: Wenn alle vom „totalen Krieg“ reden
In Türkisch-Kurdistan setzen Staat und PKK wieder auf die militärische Konfrontation ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Die ägäische Kleinstadt Ezine mit ihren 11.000 Einwohnern gilt als verschlafenes Städtchen am Rande des Massentourismus. Hier eskalierte ein läppischer Vorfall am Dienstag letzter Woche zu einem kurdisch-türkischen Bürgerkrieg. In einem Nachtclub, in dem auch Prostitution betrieben wird, protestierte ein Gast gegen die Rechnung. Die – kurdischen – Leibwächter des Etablissements warfen den Gast hinaus. Dieser versuchte daraufhin, mit einem Trupp bewaffneter Männer in den Nachtclub einzudringen. Zwei Männer wurden verletzt, als aus dem Club heraus geschossen wurde. Soweit der eigentliche Anlaß.
Bürgerkrieg in Ezine
Doch binnen kurzer Zeit hatte sich eine nationalistische Hysterie der Stadt bemächtigt. „Tod den Kurden“, „Dreckige Kurden“ schrieen Tausende von Demonstranten. Männer bewaffneten sich mit Dachlatten und versuchten, ins Gebäude einzudringen. Brandsätze flogen. Aus den umliegenden Städten wurde Militär und Polizei nach Ezine beordert. Auch der zuständige Gouverneur eilte in die Stadt. Mit Mühe und Not und unter massivem Einsatz von Militär konnte die Staatsmacht ein Blutbad verhindern.
Um der Armut und dem Terror in Türkisch-Kurdistan zu entrinnen, waren in den vergangenen Jahren Hunderte Kurden nach Ezine gezogen, wo sie als Bauarbeiter Gelegenheitsjobs finden. Jetzt herrscht Todesangst in den kurdischen Vierteln der Stadt. Militärpatrouillen sind an der Tagesordnung. Dabei liegt Ezine über 1.000 km von Kurdistan entfernt, wo die kurdische Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führt. Die Anschläge auf Touristen in der Mittelmeerstadt Antalya, die Botschafts- und Konsulatsbesetzungen von PKK- Anhängern in Europa und die chauvinistische Agitation gegen Kurden wie in Ezine zeigen, daß die „kurdische Frage“ längst nicht mehr regional eingegrenzt werden kann.
Die Furcht vor einer Ausweitung des blutigen Kampfes in Türkisch-Kurdistan zu einem türkisch- kurdischen Bürgerkrieg mehrt die Stimmen, die eine radikale Umkehr in der Kurdenpolitik des türkischen Staates fordern. Der einflußreiche Chefredakteur und Kolumnist des staatstragenden Massenblattes Hürriyet, Ertugrul Özkök schrieb nach den Aktionen in Europa und Antalya: „Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Wir können eines Tages vor der Alternative stehen, diesen Teil des Landes (Kurdistan, d.Red.) von uns abzuschneiden oder einen totalen Krieg zu führen, bei dem wir ins Auge fassen, Serbien zu werden, und dessen materielle und psychologische Rechnung uns teuer zu stehen kommen würde. Heute können wir noch Lösungen finden, die weniger radikal sind und weniger Mut erfordern, aber humaner sind. Noch gibt es diese Möglichkeit. Hauptsache, wir lassen uns nicht von Gefühlen leiten, werden mutiger und realistischer. Wir können in der Türkei einen glücklichen Weg finden, ohne zu einem Trümmerhaufen wie Jugoslawien zu werden.“ Die herrschende Politik hat die „kurdische Frage“ als „Krebsgeschwür“ ausgemacht.
„Zuneigung gegenüber dem Volk, Härte gegenüber den Terroristen“ ist eine Politikerfloskel, die der türkische Staatspräsident immer wieder einbringt, wenn von Kurden die Rede ist. Die Realität sieht anders aus. Der von den türkischen Politikern geführte „totale Krieg“ gegen die PKK entwickelt sich mehr und mehr zu einem „totalen Krieg“ gegen die Kurden, die im Südosten der Türkei leben. Kurdische Zivilisten werden regelmäßig zu Opfer des staatlichen Terrors. Um der Guerilla die logistische Unterstützung zu entziehen, werden systematisch kurdische Bauern von der Armee vertrieben. Ganze Landstriche sind zwangsevakuiert.
Vergangenen Dienstag traf es die Bauern in dem Dorf Yukari Seb in der Provinz Mardin. Die Männer des Dorfes hatten sich geweigert, in die sogenannten Dorfmilizen, die zusammen mit dem türkischen Militär gegen die PKK kämpfen, einzutreten. Die 60jährige Nevroz Özgel schilderte der Tageszeitung Özgür Gündem die Razzia: „Die Soldaten kamen mittags. Wahllos steckten sie die Häuser in Brand. Die Frauen wurden geschlagen. Als meine Nachbarn ihr Hab und Gut aus dem brennenden Haus retten wollten, haben sie sie daran gehindert. Nachher brachten sie uns aus dem Dorf hinaus. Als wir nach einer Stunde ins Dorf zurückkehrten, sahen wir, daß die meisten Häuser niedergebrannt waren.“ In Yukari setzte eine Massenflucht ein.
Nach dem jüngsten Bericht des Menschenrechtsvereins in der kurdischen Stadt Diyarbakir sind in den vergangenen zwei Jahren über 500 Dörfer vom Militär zwangsgeräumt und zerstört worden. Vor einer Woche griffen Guerilleros der PKK mit schweren Waffen die öffentlichen Gebäude und das Polizeipräsidium in der kurdischen Stadt Diyaden an. Die ganze Nacht über tobte der Kampf. Die Sicherheitskräfte nutzten offensichtlich die Gelegenheit, um mit barbarischen Mitteln gegen unliebsame kurdische Kritiker vorzugehen. Häuser der Oppositionellen wurden beschossen und in Brand gesteckt. – Das Haus des stellvertretenden Bürgermeisters Haci Burhan Ciftci war unter den Gebäuden, die in Flammen aufgingen. Er und fünf Familienmitglieder kamen um.
„Das sind alles Mörder. Der Staat hat vor meinen Augen meine Söhne und Enkel verbrannt“, sagt Nazmiye Ciftci, die dem Flammeninferno entkommen konnte. Einheiten der berüchtigten Sondereinsatztruppen beschossen Nachbarn, die der Familie helfen wollten. Längst sind es nicht mehr einzelne Menschenrechtsverletzungen, für die der Staat verantwortlich ist. Der Zweck heiligt die Mittel, heißt die Devise, und mittels systematischem staatlichen Terror wird versucht, der PKK beizukommen.
Morde an kurdischen Persönlichkeiten, die der PKK nahestehen, gehören in Türkisch-Kurdistan zum Alltag. Die PKK iherseits reagiert mit Anschlägen auf Armee-Einheiten, Beamte, Lehrer und sogenannte „Kollaborateure“. „Kolloborateuren“ sind für die PKK vor allem die kurdischen Dorfmilizionäre. Familienangehörige von Dorfschützern werden ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder von der Guerilla massakriert. Die kurdische Zivilbevölkerung ist Hauptopfer des dreckigen Krieges, der in Türkisch-Kurdistan tobt, und bei dem seit 1984 über 6.200 Menschen umkamen.
Die sanften Töne der Versöhnung, die nach dem einseitig von der PKK verkündeten Waffenstillstand im März erklangen, sind verstummt. Sowohl der Staat als auch die PKK setzen wieder auf militärische Konfrontation. Fast wortgleich reden türkische Politiker und PKK-Chef Öcalan, der von der libanesischen Bekaa-Ebene die stalinistische Organisation anführt, vom „totalen Krieg“. Der türkische Generalstabschef Dogan Güres sprach Mitte Juni bei seiner Visite in Diyarbakir, von wo aus der türkische Staat den Antiguerillakampf dirigiert, davon, daß die „Säuberung der Region von Terroristen“ nahe sei: „Wer das nicht zuläßt, ist ein Verräter. Es gibt in der Region einige Verräter und Personen, die den Räuberbanden helfen. Sie sollen davon ablassen, sonst wird es ein böses Ende mit ihnen nehmen.“
Medien unter Druck
Die Äußerungen des Generalstabschefs waren eine unmittelbare Drohung gegen Kritiker der militärischen Operationen. Bei einem Pressegespräch des türkischen Generalstabes, zu dem Eigentümer und Chefredakteure der türkischen Zeitungen eingeladen wurden, erging an die Medien die Aufforderung, sich in den Dienst der „nationalen Sache“ zu stellen. „Wir möchten eindeutige Unterstützung“, sagte General Fikret Küpeli, der den Journalisten vorwarf, im Sinne des „psychologischen Krieges“ der PKK tätig zu sein.
Als „Feindeszeitung“ wurde das Istanbuler Blatt Özgür Gündem ausgemacht, das der PKK nahesteht, aber auch häufig als einziges Medium unterdrückte Nachrichten aus Kurdistan veröffentlicht. Am Mittwoch wurde die Zeitung durch ein Istanbuler Strafgericht verboten, konnte dann aber doch nach öffentlichem Protest und juristischer Intervention wieder erscheinen.
Am Donnerstag wurde der Chefredakteur der Zeitung Davut Karadag verhaftet. „Seperatistische Propaganda“ lautet der Vorwurf der Staatsschützer in Istanbul. Der Chef der Nachrichtenredaktion, Ahmet H. Akkaya, sitzt bereits in Untersuchungshaft. In einer Stellungnahme der Zeitung, die dem Staatspräsidenten, der Ministerpräsidentin und mehreren Ministern zugesandt wurde, heißt es: „Der Stat hat den totalen Krieg verkündet. In Kurdistan geht ein Massaker vonstatten. Der Staat will nicht, daß das Volk über den dreckigen Krieg informiert wird. Das ist der Grund, warum die Pressefreiheit mit Füßen getreten wird und der Versuch unternommen wird, unsere Zeitung zu verbieten.“
Vergangene Woche wurde auch die „Arbeitspartei des Volkes“, der regimekritische, kurdische Abgeordnete angehörten, durch das Verfassungsgericht verboten. Die sechzehn Abgeordneten sind nun Mitglieder der „Demokratischen Partei“, die die Nachfolge angetreten hat. Auf dem ersten Parteitag wurde der Eigentümer der Tageszeitung Özgür Gündem, Yasar Kaya, zum Vorsitzenden gewählt. Kaya steht der PKK nahe. „Die Kurden werden entweder vernichtet werden oder sind gezwungen, in die Berge zu gehen“, war ein zentraler Satz in seiner Rede vor dem Parteitag. Als Kaya der vor Jahren im Gefängnis Diyarbakir ermordeter PKK-Anhänger gedachte, riefen die Delegierten einmütig: „Kurdistan wird zum Grab das Faschismus“.
Doch eine Partei, die in enger Beziehung zur PKK steht und die Rechte des kurdischen Volkes einklagt wie die „Demokratische Partei“, wird von den türkischen Politikern nicht als Dialogpartnerin angesehen. Zwar werden die Abgeordneten von Ministerpräsidentin Tansu Ciller empfangen und können ihre Ansichten vortragen. Doch angesichts des blutigen Machtkampfes, der zwischen Militär und PKK vonstatten geht, führt die Partei ein Schattendasein.
Ob die neue Ministerpräsidentin Ciller zu einer Änderung staatlicher Kurdenpolitik beitragen wird, ist ungewiß. In Gesprächen mit den Führern der parlamentarischen Oppositionsparteien sprach sie vergangene Woche über kurdische Fernsehprogramme und Kurdisch als Wahlfach in den Schulen. Obwohl sie diese Punkte vorbrachte, ließ sie mitteilen, daß dies nicht ihre eigenen Vorschläge seien. Sie wolle vielmehr in Tuchfühlung mit den Parteien stehen, um einen nationalen Konsens für Reformen herzustellen. Trotz ihrer Behutsamkeit kam es zu Turbulenzen auf der Fraktionssitzung der „Partei des rechten Weges“, die sie nach der Wahl Süleyman Demirels anführt. „Da ist vom kurdischen Fernsehen die Rede. Das alles senkt die Moral unserer Sicherheitskräfte“, sagte der Abgeordnete Coskun Kirca, einer der Falken in der Kurdistan-Politik.
Türkischer Konsens
PKK-Chef Öcalan spricht von einem „blutigen Sommer“, nachdem der türkische Staat nicht auf den einseitig verkündeten Waffenstillstand der PKK im März reagierte und statt dessen weiterhin auf eine „militärische Lösung“ setzt. Er will mit weiteren Anschlägen den türkischen Staat in die Knie zwingen. Doch die Anschläge der PKK sind das ideologische Futter für die Falken in Ankara, um den „totalen Krieg“ zu rechtfertigen. Und militärisch ist ein Krieg gegen die türkische Nato-Armee nicht gewinnbar. Hinzu kommt, daß die irakischen Kurden auf Gedeih und Verderb auf die Duldung der Türkei angewiesen sind und sich hüten werden, ihren kurdischen Brüdern und Schwestern in der Türkei Hilfe zukommen zu lassen. Der irakische Kurdenführer Massud Barzani, der Mitte Juni nach Ankara kam und mit Außenminister Hikmet Cetin und Staatspräsident Süleyman Demirel sprach, verurteilte „terroristische“ Aktivitäten seitens der PKK.
Zwar kann die PKK auf Massenunterstützung in den kurdischen Regionen der Türkei zählen. Doch demokratische Rechte für das kurdische Volk in der Türkei und eine Autonomie werden erst dann möglich sein, wenn die PKK es schafft, den herrschenden politischen Konsens in der ganzen Türkei, der den Kurden ihre Rechte verweigert, aufzubrechen. Mit der Politik von Anschlägen, die von der Mehrheit der Türken verurteilt wird, stehen die Chancen dafür denkbar schlecht.
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