Geschlechterkonstruktionen

Stefan Hirschauers Studie beschreibt die Inszenierung des Geschlechtswechsels  ■ Von Stephanie Castendyk

Ein sogenannter Geschlechtswechsel ist faszinierend für jedermann: Die Billigpresse titelt „Marianne ist eigentlich ein Mann“, schlechte Dokumentarfilme zeigen haarige Fleischerhände, die in Spitzendessous wühlen, und auch die Sozialwissenschaft hat das publikumswirksame Thema längst für sich entdeckt, wie eine neue Studie von Stefan Hirschauer zeigt, die Transsexualität als „soziale Konstruktion“ beschreibt.

Hirschauer interessiert nicht, warum jemand sein Geschlecht wechseln will, sondern vor allem, wie ein solcher Wechsel in Szene gesetzt wird. Dabei soll am Beispiel der Transsexualität deutlich werden, daß jede Geschlechtsidentität ein soziales Konstrukt ist.

Schon zu Beginn glaubt der Autor dezent einflechten zu müssen, daß er selbst nicht betroffen ist, sondern von der soliden Basis unangefochtener Männlichkeit aus seine Studien betreibt. Dieselbe Distanz zeigt sich in der Art des Zitierens: Interviews mit allen Beteiligten (Ärzte, Transsexuelle, PsychiaterInnen, Kosmetikerinnen und Stimmbildnerinnen) werden im Wortlaut wiedergegeben, mit jedem „Eh“ und „Äh“, das ihnen über die Lippen kommt. Das wäre sinnvoll, wenn die Interpretation auf diese Wörtlichkeit einginge. So aber ist der Effekt nur, daß die Personen wie Analphabeten wirken, von denen sich die Eloquenz des Autors abhebt.

Hirschauers Hauptthese ist, daß sich die Transsexualität erst durch den Prozeß ihrer eigenen Definition herstellt. Ein diffuses Anpassungsproblem spitze sich in langwieriger Suche zur „verkehrten“ Geschlechtsidentifikation zu, wobei Erklärungsangebote der Medien oder der „Szene“ zur Selbstdiagnose aufgegriffen würden. Im folgenden Marsch durch die Instanzen werde dann so lange gedeutet, berichtet und berichtigt, bis das Bild der/s Betroffenen dem entspricht, was die Medizin und die Jurisprudenz mit dem Label Transsexualität dingfest gemacht hat. Dabei setzt vor allem das Gesetz unhintergehbare Maßstäbe, denn keiner darf offiziell im „gewünschten“ Geschlecht leben, wenn nicht zumindest die Insignien des „Herkunftsgeschlechts“ operativ entfernt worden sind. Ein Prozeß also, bei dem alle wie Komplizen zusammenwirken, um eine Identität zu schaffen, die zur höheren Weihe und als Initiation das Opfer der Genitalien und – meist auch – der Lustfähigkeit verlangt.

Ob bei der therapeutischen Sitzung, beim „Alltagstest“ der Transsexuellen oder im OP-Saal, Hirschauer ist immer dabei. Die Debatten zum Transsexuellengesetz werden ebenso pointiert analysiert wie der Anpassungsdruck der „Szene“ oder der psychiatrische „Deutungskäfig“, in dem perfide „Strategien“ eine „Unterwerfung des Patienten“, ja sogar dessen „Entwaffnung“ anstreben. Die kriegerische Metaphorik ist signifikant für eine Betrachtung, die jedes subjektive Leid, alle Zweifel und Verzweiflung nur als Randerscheinungen des Phänomens zur Kenntnis nimmt.

Aber es geht dem Autor ja auch um eine reine Beschreibung der Geschlechtskonstruktion. Theoretisch müßte er daher auskommen, ohne über die bloß subjektiven Motive der Betroffenen zu spekulieren. Diese Erklärungsabstinenz wird jedoch nicht durchgehalten. Statt sich über die Motive hinwegzusetzen, werden sie nur simplifiziert: Jede/r in diesem Szenario ist für Hirschauer primär narzißtisch. Die Therapeuten wollen interessantes Fallmaterial, ohne dabei ihren guten Ruf zu gefährden, die Chirurgen basteln gerne epochemachend am menschlichen Körper, und die Transsexuellen schließlich sind penetrant darauf fixiert, einer Geschlechterordnung zu genügen, die doch selbst nicht mehr ist als ein gesellschaftliches Konstrukt. Und warum das alles? – Weil die Geschlechtsrollen in unserer Gesellschaft angeblich so aufgeweicht sind, daß sich nur noch durch eine radikale Transformation die vertraute Aufteilung in Mann und Frau beweisen läßt.

Der Zirkelschluß ist evident: Auf der einen Seite soll die harte Anstrengung der Transsexuellen, ihre neue Rolle sozial glaubhaft zu machen, beweisen, daß etwas scheinbar so Natürliches wie ein Geschlecht sozial konstruiert ist. Auf der anderen Seite aber soll gerade diese soziale Konstruktion von Geschlecht das Phänomen der Transsexualität überhaupt erst hervorgebracht haben. Die These wäre noch überzeugend, wenn man mit ihr nur den Zwang zur Operation und nicht die Existenz von Transsexuellen selbst erklären wollte. Doch warum sollte sich irgendwer einer so horrenden Tortur unterziehen, nur um einem bloßen Konstrukt zu entsprechen, selbst wenn die Mitmenschen noch so interessiert an jener blutigen Performance zur Herstellung bipolarer Normalität wären? Und außerdem: Wenn Geschlecht in jeder Situation neu hergestellt werden muß, wie kommt dann jemand darauf, dem falschen anzugehören?

Mit dieser Ellipse soziologischer Argumentation wären wir denn auch bei dem angekommen, was Hirschauer als „Hautfältelungen dort zwischen den Beinen“ bezeichnet. Dieser Fetzen Haut sei zwar in unserer Kultur das ultimative Erkennungszeichen des Geschlechts, aber im Prinzip wie jedes Zeichen beliebig besetzbar, was sich schon daran zeige, daß es im Alltag kaum jemand zu Gesicht bekomme. Warum dann allerdings Hirschauer gegen die „blutige Verstümmelung“ dieses Körperteils wettert, kann mit einer derart krude vereinfachenden Zeichentheorie nur ein Rätsel bleiben.

Dabei hat der Autor ja recht: Das soziale Geschlecht ist an einen Code von Gestik, Kleidung und Verhalten gebunden, an dem wir uns erkennen sollen. Wir müssen diesen Code lernen und ihn immer wieder korrekt anwenden. Täglich erneut konstruieren wir so unsere Geschlechtszugehörigkeit. Und natürlich ist das, was in einer Kultur „männlich“ oder „weiblich“ heißt, einem historischen Wandel unterworfen – die feministische Theorie hat die mühsame Arbeit der Frauen, einen solchen Wandel in die gewünschte Richtung zu treiben, seit Jahren beschrieben. Es stimmt sogar, daß die Genitalien in diesem Kontinuum der täglichen Geschlechtsdarstellung nur ein Aspekt sind. Aber was bringt deren Marginalisierung zur „Hautfalte“, wo doch nicht umsonst die grundlegendste Unterscheidung der Menschen von Menschen, nämlich die Ordnung der Geschlechter, ihnen auf den Leib geschrieben ist?

Hirschauers subjektloser Blick kann weder die soziale noch die individuelle Notwendigkeit einer Kongruenz von psychischer und physischer Erfahrung ermessen. Und er verkennt auch die symbolische Macht des Körpers, wenn er annimmt, wir wären dessen bloße „Bewohner“. Die eherne Ordnung der Geschlechter wird nicht verständlicher, wenn man sie mit der Oberfläche ihrer Mechanismen verwechselt, und ausgerechnet die Transsexualität ist mit einem derart simplen Leib-Seele-Dualismus nicht einmal beschreibbar.

Stefan Hirschauer: „Die soziale Konstruktion der Transsexualität“. Suhrkamp Verlag 1993, 280 Seiten, 22 DM