Mann, wo ist dein Punkt?

■ taz-Serie Neuer Mann Teil II: von Erektionen und Initiationen

Mann, wo ist dein Punkt?

taz-Serie Neuer Mann Teil II: von Erektionen und Initiationen

Er ist so etwas wie ein Bremer Spezialist für den bewegten Mann. „Zehn Jahre Männerarbeit, da hat man viel gelernt über den Geschlechterkampf“, sagt Thomas Jürgens. So lange arbeitet er als Männerberater bei der zu Unrecht meist nur für ihre ambulante Abtreibungspraxis bekannte Bremer „Pro Familia“.

Ein großes Thema ist die Sterilisation; oft kommen die Männer zu ihm, wenn nebenan ihre Partnerinnen abgetrieben haben, und erkundigen sich nach dieser ultimativen Empfangnisverhütung. „Das Motiv ist häufig das schlechte Gewissen,“ weiß Jürgens; aber er diagnostiziert auch bisweilen „Ritterlichkeit, altes Kavaliertum“, welche den Mann zum Skalpell treiben. In gewissen Kreisen sei es direkt Mode, sich sterilisieren zu lassen: Für den Typus Lehrer Ende 30 bestehe eine Art kollektiven Gruppenzwangs. Hauptsorge der Männer ist immer noch: Was wird aus der Potenz? Jürgens nimmt die Frage so ernst, wie sie gestellt wird, geht es doch nicht nur um Erektion und Ejakulat, sondern auch um die freiwillige Aufgabe einer Machtposition, nämlich der Zeugungsoption. Jürgens: „Da gilt es dann oft, biografisch Bilanz zu ziehen.“

Zehn Jahre Männerarbeit: Haben sich die Nöte der Männer verändert? Haben sich die Männer verändert? Singles kommen immer mehr in die Beratung, die nicht mehr wissen, wie man eine Sexpartnerin findet, hat Thomas Jürgens festgestellt. Ihnen helfen auch die neuerdings in Bremen gefeierten riesigen Kontakt-Parties nicht: Sie haben keine gültigen Verhaltensmuster der „Anmache“ mehr. Besteht dann mal eine Partnerschaft, hat die Not immer noch kein Ende; auch im Bett gibt es für den Mann akute Verhaltensprobleme. Das alte Spiel vom Macho und dem lockenden Weib läuft nicht mehr. Heute muß jede sexuelle Handlung ausgehandelt werden — „eine Chance, aber auch viel Arbeit, viel Ärger.“

Spät, sehr spät gehen Männer zur Beratung. „Meist schlafen sie schon drei Jahre nicht mehr mit ihrer Frau und haben mittlerweile einen inneren Aktenordner angelegt,“ beschreibt Jürgens die Misere. Selten, daß mal einer mit einem akuten Problem reingeschneit kommt: „Ich begehre, aber der Schwanz will nicht.“ Die Erektionsfrage ist nach wie vor zentrale Metapher fürs Männerleiden. Der Mann, findet Jürgens, schafft es einfach nicht, immer nur der zärtliche Liebhaber und Freund aller Kinder zu sein. Die „Regression“ in den Schoß der Familie geht allzuoft schief, Mann geht baden, und seine Erektion gleich mit. Man denke an die triste Konstruktion des Hausmanns. „Wo ist dein Punkt in der Welt?“ fragt Jürgens den verunsicherten Mann.

Der „Punkt in der Welt“ ist auch für Bremer Männer immer häufiger ein Punkt im Wald. Die neueste Männerbewegung: Auf dem Weg zum Neuen Mann greifen sie zu Schlafsack und Isomatte, um zitternd zwischen Mäusen, Igeln und Rehen zu übernachten. Von Mücken zerstochen ist ihr einziger Trost: die Brüder sind nahe. Sie meditieren, bekritzeln Papiere mit Wünschen und vergraben sie. Sitzen am Lagerfeuer und üben sich in Initiationsriten. Schon lästert der Berliner „Informationsdienst für Männer“, daß es an der Zeit sei, daß „der Wald endlich mal wieder zur Ruhe kommt“.

Burkhard Straßmann