Charme und Herzensbildung

■ Hat Max Goldts neues Buch haufenweise zu bieten

Er klaubt Worte aus des Alltags Rede wie Perlen aus dem Mist. Ein „Wohnmantel“, ein „Gräber- Land“ sowie ein „Erlebnisei“ luden schon zu beschaulichem Sinnieren ein. „Kaltgewordenes Würstchenheißmachwasser“ aber ist Onkel Max' trefflichste Bezeichnung für eine rechte Scheußlichkeit. Es taugt allenfalls dazu, „alte Menschen, die englisch sprechen, darin zu ersäufen“. Onkel Max, sein Finder, würde jedoch tunlichst davon abraten. Denn Onkel Max ist kein schurkiger Mörder, sondern ein blümeranter Türpitüderich, ein rechtschaffenes Fanfrelüchlein, das in seinem trauten Heim jene schönen sepiabraunen Wortspitzen klöppelt, die den höherstrebenen Lesern nun dauerhaft Trost und Rat spenden, ohne daß sie fürderhin 6 DM pro Monat in den Gierschlund eines unverschämten Satiremagazins werfen müßten.

Weil er so hübsche Affären mit Worten hat, wurde Onkel Max übrigens schon öfter gelobt. Ach, danken ist etwas Herrliches, so lehrt es Onkel Max, und es blüht viel Dank in mancher Seele für Onkelchens elegante Gedankenzauseligkeit, die noch „das Harte in zartester Weise“ besingt. Selbst „verpinkelte Winkel“ laden zu heiterer Geselligkeit ein, wenn Max sie golden belichtet; „klobige Clubsessel“, „Exsitzsackbesitzer“ und „staubige Steiff-Tiere“ finden aufs Neue ein stilles Glück bei „Zimpersusen“ mit „Stricklieselwürstchen“ oder „herrlichen Lesbentaillen“. Was „Strietzenpampel, Bimmelkosch, Bommengrätsch“ vorstellen, wird hier aus Gründen keck werbender Begünstigung nicht ausgeführt. Denkbar dankbar sollte man dem Priester der Alliteration dafür sein, daß er die Welt so erstaunlich interessant findet, dabei immer wieder weise lächelt anstatt schnöde zu belächeln und mit seiner putzbunten Pfauenfeder den Staub des Vergessens von jeglichem Ding streift, auch von den zu Unrecht verschmähten Segnungen der doppelten Verneinung. Ein nobles Gemüt halt, der Onkel Max, jedoch nicht ohne irdischen Fusselrand. Seien es junge Menschen, die zu den Einstürzenden Neubauten engtanzen, oder faulende Kürbisse, in die man lustig hineinspringen kann – Onkel Max erforscht zwar die Wirklichkeit, doch tut er dies mit Charme und Herzensbildung, zwei ganz und gar aussterbenden Eigenheiten des Wesens in einem Zeitalter, wo allenthalben Trunksucht droht und an jeder übelbeleumundeten Ecke kotzelend mißratene Brut auf bedenklich dünnen Beinen steht. So hilft der Milde den Wilden.

Doch Onkel Max ist nicht nur ein wackerer Literat, sondern auch ein braver Mann der Wissenschaft. Anempfohlen sei den Lesern sein vorzüglich gearbeitetes Traumdeutungslexikon: „Glotzende Tauben – du selbst mußt dran glauben.“ Oder „Zappa, Frank: siehe Grass, Günter“. Der Schärfe der Gedanken und dem Fluß der Rede ebenbürtig sind die Bildbeigaben, worunter sich „Doofe Kleidung“ (S. 238) und „Unerkärliches Phänomen im Wohnzimmer von Walter Jens“ (S. 293) besonders auszeichnen. Letzteres Bild würde Herrn Jens stantepede von jedem Verdacht unlauteren Zuhörens entlasten, würden unsere Landesväter Onkel Max nur in seiner ganzen erkenntnistheoretischen Tragweite würdigen. Denn so würkt er: wunderbar unschuldig und zugleich bildend.

Seine artigste Geschichte ist die von seiner Vermählung mit der Künstlerin Else Gabriel, die sich später einen Dutt wachsen läßt und nach Korea emigriert.

Ja, danken ist etwas Herrliches, und so sei Onkel Max ein weiteres Mal adrett bedankt, wo er es doch auch nicht so einfach hat mit zehn Paar scheußlichen Schuhen, zehn scheußlichen Schlüpfern und zwanzig scheußlichen Pullis im Schrank. Die Stimme bricht ihm fast darob, doch das Leben geht weiter – weil es nun einmal weitergehen muß. Für uns und auch für Onkel Max, den strammen Racker. Anke Westphal

Max Goldt: „Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau“. Haffmans Verlag, 304 quittegelb gebundene Seiten, sorgfältig mit Register und vielen lehrreichen Abbildungen versehen, für nur 28,50 DM (günstig!)

Max Goldt: „Die sonderbare Zwitter-CD. Lesungen und irritierende Heimaufnahmen“. Fünfundvierzig/Indigo (vermutlich auch sehr preiswert zu erstehen, obgleich eigentlich unbezahlbar)

Demnächst: Max Goldt: „Überall Fichtenkreuzschnäbel, nirgendwo Fichtenkreuzschnäbel“. Fünfundvierzig/Indigo (sicherlich fast geschenkt)