Wie frisch von der Baustelle geklaut

■ Für Durchblicker: Isa Genzkens Beton-Fenster und andere Plastiken lassen die Kunsthalle sehr neu aussehen

Ja wie sieht die Ausstellung denn nun schon wieder aus? Wie verwandelt, so viel ist schon mal klar. Ganz anders als noch in Chicago und Brüssel, als im ehrwürdigen Münchner Lenbachhaus oder gar im „Portikus“, dem Frankfurter Kabäuschen für's Neuere in der Kunst. Als Isa Genzken ihre kleine Werk- und Wanderschau dort vor Monaten aufbaute, verwandelte sich der containerförmige, schmucklose Raum vollends in eine Art Materiallager.

Besonders die robusten Fertigbeton-Plastiken, dicht gedrängt bzw. gehäufelt von Genzken aufgebaut, brachten im Ausstellungsraum jenen post-industriellen Touch zum Vorschein, den die Architekten wohl von jeher eingebaut hatten. Und die Bremer Kunsthalle? Wirkt wie neu, angefüllt mit all den ruinösen Betonbrocken.

Solche Verwandlungskünste gehören zu den sonderbaren Eigenschaften Isa Genzkens. Wie ihre Retrospektive mit Arbeiten der vergangenen zwölf Jahre sich der musealen Architektur am jeweiligen Ort anpassen mußte, so haben sich auch die Räume durch die Kunst verändert. Der Dialog mit der Architektur und die Behauptung einer autonomen Plastik — das sind für Genzken keine unüberbrückbaren Gegensätze.

Daß sie solche Gräben nun ausgerechnet vermittels des unbeugsamen Materials Beton so leichtfüßig überspringt — das gehört zu den liebenswerten Paradoxien, die dem Besucher (wo auch immer) in Genzkens Werk begegnen. Seit 1985 arbeitet sie mit dem Material. Die Ergebnisse können als zeitgemäße Neu-Definition der gottvergessenen „Bau-Plastik“ gelten: Wie frisch von der Großbaustelle geklaut wirken die meisten dieser Beton-Getüme. Angefressen und abgebröselt zwar, aber immer noch als Grundelemente funktionalistischen Siedlungsbaus erkennbar. Modern eben. Aber wunderschön ruinös.

Solcher Umgang mit den Fundsachen und Überresten der Moderne — oder was die Stadtplanung daraus gemacht hat - ist nie ganz frei von Sentimentalität. Wie alles so vor sich hinbröselt, vergeht — pittoresk, fürwahr. Schamlose Leichenfledderer wie der Filmemacher David Lynch würden aus Genzkens hübschen Trümmern manch' schaurigschöne Kulisse basteln. Aber damit wäre sie dann doch weit unter Wert verkauft: Der gehobene Schau-Wert ist nur Fassade; auch zum Durch- Schauen sollen die Gußbetonstücke animieren.

Und das nimmt Genzken ganz wortwörtlich. In Fensterform nämlich gießt sie einen Großteil des Betons. Schön gestaffelt aufgestellt, Rahmen für hohen Rahmen, laden die Plastiken nun zum Durchblick durch die Kunst ein. Und geben so der alten Kunsthalle neue Perspektiven. Noch die etwas verwinkelteren Ecken des Hauses kommen da zum Vorschein, und eingereiht in Genzkens Spiel mit den Blickachsen wirken die Hallen plötzlich weit und hell. Wer weiß, was die Dinger mit den deutschen Kunsthäusern noch alles anfangen würden — Bremen aber ist ihre letzte Station. Thomas Wolff

Isa Genzken, „Jeder braucht mindestens ein Fenster“, bis 22. August