■ Der Chemieindustrie gelang es, das geltende PVC-Verbot in Hessen mit einer geschickten Kampagne zu kippen
: Lehrstück für Lobbyisten

Drei Jahre lang hatte die PVC-verarbeitende Industrie in Hessen Zeit, die Konsequenzen aus dem 1990 von allen Landtagsparteien verabschiedeten Antrag auf „schrittweisen“ Ausstieg aus der Verwendung PVC-haltiger Materialien beim Neubau von Sozialwohnungen und öffentlichen Gebäuden zu ziehen. Und die Industrie hat Konsequenzen gezogen: mit einer beispielhaften Kampagne zur Eliminierung der vielbeschworenen Formel vom „Primat der Politik“. Das (er-)sparte den Herstellern von Bodenbelägen und Fensterrahmen Zeit und Geld für die ökologisch notwendige und politisch (eigentlich) erwünschte Forschung nach Substituten für den aggressiven Werkstoff PVC aus den Chemieküchen aller Giganten – von BASF bis zur Hoechst AG.

Die von der Chemieindustrie und der IG Chemie erst vor knapp drei Monaten gestartete Kampagne gegen den beschlossenen „Einstieg in den Ausstieg aus der Chlorchemie“ in Hessen orientierte sich erfolgreich an US-amerikanischen Standards: Ein mit Wissenschaftlern aus den Laboratorien der chemischen Industrie bestückter Kongreß zum Thema „PVC – ein unverzichtbarer Werkstoff!“ in Wiesbaden bildete den Auftakt. Nur eine Woche später zogen ArbeitnehmerInnen nicht nur aus den PVC-verabeitenden Betrieben des Landes in Massen durch die hessische Landeshauptstadt und vor das Umweltministerium, um gegen die „Vernichtung von Arbeitsplätzen durch das PVC-Verbot“ zu protestieren. Daß CDU und FDP im Landtag aus politischen Gründen auf den angefahrenen Kampagnenzug aufspringen und die umgehende Aufhebung des Beschlusses von 1990 fordern würden, war für die Lobbyisten aus Hoechst und Hanau einkalkulierte Selbstverständlichkeit. Um auch noch die SPD über den Tisch ziehen zu können, krallte man sich in Hanau – dem Sitz der PVCverarbeitenden Firma Dunloplan – den Landtagsabgeordneten und Fraktionsvorsitzenden Lothar Klemm aus Hanau. Das Gespenst der Massenarbeitslosigkeit im eigenen Wahlkreis vor sich sehend, leistete Klemm vor Ort kaum noch Widerstand: Das PVC-Verbot von 1990 war für die SPD-Fraktion im Landtag plötzlich politisch nicht mehr durchsetzbar: Ende der Kampagne. Und Einfahren der „Ernte“ gestern im Landtag.

Daß auch die Mandatsträger der Grünen aus Gründen der „Koalitionsräson“ den von der SPD nun präsentierten wachsweichen Kompromiß mitgetragen haben, wird der Partei in Umweltschutzverbandskreisen und an der Parteibasis als „Einknicken vor der Chlorchemieindustrie“ hart angekreidet. Krach bei den Grünen? Für die Chemieindustrie ein hübscher Nebeneffekt der erfolgreichen Kampagne: Am giftigen PVC sollte die rot-grüne Koalition in Wiesbaden nicht zugrunde gehen, verteidigten sich gestern die Grünen im Landtag. Vielleicht hätte das die SPD ähnlich gesehen, wenn die Grünen hart geblieben wären – aber nur vielleicht. Klaus-Peter Klingelschmitt