"Neue Technik"

■ betr.: "Neue Technik, Embryoskopie", taz vom 8.7.93

betr.: „Neue Technik ,Embryoskopie‘“, taz vom 8.7.93

Die „Wahrheit“ ist eine interessante Seite, eine lustige, anders als die übrigen der taz allemal. Da steht etwas über klimatisierte Telefonzellen, über einen Vampir-spielenden Rentner, ein Cartoon. Alles eben interessant, lustig, anders. Genauso wie der kleine Bericht über die Embryoskopie. Ein Verfahren, das Aufschluß über „Abnormalitäten des Embryos im frühesten Stadium“ geben kann. Ein Verfahren, das endlich auch genetische Defekte aufdecken kann, die mit anderen Verfahren verborgen blieben. Alles eben interessant, lustig, anders.

Mal im Ernst: Die taz lieferte mit diesem Artikel einen weiteren Beitrag zur allgemeinen Behindertenfeindlichkeit. Kein Wort über die Konsequenzen, die die Entdeckung „genetischer Schäden“ im allgemeinen hat: Der Embryo wird als lebensunwert klassifiziert und abgetrieben. Aber das schreibt die taz nicht. Die Alternative wäre gewesen, die Informationen aus der dpa-Meldung entsprechend zu kommentieren oder gar nichts zu schreiben. [...] Thomas Vossmann, Oldenburg

Zwischen „glücklichen Franzosen“ und „leidenschaftlichen Gelegenheitsvampiren“ kündet Ihr von einer neuen Technik. Einigen beherzten Wissenschaftlern ist es gelungen, die ersten fotografischen Aufnahmen einer neuen Spezies Mensch, dem Rechtssubjekt Fötus, zu schießen. Lieferte die Ultraschalltechnik bisher nur „verschwommene“ Positivitäten, können wir von nun an eben jenes sichtbar gemachte autonome Individuum direkt behandeln. Heureka! Daß dieses (und andere) Verfahren „Aufschluß“ geben kann über eventuell vorhandene „Abnormalitäten“ des „Embryos“, wird von den Vertretern der sogenannten „Neuen (sic!) Ethik“ sicherlich wohlwollend aufgenommen werden. Dient es doch, wie alle gynäkologischen Strategien, zum Wohle der Menschheit und natürlich den Frauen insbesondere. Den Frauen, denen auch schon mal von der gleichen Medizin die „therapeutische Amputation der Brust“ empfohlen wird, sollten sie sich mit Krebsängsten plagen.

Brachten diese erlösende Nachricht leider nur Eure Kollegen von der BZ, so habt Ihr es nicht versäumt, Ende Mai vom „Konservierungsrekord großer, lebender(!) Körperteile“ durch Mikrochirurgen der Berliner Universitätsklinik zu berichten. Daß es sich bei diesen „großen, lebenden Körperteilen“ um „Gewebelappen aus Haut, Knochen und Muskeln aus den Vorderfüßen von Schweinen“ handelt, tut vorläufig nichts zur Sache und wird höchstens Herren vom Schlage eines Peter Singer empören, der ja ein bekennender Vegetarier ist.

Den scheinbaren Rückschlag auch für die Transplantationsmedizin durch den fehlgeschlagenen Erlanger Menschenversuch an Marion Ploch können die mit der Macht zum Leben befaßten verschmerzen, und die Frauen werden es im Falle einer Schwangerschaft schließlich einsehen, daß bei der „Embryoskopie“ winzige „Endoskope“ in ihren Leib eingeführt werden müssen, schließlich sind sie für die „genetische Identität“, die dort heranreift, per Beratungsgesetz verantwortlich.

Die von Euch unkommentiert übernommene dpa-Meldung vom 8.7.93 erscheint auf der Seite mit dem schönen Titel „Wahrheit“. Eben. „Dieser Wille zur Wahrheit stützt sich ..., auf eine institutionelle Basis: er wird zugleich verstärkt und ständig erneuert von einem ganzen Geflecht von Praktiken wie vor allem natürlich der Pädagogik, dem System der Bücher, der Verlage und der Bibliotheken, den gelehrten Gesellschaften einstmals und den Laboratorien heute“ (Michel Foucault, „Die Ordnung des Diskurses“). Martina Diemling, Berlin