Auf der Suche nach dem schwulen Gen

■ Nach Meinung von US-WissenschaftlerInnen ist die sexuelle Orientierung in den Genen festgelegt / Die vorgelegten Studien weisen gravierende Mängel auf

Dem beinahe hundertjährigen Projekt, die sexuelle Orientierung von Schwulen auf biologische Ursachen zurückzuführen, fügt eine amerikanische Studie jetzt einen weiteren Erklärungsversuch hinzu. WissenschaftlerInnen der National Institutes of Health (NIH) behaupten in der neuesten Ausgabe von Science, eine Korrelation zwischen einer spezifischen Region des X-Chromosoms und der männlichen Homosexualität gefunden zu haben.

Bei der Analyse der Vererbung genetischer Marker bei homosexuellen Brüdern ordneten die WissenschaftlerInnen die angeblich mit der sexuellen Orientierung verbundene Region einem kleinen Segment des menschlichen Genoms zu. Ein spezifisches Gen konnte von ihnen jedoch nicht isoliert werden. Entsprechende Untersuchungen, die an lesbischen Geschwistern durchgeführt wurden, führten dagegen bisher zu keinem klaren Resultat.

Als nächstes beabsichtigt Dean Hamer, der Hauptautor der Studie, das verantwortliche Gen zu isolieren, um dessen Funktion, die er im Hirnstoffwechsel vermutet, aufklären zu können. Ursprünglich arbeitete Hamer am National Cancer Institute daran, die genetischen Faktoren bei der Entstehung von Krebsarten zu identifizieren, die häufig bei Aids-Infizierten schwulen Männern auftreten. Doch bald wurde daraus der Versuch, die genetischen Grundlagen für das sexuelle Verhalten aufzuklären.

Hamer und seine KollegInnen fanden bei der Untersuchung der Familiengeschichten von 114 Schwulen heraus, daß deren Brüder sowie Onkel und Cousins der mütterlichen Linie mit größerer Wahrscheinlichkeit schwul waren als aufgrund des männlichen Bevölkerungsdurchschnitts zu erwarten war. In einigen Familien konnten schwule Verwandte drei Generationen zurückverfolgt werden. Da die schwulen Versuchspersonen und ihre Familienangehörigen in verschiedenen Haushalten großgezogen wurden, stellten die WissenschaftlerInnen die Hypothese auf, daß ein genetischer Faktor beteiligt sein müsse. Die Verteilung entlang der mütterlichen Linie legte dann nahe, daß Homosexualität mit dem X-Chromosomen assoziiert sein könnte. Dieses Chromosom bekommen die männlichen Nachkommen immer von der Mutter vererbt. Aufgrund dieser Überlegung durchsuchte Hamer die X-Chromosomen von 40 schwulen Geschwisterpaaren nach Ähnlichkeiten in den Mustern ihrer genetischen Informationen. Bei 33 Geschwisterpaaren fand er dann gemeinsame genetische Marker in derselben, „Xq28“ genannten Chromosomenregion. Daraus folgerte Hamer, daß in der Mehrzahl der untersuchten Familien ein Gen für die homosexuelle Orientierung vererbt wird.

Hamer warnt davor, den Marker als Test auf sexuelle Orientierung einzusetzen. Er befürchtet, daß der Test von Eltern dazu benutzt werden könnte, sich ihre „Wunschkinder“ auszusuchen. Andererseits sieht er aber die Möglichkeit, daß Homosexualität leichter akzeptiert wird, wenn sie sich als eine Frage der Biologie und nicht der persönlichen Entscheidung erweist.

Die Studie reiht sich ein in eine Reihe jüngerer Versuche, Homosexualität aufgrund biologischer Determinanten zu erklären. Eine 1991 erschienene Untersuchung brachte Homosexualität mit einer Verkleinerung des Hypothalamus (Teil des Zwischenhirns) in Verbindung: eine Serie von Zwillingsstudien wurde 1992/93 mit dem Ergebnis vorgestellt, daß die Vererbung bei der Herausbildung der sexuellen Orientierung sowohl bei Schwulen als auch bei Lesben die wichtigste Rolle spiele.

Alle Studien weisen allerdings gravierende methodische Mängel auf. Die Untersuchungen des Zwischenhirns wurden an Leichen von Männern durchgeführt, die an Aids gestorben waren. Über deren sexuelle Orientierung lagen jedoch nur lückenhafte Kenntnisse vor. Die Ergebnisse aus der Zwillingsstudie stützten sich auf eine Kontrollgruppe, die nicht repräsentativ für die Bevölkerung war. Die Teilnehmer dieser Gruppe wurden über Anzeigen in Schwulen- und Lesbenblättern rekrutiert, so daß sich möglicherweise nur Personen mit der gleichen sexuellen Orientierung meldeten. Auch Hamers Studie wurde nicht an einer zufällig zusammengesetzten Population überprüft. Dies wäre aber notwendig, um die Ergebnisse zumindest auf eine wissenschaftlich nachprüfbare Basis zu stellen. Die Zuordnung genetischer Marker zu derart komplexen menschlichen Verhaltensmustern ist ohnehin fragwürdig und die daraus abgeleiteten Folgerungen müssen als unseriös betrachtet werden. Ludger Weß