Das Töten weniger plastisch gestalten

In den USA sollen Filme mit „grundloser Gewalt“ einen Warnhinweis für Eltern bekommen  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es sollte eine der unzähligen human touch-Stories werden. Ein Team des spanisch-sprachigen TV- Kanals Telemundo in Miami hatte Emilio Nunez zum Grab seiner Tochter begleitet. Der Crew schwebte folgender Ablauf vor: Ein gebrochener Vater, der vor laufender Kamera mit tränenerstickter Stimme von seinem Kind und von seiner Ex-Frau Maritza erzählt, die er für den Selbstmord der Tochter verantwortlich macht. Doch just zum Zeitpunkt des Interviews tauchte auch Maritza Nunez auf, um Blumen am Grab niederzulegen. Emilio Nunez zog einen Revolver und tötete sie mit zwölf Schüssen. Das Kamerateam drehte.Am nächsten Tag gingen die Bilder ungekürzt über den Bildschirm der Lokalstation. NBC strahlte den Film in voller Länge in ihrer landesweiten Nachrichtensendung „Nightly News“ aus, die Konkurrenz von CBS sendete das Videoband in der New Yorker Region. ABC und CNN beschränkten sich darauf, den Mord an Maritza Nunez als Nachricht zu verlesen.

Daß hier Sensationsgier mit dem Etikett der Informationspflicht und der „Aufklärung über Gewalt in der Ehe“ (O-Ton eines NBC-Sprechers) kaschiert wurde, um höhere Einschaltquoten zu erzielen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Interessant, weil symptomatisch, ist vielmehr, wie Telemundo-Produzentin Fran Mires begründet, warum sie die Aufnahmen senden ließ und anderen TV- Stationen zugänglich machte: Der Mord habe gar nicht echt, sondern „wie eine gestellte Szene“ ausgesehen. Man darf annehmen, daß die Aufnahmen vom Mord an Maritza Nunez nach Auffassung der Telemundo-Produzentin nicht jenes Maß an Nervenkitzel und Brutalität erfüllten, das die Realität angeblich von der Fiktion unterscheidet. Man darf gleichzeitig vermuten, daß Fran Mires keine Bedenken plagen, fiktive Mordszenen detailgenau darzustellen – oder eben reale Morde, wenn sie wie fiktive aussehen. Mires' Entscheidung liegt insofern im Trend, als die Grenzen zwischen der Darstellung fiktiver und realer Gewalt immer mehr verschwimmen. Noch während Fernsehzuschauer live mitansahen, wie sich in Waco, Texas, FBI-Agenten und Angehörige einer christlich-fundamentalistischen Sekte beschießen und letztere schließlich in einem selbst gelegten Feuer verbrennen, wird die Katastrophe bereits an anderer Stelle für einen Fernsehfilm nachgedreht.Immer beliebter, weil profitabel, sind Drehbücher über reale Massenmörder und reale Eifersuchtsdramen mit tödlichem Ausgang, die vorher durch die Presse und Nachrichtensendungen gegangen sind. Für die Entertainment- Industrie gilt noch das Rezept von Leslie Moonves, Direktor der Lorimar-Studios in Hollywood, die unter anderem „Deliberate Strangers“, einen Film über den Massenmörder Ted Bundy, produzierten. „Der Film der Woche ist zur Killer-Story der Woche geworden“, sagt Moonves. Filme mit gewalttätiger Action bringen höhere Einschaltquoten und ergo mehr Geld.

Was ist „grundlose Gewalt?“

Gegen diese scheinbar unausweichliche Eigendynamik gibt es eine Opposition, die fast so alt ist wie das Fernsehen selbst. Die erste Kongreßanhörung über Gewalt im Fernsehen fand 1954 statt. Seitdem fordern Lehrergewerkschaften, Elternverbände, die „Vereinigung amerikanischer Psychologen“ und einige wenige Politiker mal mit mehr oder weniger Nachdruck von den Film-und Fernsehproduzenten Selbstbeschränkung bei Gewaltszenen. Im Kongreß drohte man Hollywood zuletzt sogar mit staatlichen Eingriffen durch die Federal Communications Commission (FCC). Dieses Damoklesschwert mag die Chefs der großen Networks ABC, CBS, NBC und Fox Television, sowie den Vorsitzenden der Motion Picture Association of America (MPAA), Jack Valenti, vor 14 Tagen in Washington zu einem Kompromiß bewogen haben. Für eine Probezeit von zwei Jahren wollen sie Programme, in denen „Darstellungen grundloser Gewalt“ vorkommen, bei Ankündigungen und im Vorspann mit einer Warnung an die Eltern versehen. Die Übereinkunft hat nun gleich mehrere Tücken: Erstens hat bislang niemand definiert, was „grundlose Gewalt“ ist; zweitens sind Kabel-und Videoindustrie bislang nicht miteinbezogen; drittens dürfte die Warnung bei Kindern und Jugendlichen, die alleine vorm Fernseher sitzen, genau die gegenteilige Reaktion auslösen.Sensationell ist der Kompromiß nur insofern, als Film- und Fernsehproduzenten erstmals öffentlich eingestanden haben, was im Laufe der letzten vierzig Jahre in über 3.000 Studien und Forschungsprojekten belegt wurde: Daß Gewalt auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm aggressives Verhalten der Zuschauer steigern kann und sie gegen Brutalität abstumpft – auch und gerade im Fall von Kindern und Jugendlichen. Mit Abschluß der Grundschule hat der ameriknaische Nachwuchs in der Regel bereits 8.000 TV-Morde mitangesehen – angefangen vom tödlichen Schußwechsel in der Polizeiserie, über sogenannte Slasher- oder Splatter- Movies wie das „Texas Kettensägen Massaker“ bis hin zum Kassen- und Videoschlager a'la „Rambo“. Unbestritten ist auch, daß Film und Fernsehen in Einzelfällen das Drehbuch für reale Gewalttaten liefern. Das bekannteste, weil brutalste Beispiel, ist der des Briten Michael Ryan, der als „Rambo“ verkleidet, in der Ortschaft Hungerford sechzehn Menschen erschoß. In einem anderen Fall nahm ein Neunjähriger in der New Yorker Bronx ein Bürogebäude unter Feuer. Auf die Frage des Polizisten, wo er gelernt habe, ein Maschinengewehr zu laden, antwortete er: „Im Fernsehen.

“So zweifelhaft der jüngste Kompromiß in Washington auch sein mag, der öffentliche Druck von Elternverbänden, Sozialwissenschaftlern und Teilen der Presse zeigt in Hollywood doch Wirkung, zumal einige Lobbygruppen Demonstrationen und Boykottaktionen gegen Werbekunden angedroht haben, die sich in Sendungen mit Gewaltszenen Werbezeit kaufen. Eine neue Polizeiserie mit dem Titel „Top Cops“ wurde bereits zurückgezogen. Drehbuchautoren für eine Serie mit Karate-Macho-Star Chuck Norris wurden angewiesen, das Töten per Faustschlag oder Maschinengewehr etwas weniger plastisch zu gestalten. Ähnlich der Anti-Raucherkampagne, die dazu geführt hat, daß man kaum noch einen TV-Helden mit Zigarette sieht, erhofft man bei den Fernseh- und Produktionsgesellschaften einen gesellschaftlichen Trend, dem sich entgegenzustellen einiges an Reputation kosten könnte. Reuevoll und medienwirksam hat Valenti nun zu einem „Gipfeltreffen“ der Entertainment-Industrie am 2.8. in Los Angeles aufgerufen, bei dem weitere Schritte gegen Gewalt auf dem Bildschirm diskutiert werden sollen. Wie ernst die zu nehmen sind, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob der öffentliche Druck anhält. Sonst reden die Produzenten am Ende wie jener Vertreter ihrer Zunft, der im Hollywood-Film „Grand Canyon“ von Steve Martin dargestellt wird. Der schwört, keine explodierenden Menschenleiber, keine Massaker und Maschinengewehrsalven in seinen Filmen zu zeigen, nachdem er selbst bei einem Raubüberfall angeschossen wird. Als ihn ein Freund nach einige Zeit an den Sinneswandel erinnert, entgegnet er: „Ach das. Scheiß' drauf. Das ist vorbei. Ich muß ein paar Wochen im Delirium gewesen sein.“