„...daß Ihr endlich wieder lachen könnt“

Liebe RAF-Mitglieder,

[...] „Nehmt das nicht hin“, das hat auch mich und sicher viele andere dazu veranlaßt, über Euren politischen Einsatz nachzudenken, abzuwägen, was gut daran war und ist und worin ich völlig anderer Meinung bin. Wenn es nicht so unsagbar traurig wäre [...] hat ja das grausige Geschehen in Bad Kleinen Euch wieder ins Gedächtnis der Normalbevölkerung zurückgerufen. Das Verbrennen armer Asylantenkinder und -frauen, die unbewältigte Vergangenheit, die uns mit Roma und Sinti verbinden sollte, die 20 guten Familienväter im Kreis Flachslanden bei Ansbach, die mit zwei- bis fünfzehnjährigen Kindern Sexspiele veranstalteten, das Überhandnehmen rechtsradikalen Terrors, dann im Ausland mörderisches Abschlachten muslimischer Bosnier, die Massenvergewaltigung ihrer Frauen, der mit deutschen Waffen durchgeführte Kurdenmord in der Türkei – da seid Ihr ja, wenigstens heute, ganz kleine Lichter dagegen. Sicher werdet Ihr auch bald wieder in der Versenkung verschwinden, eine sogenannte saubere politische Lösung wird sich finden.

Und jetzt wollt Ihr sogar noch friedlich werden, nachdem Ihr so lange die bösen Buben, Mädchen natürlich eingerechnet, wart. Was fällt Euch denn ein!

Die Staatsorgane müssen doch gewußt haben, daß Ihr zu Kreuze kriechen wollt, der Gewalt abschwören wollt. Wenn schon dieser dreckige kleine Gesinnungs- und Freundesverräter, der V-Mann Klaus, über Euch Bescheid wußte und mit Euch umging, hätte man Euch doch leicht kampflos im Schlaf fangen können. Eben so, wie man es bei Hasen tut, die in der Sasse kauernd, von vorne mit einer entfernt sich bewegenden Gestalt beschäftigt, von hinten leicht mit einem leichten Steckenschlag eingesackt werden können. Befreundete, ältere Bauern erzählten mir diese Geschichte ihrer Großeltern.

Entweder geschah in Bad Kleinen alles in Verwirrung oder, was fast bösartig wäre zu denken, der Linksaußenszene sollte wieder einmal Platz auf den Titelseiten der Zeitungen gegeben werden, um von den Auswüchsen nach rechts abzulenken. Na ja, nun haben sie die Sauce.

Jetzt ist Eure Stunde, so eine Chance kommt für Euch so schnell nicht wieder. Ihr habt es ja auch bitter nötig, das Verständnis Eurer Mitbürger wieder zu erlangen, schon deshalb, damit Ihr sie wieder versteht. Daran so sagtet und sagt Ihr ja immer, liegt Euch soviel. Aber das sagen ja auch Obrigkeit und Religionsinstitution, sowohl im Westen als auch im sogenannten Realsozialismus. [...]

Eure Anfänge waren positiv, nur wurden sie von oben nie so gesehen. Das Volk freute sich über das Lächerlichmachen fragwürdiger Symbole, über Fritz Teufel, Langhans und Konzelmann. Dann aber zeigte der Apparat seine Krallen, die Aktivisten wehrten sich, und es kam zu Kraftakten auf beiden Seiten. Aber außer Gustav Heinemann, Bischof Albertz, Heinrich Böll und einigen anderen wollte niemand von da oben mit Euch sprechen, niemand frühere Fehler, die zu der Eskalation geführt haben, eingestehen. So verschärfte und verhärtete sich alles, bei Euch bildete sich evangelisch strenger sektiererischer Geist. Ihr konntet nicht mehr lachen, und über Euch konnte man nicht mehr lachen. Ihr wurdet zur Gruppe, und im anonymen Gruppenbewußtsein, dem Korpsgeist, von dem der wunderbare Artikel Jürgen Korells [siehe taz vom 12.7.93 „In der Elitetruppe herrscht Korpsgeist“] handelt, geschahen auch Eure Untaten. Dieses Gruppenbewußtsein, in das Ihr sicher auch gedrängt wurdet, hat die Sympathie des Volkes von Euch weggenommen. Ihr wurdet anonym und erst wieder nach Festnahmen, als Tote oder nach Tatgeständnissen zu Einzelpersonen. [...]

Drum – langer Schweife kurzer Sinn: Ihr müßt als Einzelpersonen und unbewaffnet wieder auftauchen, Euch der Staatsmacht übergeben, auch wenn Hardliner in Eurer Reihe, denn nach den Fahndungsfotos seid Ihr ja nicht mehr viele, davon abraten. Sicher geschieht dies auch aus berechtigter Angst vor der Konfrontation mit dem Gesetz. Den Menschen, die durch Euch den Tod fanden, könnt Ihr das Leben nicht zurückgeben, und dies wird Euch ganz sicher auch Euer Leben lang belasten, auch wenn die Strafe nicht so lange ausfällt. Dafür aber müßt Ihr stehen, wenn Ihr vor allem den Respekt vor Euch selbst wieder gewinnen wollt.

Wir können so etwas nicht von Euch verlangen, das wäre zuviel. An Euch liegt es, aus den Mauern, zwischen denen Ihr herumirrt, herauszufinden und damit auch Euren einsitzenden Freunden und Freundinnen zu helfen und ihre Haftzeit zu verkürzen. Vor allem aber, daß Ihr nicht weiter als gejagte Phantombilder einem solch Irrsinnigen wie in Bad Kleinen ausgeliefert seid, hinter jedem, der sich Euch freundlich nähert, einen Verräter sehen müßt, und was das wichtigste ist, daß Ihr endlich wieder lachen könnt. Dann bin ich gern Euer Genosse. Ihr, nicht der Staat, müßt die Initiative ergreifen. [...] Jörg von Manz, Breitenberg, Töpfer im Bayerischen Wald, geboren drei Monate vor Beginn des Irrsinns Zweiter Weltkrieg