollte. Das Ministerium wollte in disem Fall gar nicht erst auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs warten, sondern vollendete Tatsachen schaffen.

Das ließ die Bevölkerung jedoch nicht zu. Tausende unterschrieben Resolutionen, in denen sie „zivilen Ungehorsam“ androhten, sobald der erste Baum falle. Wie dieser Ungehorsam aussehen könnte, weiß die britische Regierung aus Twyford Down. Dort soll ein Naturschutzgebiet für die Umgehungsstraße um Winchester geopfert werden. Seit Monaten wird das Gebiet jedoch regelmäßig von etwa 500 Menschen besetzt, so daß die Bauarbeiten immer wieder verzögert werden. Für den Oxleas-Wald hätten Umweltschutzorganisationen weitaus mehr Menschen mobilisieren können. Deshalb warf die Regierung am Mittwoch das Handtuch und legte das 300 Millionen Pfund (ca. 765 Millionen Mark) teure Projekt vorerst auf Eis. Ein Zehntel davon ist bereits in der 14jährigen Vorbereitungsphase ausgegeben worden.

Die Oxleas-Entscheidung ist der größte Erfolg, den UmweltschützerInnen seit Jahren erringen konnten und wird den Kampagnen gegen ähnliche Projekte – zum Beispiel die Verbreiterung der Ringautobahn um London – vermutlich Auftrieb geben. Die gedemütigte Regierung versuchte dagegen, das Beste aus ihrer Niederlage zu machen. Die Entscheidung beweise, daß Umweltaspekte großes Gewicht bei Straßenbauprojekten haben, betonten mehrere Staatssekretäre.

Die UmweltschützerInnen sind jedoch skeptisch. Schließlich ist das Straßenbauprogramm, für das die Regierung 23 Milliarden Pfund in den nächsten 15 Jahren lockermachen will, noch nicht vom Tisch. Wenn es unverändert durchgezogen wird, müssen 160 ausgewiesene Schutzgebiete weichen – viele von größerer Bedeutung als Oxleas. Außerdem ist auch der mittelalterliche Wald nicht endgültig gesichert, denn eine neue Themse-Brücke sei nach wie vor unverzichtbar, sagte Transportminister John MacGregor. Und eine weitere Spezialität der britischen Regierung sind Rückzieher von Rückziehern. Man denke nur an die vorübergehend gerettete, aber dann doch wieder todgeweihte Bergbauindustrie. Ralf Sotscheck