Short Stories from America
: Gottes letzte Action Heroes

■ Fundamentalistische Terroristen hauen um SEines willen die Welt in Klump

Am letzten 4. Juli, dem Jahrestag von Amerikas Unabhängigkeitserklärung, wollte ich alles lieber sein als Frau Omar Abdul Hanif. Ihren Mann, Herrn Omar Abdul Hanif, stelle ich mir als Hosni Mubaraks obersten Leibwächter vor: ein wandelndes Versicherungsrisiko. Frau Hanif zählte am 4. Juli zu den Frauen, die höchstwahrscheinlich ihren Mann verlieren würden, den Vater und einzigen Ernährer ihrer Kinder. In einem Brief an sie habe ich meiner Hoffnung Ausdruck gegeben, daß sie eine kleine Lebensversicherung abgeschlossen hat – möglichst in einem anderen Land als Ägypten.

Frau Hanifs Dilemma hat sich noch verschärft, seit die Islamische Gruppe am 4. Juli Ziele in ganz New York in die Luft jagen wollte. Zuvor hatte sich die Islamische Gruppe auf Ägypten konzentriert, in der Hoffnung, Mubaraks Regierung durch eine islamische Theokratie zu ersetzen. Nun hat sie ihre Taktik geändert und sich den Vereinigten Staaten zugewandt, um sie an ihrem höchsten nationalen Feiertag zu demütigen, indem sie Amerikas Feuerwerk mit der Feuerkraft Allahs erstickte. So etwa krähte jedenfalls die amerikanische Presse, nachdem mehrere Angehörige der Islamischen Gruppe verhaftet und ihre Bombenanschläge und Verschwörungen aufgedeckt worden waren. „Ein Blutbad“ verkündete eine New Yorker Tageszeitung im besten Anzeigenstil, „Schnappt den Scheich“ lautete die poetische Alliteration einer anderen – gemeint war Scheich Oman Abdel Rahman, der nun keineswegs eine fiktive Figur ist, sondern der geistige und ideologische Führer der Islamischen Gruppe, Ortsgruppen Brooklyn und New Jersey.

Nachdem die US-Behörden die Verdächtigen der Bombenverschwörung vom 4. Juli verhaftet hatten (die amerikanische Presse brachte sie eilfertig und routinemäßig mit dem Bombenanschlag auf das World Trade Center in Verbindung), verhafteten sie auch den Scheich, der laut New York Times „keines Gewaltverbrechens angeklagt wird“ – im Unterschied zu seinen Anhängern.

Die Verhaftung des Scheichs durch die US-Behörden war der Islamischen Gruppe in Ägypten Anlaß genug, amerikanischen Zielen im Nahen Osten und in den Vereinigten Staaten den Krieg zu erklären. Sie sind überzeugt, Amerika sei dem Islam gegenüber feindlich eingestellt, und zum Beleg zitieren sie die neuen Angriffe auf den Irak und Amerikas Versagen in Bosnien. An diesem 4. Juli verschärften sie ihre Kampagne gegen Mubarak und seine „Marionettenregierung“, womit wir wieder bei Frau Omar Abdul Hanif wären. Während sie in ihrer Küche für ihren Mann die Stullen schmiert, denkt sie voller Grausen an seinen Job, bei dem er ums Leben kommen kann, bevor er seine Brote auch nur ausgepackt hat. Sie möchte kein Butterbrotpapier verschwenden und ist stinksauer.

Aber überrascht ist sie nicht. Überrascht von der Islamischen Gruppe zeigt sich die amerikanische Presse – und ich verstehe einfach nicht warum. Die Presse ist völlig aus dem Häuschen angesichts der Vorstellung, daß moslemische Fundamentalisten Herrn Mubarak stürzen wollen, einen moderaten Mann, der sein Land ins 19. Jahrhundert schieben möchte. Die Islamische Gruppe möchte IHn an seine Stelle setzen. Und daran kann nun gar nichts überraschen.

So hat der größte Teil unserer Gattung gelebt, seit wir von den Bäumen fielen, mit Bananen und Kokosnüssen in den Händen. Die Welt wird zu einem gefährlichen Ort durch Naturkatastrophen und die Gier von Männern und Frauen – Heimsuchungen Gottes sagen wir dazu. Und so suchten die Menschen Trost in der Vorstellung, ER sei mächtiger als die Furcht, und in SEinen Händen könnten sie Sicherheit finden.

Die Probe aufs Exempel mag ein Text bieten, den ich neulich las: In „The Last Action Hero“, dem Film von Arnold Schwarzenegger, wird ein Junge von einem süchtigen Dieb zusammengeschlagen und im Badezimmer an eine Wasserleitung gekettet. Später hat er die Wahl zwischen zwei Helden, um mit seinen Ängsten fertig zu werden. In der Schule bietet man ihm Hamlet (in der Version von Lawrence Olivier); im Kino sieht er Herrn Schwarzenegger. Während der Prinz von Dänemark den alten Yorrick beklagt, dessen Schädel schon seit Jahren hohl ist, hat Arnold für Claudius nur ein verächtliches Lachen übrig, sagt: „Du hast meinen Vater umgebracht. Schwerer Fehler“ und haut den Usurpator in Klump. Der Junge nimmt sich natürlich Arnold zum Vorbild, und das ist die Macht des HErrn.

In Amerika versteht jeder „The Last Action Hero“, gleichgültig, wie der Film künstlerisch bewertet wird. Warum verstehen sie dann die Islamische Gruppe nicht? Während sich Mubarak mit den Banken herumschlägt, deren Angebote schon seit Jahren hohl sind, grinst sie dem Westen ins Gesicht, sagt „schwerer Fehler“ und haut die Götzendiener in Klump. Oder jedenfalls ihre arroganten, phallischen Idole wie das World Trade Center. Und wenn nicht ER selbst das In- Klump-Hauen besorgt, dann hat ER dafür SEine Diener auf Erden. Zweifellos ist die Islamische Gruppe überzeugt, daß sie und niemand anders SEine Diener sind, und daß sie für das In- Klump-Hauen zuständig ist. Aber auch darin zeigt sich die Macht des HErrn. SEine Anhänger wissen, wer SEine Günstlinge sind.

Frau Hanif versteht nicht, warum die amerikanische Presse sich von SEinen Günstlingen überraschen läßt, während sie – Mop in der einen, Ajax in der anderen Hand – den Tod ihres Mannes kommen sieht.

Überraschend ist nicht SEine anhaltende Popularität, sondern die ketzerische Vorstellung, sie sei abzuschaffen. Der Götzendienst finde sein Ende mit der Entwicklung der Menschheit, meinten vor 250 Jahren ein paar Franzosen. Das glaubte auch eine Gruppe von Männern in den amerikanischen Kolonien, vorwiegend vom intellektuellen Typ, die der Angst als dem großen menschlichen Antrieb nur ungenügende Beachtung schenkten. Und so entwickelten sie eine sehr schöne Hypothese: den Gedanken von der Herrschaft des Volkes. Das bedeutete die Herrschaft aller Ichs des Landes, und die besagt, daß man andere nicht wegen deren gemeinsamen Zielen angreift.

Diesen Gedanken feiert Amerika am 4. Juli – und seine Umsetzung im ersten zweihundertjährigen Probelauf. Aber viel mehr als den Probelauf wird der Gedanke wohl kaum überstehen. SEine Anhänger nehmen, wie in aller Welt so auch in den Vereinigten Staaten, zu an Stolz und Zahl; sie sind überzeugt, daß sie Sicherheit nur finden, wenn sie die Gefolgsleute des anderen HErrn verdreschen, und die Feuerkraft Amerikas und die Feuerkraft Allahs machen sich für einander bereit. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning