Licht am Ende des Tunnels Von Mathias Bröckers

Spätestens seit der Veröffentlichung des Buchs Leben nach dem Leben, in dem der Psychiater Raymond Moody die Sterbeerlebnisse reanimierter Patienten analysierte, sind „Nahtodeserlebnisse“ ein Medienthema. Die Berichte der vom klinischen Tod Wiedererwachten sind Gegenstand von Talk-Shows, Hollywood-Filmen und sensationellen Presseberichten. Während Kritiker die Erforschung der „Near Death Experience“ als pseudowissenschaftlichen „Jenseitskitsch“ und die visionären Erfahrungen als subjektive Hallizunationen abtun, haben die Arbeiten von Moody, Kenneth Ring, Elisabeth Kübler-Ross und anderen Pionieren eine Vielzahl von Ärzten, Psychologen und Theologen angeregt, sich systematisch mit den Jenseitsvisionen wiederbelebter „Verstorbener“ zu beschäftigen. So unterschiedlich die einzelnen Autoren die Erfahrungen der von ihnen Befragten auch bewerten, hat sich doch ein gemeinsames Muster dieser Erlebnisse herausgestellt: Vom Heraustreten aus dem Körper über die Passage durch einen Tunnel oder eine Zone der Dunkelheit, die Konfrontation mit dem eigenen Selbst in Form eines „Lebensfilms“ bis hin zur Begegnung mit oft als göttlich empfundenen „Lichtwesen“ und der plötzlichen Rückkehr in den Körper scheinen alle Jenseitsreisen nach demselben Fahrplan abzulaufen. Diese erstaunliche Parallelität der Berichte, gleich ob sie von einem indischen Kleinkind oder einem amerikanischen Greis, einem atheistischen Akademiker oder einer naiv-religiösen Bäuerin kommen, wird von den Nahtodes- Forschern als das überzeugendste Indiz für die Authentizität ihrer Erfahrungen gewertet.

In einem jetzt auf deutsch erschienenen Buch (Nahtodeserlebnisse und Jenseitserfahrungen, Insel- Verlag) macht die amerikanische Religionswissenschaftlerin Carol Zaleski auf die Ähnlichkeit mit der in allen Kulturen bekannten Jenseitsreise von mythischen Helden, Schamanen und Propheten aufmerksam, die die Schwelle des Todes überschreiten und mit einer Botschaft für die Lebenden wiederkehren. Im Zentrum stehen mittelalterliche Jenseitsvisionen, die, anders als ihre archaischen Vorgänger, nicht von Helden oder Heiligen, sondern von normalen Zeitgenossen stammen. Daß die Interpreten dieser Berichte – die christliche Visionsliteratur – vor allem den Qualen der Hölle und des Fegefeuers Raum geben, während das paradiesische Entzücken kaum vorkommt, führt Zaleski auf eine ideologische Absicht zurück: der irdische Sünder soll zu gottesfürchtigem Leben gemahnt werden. Hinter der Zensur entdeckt die Autorin in den mittelalterlichen Berichten wieder jene charakteristischen Lichterfahrungen, von denen die modernen Jenseitsreisenden ebenfalls berichten. Im heutigen „Himmel“ geht es eindeutig demokratischer zu als in den mittelalterlichen Hierarchien, da jede imaginative Gedankenwelt an die Sprache und Symbole ihrer Zeit gebunden ist: „Wenn die Berichte echt sind, so nicht deshalb, weil sie ein direktes Protokoll der Wahrheit liefern, sondern nur, weil sie zur Suche nach Wahrheit anregen... Wenn die Nahtodesliteratur irgendeine Beweiskraft hat, dann deshalb, weil sie Einsichten vermittelt, die verifiziert werden können – nicht in medizinischen Tabellen, sondern durch unsere eigene Erfahrung.“