Aus der Klinik auf die Straße?

■ Forum "Wohnraum für psychisch Kranke" organisiert Kampagne gegen Wohnungsnot / Ab Herbst sollen 1.500 Betten in der Psychiatrie abgebaut werden

Seit fünfzehn Jahren betreut der „Förderkreis für Behinderte“ in der Weddinger Koloniestraße therapeutische Wohngemeinschaften für psychisch Kranke. Von den 27 Plätzen wird pro Halbjahr etwa einer frei, auf den wiederum statistisch vier Bewerber kommen. Dieser Ist-Stand ist nun freilich in Frage gestellt. Im Zuge der Psychiatrieplanung des Senats und des Krankenhausrahmenplans sollen ab Herbst in den Berliner Kliniken etwa 1.500 Psychiatriebetten abgebaut werden. Was auf der einen Seite dem vielfach geforderten Prinzip ambulanter vor stationärer Behandlung Rechnung trägt, birgt andererseits für die PatientInnen die Gefahr, aus der Klinik in die Obdachlosigkeit entlassen zu werden.

„Das größte Hindernis im Ausbau der außerklinischen Versorgung“, sagt Bettina Potzesny vom Paritätischen Wohlfahrtsverband (PWV), liege in der bedrohlich zunehmenden Wohnungsnot und der Gefahr, daß Menschen auch weiterhin ohne Notwendigkeit in den Kliniken bleiben müssen.

„Bis jetzt“, rechnet auch Silvana Kunze vom Förderkreis vor, „lag die Verweildauer in den betreuten Wohngemeinschaften bei ein bis drei Jahren.“ Möglich war dies durch die Akquirierung von „normalem“ Wohnraum durch Verhandlungen hauptsächlich mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften. „Im Grunde“, sagt Silvana Kunze, „haben wir dabei ganz gute Erfahrungen gemacht.“ Über 70 Prozent der in normale Wohnverhältnisse entlassenen Ex- WGlerInnen hätten den Sprung in die Selbständigkeit geschafft. Nun allerdings sei die Arbeit in Frage gestellt. „Der Bettenabbau ist beschlossen“, ärgert sich Silvana Kunze, „aber parallel dazu wird im Senat nicht gehandelt.“

Im Senat spielt man das Problem unterdessen herunter. „Überhaupt kein Problem“ für außerklinische Unterbringung sieht Detlev Orwat (CDU), Staatssekretär in der Gesundheitsverwaltung. Durch Umwandlung vorhandener Einrichtungen, die „keine Zukunft als Krankenhaus mehr haben“, will er die notwendigen Rehabilitationsplätze durch die Unterbringung in Heimen schaffen. Bettina Potzesny befürchtet dagegen, daß sich damit wenig ändern würde. Ihr geht es nicht um die Unterbringung in Heimen, sondern darum, daß die Vielfalt der Betreuung und Integration gewährleistet wird.

Ein weiteres Problem ergibt sich für den Wohlfahrtsverband aus der geplanten „Regionalisierung“ der psychiatrischen Versorgung. Vorgesehen ist, die Zuständigkeit für die Unterbringung sowie deren Finanzierung künftig den Bezirken zu übertragen. Aber die Klinikpatienten seien oft nicht mehr in den Bezirken gemeldet, sagt Bettina Potzesny. Außerdem dürften bestimmte Vereine nur in bestimmten Bezirken Wohnungen anmieten, was zur Folge habe, daß nicht jede angebotene Wohnung auch belegt werden könne.

Um die drohende Obdachlosigkeit der Langzeitpatienten zu verhindern, hat nun der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Kampagne gestartet. Motto: „Wir haben die Seele nicht erfunden. Aber sie braucht eine Wohnung“. In Zusammenarbeit mit 24 Trägern betreuten Wohnens will der Verband Druck auf den Senat und die Wohnungsbaugesellschaften ausüben. „Wenn schon Betten abgebaut werden“, fordert Bettina Potzesny, „hat der Senat auch die Verpflichtung, daß die Leute angemessen versorgt werden.“ Ihre Rechnung: Durch eine Umschichtung der Gelder im Krankenhausrahmenplan sollen die Trägervereine in die Lage versetzt werden, Wohnungen anzumieten oder Häuser zu kaufen. Über 1,2 Milliarden Mark, so eine Rechnung des Verbands, könne der Senat langfristig einsparen, wenn ein Großteil der Gelder zunächst „beherzt“ in den Auf- und Ausbau ambulanter und teilstationärer Betreuungseinrichtungen investiert werde. Uwe Rada