Bananenmusik für die Metropolen?

■ Der Rohstoff Sound ist ein Importschlager: Peter Schulze, Jazzredakteur bei Radio Bremen, über Wohl und Wehe der "Weltmusik"

Festivals noch und noch, Roots-Nights im Schlachthof, CDs über CDs: Die „Weltmusik“ ist mächtig am Zirkulieren; die Frage ist, was die Musiker davon haben. Auch im Heimatsender sind Obertonsänger aus Tuva und Mbira-Virtuosen aus Zimbabwe zu hören, hauptsächlich in der „Globalen Dorfmusik“ werktäglich um fünf nach zehn. Die taz sprach mit dem Jazzredakteur Peter Schulze über Macht und Ohnmacht der Vermarkter.

Was unterscheidet die „Weltmusik“ von der Banane? Beide machen nur die Metropolen satt.

Peter Schulze: Da ist eine Menge dran, ganz abgesehen davon, daß der Begriff nichts besagt; das ist ein Vermarktungslabel, ausgedacht von diversen Firmen, ich glaube es war im Sommer 87. Seither fällt da alles drunter, was nur irgendwie ethnisch ist. Und weil solche Begriffe gleich ihre eigenen Klischees mitproduzieren, gibt es heute schon eine Menge Leute, die gezielt „Weltmusik“ herstellen oder mit ethnisch beliebigen Materialien hantieren.

Zum Beispiel?

Na, der Stefan Micus, der da seit Jahren mit großer Beliebigkeit archaische Instrumente verwendet, die eigentlich großen Respekt verdienen. Die Shakuhaachi, diese ganz einfache japanische Bambusflöte, wo in Japan die Schüler zehn Jahre an einem einzigen Ton üben, über ihn meditieren, bis ihnen der Meister den zweiten zugesteht - da hat dann auf kleinstem Raum ein ganzer Kosmos Platz. Wenn allerdings Micus hergeht und einfach losbläst, dann wird das schon ein bißchen verramscht. Allerdings sind schon immer exotische Materialien in die populäre Musik eingeflossen; denken wir nur mal an den Tango oder den Bossa Nova. Lauter Injektionen, mit denen sich ausgelaugte Musik wieder belebt und interessant macht.

Aber den Gewinn des musikalischen Welthandels tragen nicht die Musiker davon.

Richtig. Aber der musikalische Welthandel, das ist der internationale Popmarkt, der spielt sich anderswo ab. Was es gibt, das ist ein weltmusikalischer Handel, der auf vergleichsweise immer noch kleiner Flamme kocht. Auch gibt es da noch Leute, die weniger zynisch vorgehen und sich um die Rechte der Produzenten kümmern. Aber die Zentren sind natürlich eher in Berlin oder London und keineswegs in den Herkunftsländern.

Halten sich denn heutzutage, wo alle Musik der Welt als Material zirkuliert, noch unberührte Gebiete?

Die gibt es sicherlich, wenn man mal annehmen will, es gäbe überhaupt etwas Unberührtes, etwas Authentisches im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. Lassen Sie uns da lieber von Persönlichkeiten sprechen. Ein Glenn Gould etwa ist authentisch, eine musikalische Kategorie kann es nicht sein.

In den Plattenläden sucht man aber doch weniger die Persönlichkeiten aus Simbabwe als vielmehr den Kick der Ferne.

Ja, das Echte und Entlegene. Nur findet man's nicht. Wenn wir ein Obertonensemble aus Tuva einladen und lassen die Leute hier im Überseemuseum singen, was ist da echt dran? Die Technik, na gut, das kriegen hiesige Obertonchöre auch noch so eben hin. Aber sonst? Die Tradition ist fern, der Zusammenhang weg. Aber die Frage nach der Echtheit stellt sich gar nicht. Es handelt sich um die Chance des Kennenlernens über's Akustische hinaus; deswegen finde ich Konzerte da wichtiger als Konserven. Und selbst wenn wir solche Sachen nur senden, zum Beispiel in unserer „Globalen Dorfmusik“, freuen sich hinterher die Leute, weil sie was gehört haben, was sie sonst nirgendwo hören können. Das hat für die Leute schon auch eine grundsätzliche Bedeutung; man will sich über musikalische Vorlieben ja auch nach außen hin definieren.

Warum nicht mit eigenem, selbstangebautem Material?

Nun ja, die meisten Formen der westlichen Musik sind nahezu bedeutungslos geworden. Das hat vielleicht auch damit zu tun, daß wir ja, was das musikalische Material betrifft, geschlagen sind mit einem universellen Kompromiß, der sogenannten wohltemperierten Stimmung; sie fördert zwar die Mehrstimmigkeit, zu ihren Gunsten ist aber der unterschiedliche Charakter der Tonarten aufgegeben worden. Sie klingt immer ein bißchen unstimmig und ist einfach die uninteressanteste von allen Möglichkeiten. Vieles Ethnische aus allen möglichen Ländern hört sich da einfach aufregender an.

Unsere zeitgenössischen E-Musiker werkeln doch auch mit ausgefeilten Stimmungsverhältnissen und exorbitanten Rhythmen. Aber offensichtlich hausen sie noch entlegener als der Gamelanspieler in Indonesien.

Es gibt ja diese ganze Avantgarde im Sinne einer Vorhut nicht mehr. Wovor sollten die auch noch herlaufen? Das verliert sich und zerfällt in viele einzelne Perspektiven. Die Neue Musik als Avantgarde ist ja in den Siebzigern schon vollständig zusammengebrochen. In der Popmusik wird immer weniger Produktivität entfaltet für immer mehr Leute und am Ende gar nichts für alle, in der E-Musik dagegen leider alles für niemanden. Jetzt sucht man wieder nach einfacheren Formen, die eher geeignet sind, Bedeutung für die Menschen zu erlangen. Arvo Päärt findet sie eher im Religiö

Peter Schulze: „Die meisten Formen der westlichen Musik sind bedeutungslos geworden“Foto: JO

sen, das Kronos-Quartett zur Zeit eher in der ethnischen Musik.

Gerade das Kronos-Quartett hat mit „Pieces of Africa“, mit Stücken afrikanischer Komponisten also, seinen bisher größten Erfolg gehabt. Kritiker sagen, das sei für beide Seiten beschämend gewesen, die Streicher seien ja weit unter ihren Möglichkeiten geblieben.

Im technischen Sinn sicherlich. Aber das kann nicht das Kriterium sein. Es gibt ja Stücke, die technisch gar nix verlangen, und doch sind sie unglaublich schwer zu interpretieren.

Auch leichter zu „verstehen“ als all die Neutöner, mit denen man so eine Ochsenarbeit hat.

Sofern es da überhaupt noch etwas zu verstehen gab. Es ist schon wahr, wir haben einen großen Bedarf an Verständlichkeit.

Aber fremd und fern soll das Vertraute schon auch sein. Das ist der gute alte Massentouris

hierhin bitte

den Mann mit Schnauzbart

vor der Leselampe

mus, hier durch die Welt der Sounds.

Es gibt da wirklich Analogien. Erst kommen die Explorer...

...dann die Konquistadoren.

Ja. Die Frage ist aber, ob das diese Musik in ihrem Innersten treffen kann. Das bezweifle ich, solange sie von Persönlichkeiten getragen wird. Und sie wird ja auch gefördert durch diese weltweite Verbreitung. Wer hätte etwas von Kevin Volans gehört ohne das Kronos-Quartett?

Die bayerische Weltmusik ist schon als erste zu Boden gefördert worden.

Aber es gibt ja auch die Well-Buben, die „Biermösl-Blosn“ und alles mögliche. Da macht man das Material wieder lebendig. Man würde die Möglichkeiten der Produzenten weit überschätzen, wenn man glaubte, die könnten alles aus der Musik herauspressen. Weit gefährlicher als ihre eigene Vermarktung ist der „Weltmusik“ die internationale

Popmusik geworden, indem sie deren Herkunftsländer erobert; da geht man zum Beispiel durch Mombasa und hört nur noch Hitparade. Dabei hat die internationale Musik kein Leben, außer es kommt aus den regionalen Quellen. Fragen: schak