Zwischen Kaviar und Bananen

26.000 Frauen „dienen“ heute in der russischen Armee / Doch nicht wenige sind der Ansicht, daß die „eigentliche Aufgabe der Frau“ eine andere ist  ■ Von Barbara Kerneck

„Unsere Frauen, die verehren und beschützen wir“, sagte Oberst Jewgeni Karatajew von der Pressestelle des Verteidigungsministeriums in Moskau am Telefon. Und er hatte dabei keineswegs seine und seiner Kollegen Ehefrauen im Auge, sondern die etwa 26.000 Angehörigen weiblichen Geschlechts der russischen Armee. „Kommen Sie vorbei, ich werde Ihnen ein paar Mädels vorstellen, die in vollem Saft stehen.“

Die FallschirmspringerInneneinheit „Bärenseen“ liegt etwa eine halbe Stunde Autofahrt von Moskau entfernt. Sie sind, so ist am Eingang zu lesen, „eine Schule des Muts“, wobei „Mut“ im Russischen mit dem Wort „Männlichkeit“ identisch ist. Und mit roten Ziegeln in ein helles Gebäude gemauert prangt: „Ruhm der KPdSU“. In der ruhmreichen Partei fehlen ein paar Steine.

„Frauen verfügen in unserer Armee über äußerst breit gestreute Möglichkeiten“, erklärte im Frühjahr 1992 Generalmajor Nikolai Stoljarow, eine Art Personalchef der russischen Armee. Die Liste der für Frauen freigegebenen Tätigkeiten sei wesentlich erweitert worden.

Zu diesem Zeitpunkt gab es in den gesamten GUS-Streitkräften 25.000 Damen im Fähnrich-Rang (in den USA etwa zehnmal so viele) und 657 weibliche Offiziere. Den höchsten Rang begleitete eine Frau Oberst Walentina Tereschkova, die erste Kosmonautin der Welt, doch auch sie hatte den Rang nur ehrenhalber erhalten (in den USA dagegen sechs Generalinnen und eine Konteradmiralin).

Der Presseankündigung zum Trotz verrichten auch heute fast alle Frauen in der russischen Armee nach wie vor Jobs, die erst durch ihr Umfeld eine militärische Funktion erhalten: sie dienen als Kommunikations-Spezialistinnen, Ärztinnen, Übersetzerinnen.

Für solche Frauen gibt es jetzt eine spezielle Fähnrichinnen- Schule im Dorfe Barybino bei Moskau. Sie bildet inzwischen die Hälfte der Vertragskräfte der Fallschirmspringer-Regimenter um die russische Hauptstadt aus. Wachsende Frauenarbeitslosigkeit und zunehmende Unlust der Männer zum Wehrdienst sind der Hintergrund für diese Entwicklung.

In adretten T-Shirts und frischen Jeans-Röckchen finden sich in „Bärenseen“ die Fähnrichinnen Swetlana und Tatjana, die Gefreite Galina sowie die Oberleutnantin Olga zum Interview ein. Und am Querbalken des T-förmigen Tischs präsidiert – ja doch! – ein Oberstleutnant und verbreitet den offenbar als Männlichkeitsmerkmal unverzichtbaren dezenten Geruch.

Alle Frauen hier sind zwischen Anfang und Mitte Dreißig, haben ein Kind, üben mehr oder weniger zivile Tätigkeiten aus und sind Offiziersehefrauen. Für ihr hektisches Leben – ständiger Schichtwechsel, unterbrochen von militärischen Übungen – bekommen sie ein weit über dem Durchschnitt liegendes Gehalt von 50.000 Rubel. Dazu kommen Zuschläge für Rang und Dienstzeit, plus Essenszuschläge, wenn jemand nicht von der Kantine Gebrauch machen will.

„Und das wollen unsere Mädchen nun einmal nicht“, wirft der Politruk augenzwinkernd ein, „denn jede hat ihren Mann, den es – Sie verstehen schon – häuslich zu verpflegen gilt. Und so brutzeln alle mittags schnell zu Hause etwas.“

Gibt es auch unverheiratete Frauen hier? – „Doch, eine ganze Reihe“, meint der Oberstleutnant, der offenbar den Überblick hat.

Und kommt es da zu Liebschaften? – „Na ja, manchmal schon“, geht der Oberstleutnant geschmeichelt auf die Frage ein.

„Selten kommt es dazu, und wenn ja, dann endet es mit nichts Gutem“, korrigiert ihn aggressiv Swetlana.

„Und was die Ehechancen betrifft, so gilt in der Einheit: Wenn du in den ersten beiden Wochen keinen Bräutigam gefunden hast, dann bleibt dir nichts mehr als der Dienst. Denn alle betrachten dich schon nur noch als Kumpel. Und überhaupt sind die Ehechancen lediger Soldatinnen in allen Kreisen der Bevölkerung sehr gering. Männer mit zivilen Berufen schrecken zurück vor einer Frau, die es dienstlich mit lauter anderen Männern zu tun hat und die sich schon in der ganzen GUS herumgetrieben hat, oder vielleicht sogar im Ausland. Was die Offiziere selbst anbetrifft, so sind die unverheirateten in der Regel noch sehr jung, und natürlich möchten sie am liebsten ein Mädchen direkt von der Schulbank zur Frau oder, wenn nicht, dann wenigstens aus einer guten Familie mit Geld und Beziehungen. Wir wollen uns nichts vormachen, Männer bleiben eben Männer.“

Mit persönlicher Einwilligung des Kommandeurs dürfen russische Soldatinnen ohne Kopfbedeckung gehen. Bei der täglichen Arbeit ist volles weibliches Zivil durch Befehl Nr. 350 abgesegnet. Und wenn schon Uniform getragen wird, dann verzichten die Anwesenden freiwillig auf Schmuck, weil diese Kombination sich ein wenig lächerlich ausnähme, wie sie meinen.

Make-up fällt dabei allerdings nicht unter die „Schmuck“-Kategorie. „Im Winter, zum Beispiel, da tragen wir die Uniform mit Vergnügen“, beteuern alle unisono: „Da ist es hier an den Bärenseen so kalt, daß selbst der beste Pelzmantel dich nicht rettet. Unsere Winteruniformen stammen noch aus der guten alten Stagnations-Zeit und sind deshalb im Unterschied zu denen, die heute ausgeteilt werden, von erstklassiger Qualität: mit ausknöpfbarem Isolierfutter und echter Pelzkapuze. Und so haben wir die Möglichkeit, uns gleichzeitig warm zu fühlen und schneidig auszusehen.“

Immer wieder fällt in der Unterhaltung das Wort „früher“. „Mir wird von Tag zu Tag nostalgischer zumute“, gesteht die blonde Swetlana: „Früher wußten wir nicht, wie gut wir es hatten.“

Doch was heißt „früher“? Die Grenze zu „heute“ ziehen die Frauen so etwa bei 1988, als die Perestroika richtig zu greifen begann. „Nein, früher, da waren wir wirklich gut versorgt, mit Lebensmitteln und anderen Waren“, konzidiert Tatjana: „Und die Bevölkerung aus der ganzen Umgebung kam, um hier in unserem Militär- Warenhaus einzukaufen.“ – „Früher, da gingen wir ins Theater, hatten immer Schampanskoje im Kühlschrank und Kaviar-Dosen. Heute ist es lebensgefährlich, mit dem Bus ins Theater zu fahren, und wie Schampanskoje schmeckt, habe ich schon fast vergessen“, bedauert Swetlana.

Und trotzdem ist etwas heute besser: die Frauen dürfen mitspringen! „Die Anwesenheit der Frauen bewirkt eine echte Bezauberung, das ist der einzig richtige Ausdruck dafür“, bekräftigt der Oberstleutnant. „Wenn ich den Telefonhörer abhebe und vernehme eine sanfte Frauenstimme, ist mein ganzer Arbeitsalltag gleich veredelt. Und wie sich das erst auf die Leistungen der Soldaten auswirkt! Wenn eine Frau mit dem Fallschirm springt, dann will ihr auch der bescheidenste und unfähigste Soldat noch demonstrieren, daß er es nicht schlechter kann.“

Das Fallschirmspringen ist für die Frauen hier im Prinzip eine freiwillige Angelegenheit – noch –, wie alle meinen. Denn eigentlich ist ja der schnelle Einsatz der Sinn dieser Übung. Im Ernstfall müssen sich auch die Telefonistin oder die Funkerin an ihm beteiligen. So springen fast alle, und Tatjana ist eine begeisterte Anhängerin dieses dienstlichen Sports. Sie schwärmt von der Romantik des SpringerInnen-Daseins am Lagerfeuer und vom Nervenkitzel beim Schweben in der Luft. Einer Frau wird für sechs Sprünge ein zusätzliches halbes Dienstjahr angerechnet.

„Für das halbe Jahr kann ich mir gerade mal eine gute Wurst kaufen“, argumentiert Swetlana, wie immer strikt im Marxschen Sinne. „Das bekomme ich dafür, und nun wollen wir mal aufzählen, was ich verliere: zuallererst meine Gesundheit, denn fast alle erleiden wir dabei Wirbelsäulen-Prellungen oder klemmen uns irgendwelche Nerven ein. Für mich fehlt da jegliche Romantik.“ Tatjana schweigt reserviert.

Von der Armee-Gewerkschaft „Der Schild“ wollen die Damen noch nichts gehört haben. „Hier ist unsere Gewerkschaft!“ bemerken sie und zeigen auf den Oberstleutnant. Und wie bezeichnet der seine Planstelle? „Polit-Arbeiter“, antwortet er wie aus der Pistole geschossen. „Ich nenne mich jetzt ,Brigaden-Psychologe‘, das entspricht dem früheren Titel ,Chef der Politischen Abteilung‘. Ich habe 1990 die Ausbildung an der Militärpolitischen Akademie beendet. Da ist die Psychologie mit drin.“

Olga, eine Zahnärztin, erhielt den Rang einer „Offizierin“, weil ihrem auch in der Armee augeübten Beruf eine Hochschulbildung zugrunde liegt. Ihr Mann ist vorläufig nur Fähnrich, aber er verdient aufgrund des Dienstalters mehr als sie. Unter dem Rangunterschied hat er daher auch psychologisch nicht zu leiden. Hier gilt die Regel: Lieber ein alter Fähnrich als eine junge Leutnantin. Für die anderen Frauen ist der Fähnrich- Rang – wie sie sich ausdrücken – die höchste „Decke“, nach der sie sich strecken dürfen. Seit allerneuester Zeit können sie auch Militärakademien absolvieren und erhalten danach sofort den Leutnant-Titel.

Für viele Frauen würde sich ein derartiges Studium allerdings kaum lohnen. Dabei vergehen fünf Jahre, die nicht als Dienstzeit angerechnet werden. Reine Frauenbataillone, meint der Politruk, gäbe es nicht in der russischen Armee und könne es auch nicht geben, weil der größte Teil des militärischen Handwerks doch in schwerer physischer Arbeit bestehe: „Wenn eine Frau zum Beispiel als Funkerin arbeitet, dann fährt sie mit drei Soldätchen im Jeep, die für sie die schweren Antennen montieren.“

Und plötzlich überrascht uns der Politruk durch eine philosophische Begleitbetrachtung: „Daß Frauen bei uns überhaupt in der Armee arbeiten, das ist natürlich in gewissem Umfang eine Tragödie, denn die eigentliche Aufgabe der Frau besteht doch mit Sicherheit darin, Kinder zu gebären und sie aufzuziehen.“

Swetlana stimmt ihm voll zu: „Ich sehe die Dinge realistisch. Ich habe ein Kind und möchte, daß es Bananen ißt. Wenn nicht mein Mann und ich beide arbeiteten, könnte ich die meiner Tochter nicht kaufen. Ganz zu schweigen davon, daß wir uns aufgrund der Doppelarbeit ein Auto anschaffen konnten.“

Nach der Mittagspause sind auf dem Dach des einen Verwaltungsgebäudes Arbeiter erschienen, die dem eingemauerten „Ruhm der KPdSU“ mit Spitzhacken zu Leibe rücken. „Das ist schwer rauszuhauen“, bemerkt unser Politruk schadenfroh. Unser Fotograf Vadim bittet ihn, einige der Frauen in den nächsten Tagen doch noch einmal zum Springen zu bewegen, damit er sie nicht nur mit Übungsattrappen, sondern mit „lebendigen Flugzeugen“ fotografieren könne.

Der Politruk ist von dem Vorschlag nicht sonderlich begeistert und macht sich widerstrebend daran, die Sachlage zu klären. „Na ja, wenn Sie wollen, schnappen wir uns übermorgen früh drei Mädels und fahren noch mal raus – oder besser zwei, dann sind wir zwei Pärchen, und das kann ganz lustig werden“, lenkt er schließlich grinsend ein. „Na dann bis morgen, Genosse oder Herr Oberstleutnant?“ verabschiedet sich Vadim.

„Genosse, etwas anderes kommt nicht in Frage.“