Der Dauerstreit um die Krim

■ Rußlands Oberster Sowjet erklärt Sewastopol für „russisch“ /Demonstrationen von Russen und Ukrainern

Moskau (taz) — Der Streit zwischen Rußland und der Ukraine über den Status der Krim und die dort verbliebene russische Schwarzmeerflotte ist ein beliebtes Sommerthema. Er geht nunmehr ins dritte Jahr, solange ist es her, daß sich Kiew vom übermächtigen Moskau losgesagt hat. Zwischenzeitlich flaut der Zank immer mal wieder ab. Mit der beginnenden Sonnensaison gewinnt er zunehmend an Hitze. Die Russen hängen an der Krim. Schon in Moskau weisen Schilder den Weg ins jetzt ukrainische Urlaubsparadies.

Der politischen Führung in beiden Hauptstädten kommt der Hader um die Schwarzmeerhalbinsel eher ungelegen. Ihre Gegner, die hitzigen Nationalisten der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung „Ruch“ sowie Moskaus unbelehrbare Großraumpolitiker, wollen ihr politisches Süppchen darauf kochen. Erst im Juni hatten sich Moskau und Kiew wider Erwarten auf ein gemeinsames Lösungspaket geeinigt. Danach wollten beide Länder bis Ende 95 ihre eigenen Flotten aufbauen. Im kommenden September sollte mit der „praktischen Bildung“ begonnen werden. Die heikle Frage, welchen Status die russische Flotte auf fremden Gewässer und Territorium erhalten würde, sollte ebenfalls im Rahmen einer bilateralen Kommission angegangen werden. Dieser Moskauer Gipfel war eine Absichtserklärung, die angespannte Atmosphäre zwischen den beiden größten slawischen Völkern nun endlich pragmatischem Handeln weichen zu lassen.

Rußlands Oberster Sowjet, in seiner Mehrheit mit konservativen Abgeordneten bestückt, warf das Eisen wieder ins Feuer. Er erklärte, der Stützpunkt der russischen Flotte Sewastopol unterstünde Moskauer Rechtssprechung. Natürlich konnte die überlebte Legislative mit Zuspruch unter der russischen Bevölkerung des Flottenstützpunktes rechnen. Mehrfach ging sie in den letzten Tagen auf die Straße. Forderungen wurden laut, die ukrainische Verwaltung und Amtsträger „aus den Grenzen Sewastopols und der Krim“ zu weisen. Man verlangte zudem, den kürzlich abgelösten Admiral Igor Kasatonow wiedereinzusetzen. Schließlich wurde ein „russischer Volksrat“ der Stadt unter der Führung Alexander Kruglows gewählt.

Das offizielle Moskau, Präsident Jelzin und Außenminister Kozyrew, verwarfen die Entscheidung des russischen Parlamentes. Er schäme sich dafür, sagte Jelzin unmittelbar danach. Ohnehin besitzt die Resolution rein deklamatorischen Charakter. Sie folgt der Linie des an Bedeutung verlierenden Parlaments, dort zu stören, wo es noch eine Möglichkeit findet. Soeben konterkarierte es die Absicht der Regierung, das Budgetdefizit durch Reduzierung der Rüstungsproduktion abzubauen, indem es dem militärisch-industriellen Komplex 20 Prozent mehr Mittel zur Verfügung stellen wollte.

In Kiew demonstrierten im Gegenzug mehrere Tausend Ukrainer. Grundsätzlich begegnet man den Russen mit Mißtrauen. Nationalistische Kreise fürchten und rechnen im Interesse ihrer radikalen Politik mit einem russischen roll-back. Die Verzögerung der Ratifizierung des START I -Vertrages durch das ukrainische Parlament ist bereits ein Resultat, das der latenten Angst vor dem übermächtigen Nachbarn geschuldet ist. Als der ukrainische Premier Leonid Kutschma die Abgeordneten zur Unterzeichnung dieses Abkommens bewegen wollte, riet er ihnen im gleichen Atemzug, die Aufnahme in den Kreis der atomfreien Mächte noch hinauszuschieben. Im Gegenteil, vorübergehend sollte die Ukraine ihre SS-24 behalten. Natürlich entbehrt das jeglicher Logik. Denn die Atomknöpfe bedient Moskau.

Auf dem Moskauer Gipfel bot Jelzin seinem ukrainischen Amtskollegen Krawtschuk an, dem Nachbarn Sicherheitsgarantien zu geben. Krawtschuk lehnte ab. Innenpolitisch hätte ihm das schwere Zeiten bereitet. Auf der Suche nach Sicherheitsgarantien im Westen, ist Kiew dagegen aufgelaufen. Im Interesse, es mit dem neuen „Verbündeten“ Rußland nicht zu verderben, hält er sich zurück. Manchmal so, als gäbe es die Ukraine gar nicht. Klaus-Helge Donath