Pure Göttin in Originalfassung

Retrospektive mit frischen Marilyn-Monroe-Filmen im Delphi und Broadway  ■ Von Anke Westphal

Am 5. August 1962 rollen zwei Beamte der West Los Angeles Police eine Bahre, auf der ein zugedeckter Körper liegt, aus dem Haus 12305 Fifth Helena Drive. Die da weggetragen wurde, verhilft noch dreißig Jahre nach ihrem Tod selbsternannten Freunden und einem Deutungsimperium von Biographen zu Wohlstand und Wichtigkeit: Marilyn Monroe, 1,65 Meter groß, 117 Pfund Gewicht, 36 Jahre alt.

Truman Capote hielt sie – ein bißchen hochnäsig – nur für „ein wunderschönes Kind“, vielleicht aus Rache für die Blamage als Tanztrottel an der Seite der Göttlichen. Für die Schauspiellehrerin Constance Collier stellte Marilyn eher ein „ganz spezielles Problem“ dar. Die altersschwachen Augen der viktorianischen Miss Collier haben wenig später wohlgefällig auf Marilyn geruht, als diese die Ophelia mimte, obwohl „das Kind ja keine Ahnung von Disziplin und Opfer“ hatte. Die etwas zu euphorische Erinnerung an Marilyn als Ophelia muß wohl eine dieser heimholenden Beleidigungen sein, die man unzuträglicher Materie zufügt, speziell wenn sie nur so in Charisma schwimmt. Man denke nur an die in ihrer Ernsthaftigkeit geradezu lächerlichen Interpretationen jenes legendären Fotos, welches Marilyn im Schoße der Natur über „Ulysses“ gebeugt zeigt – der beeindruckende Busen überm Druckwerk von dessen Inhalt so gut wie geläutert. Gipfel des intellektuellen Kitsches stellt jedoch die Wehmut über die gescheiterte Ehe mit Arthur Miller dar – ach, sie hat wieder mal nicht sollen sein, die Explosion des Kreativen via Paarung von Schön und Klug.

Dabei wußte gerade Miller es besser: Marilyn sei eine Frau, die mittels Kleidern „offen erklärte, daß sie ihren Körper mitgebracht hatte“. Schönheit, selbst wenn sie sich durch Seele rehabilitiert, ist offensichtlich schwer zu ertragen, die mit Schönheit geschlagene Person so etwas wie eine einzige Problemzone für die Mitwelt. Schön gleich doof kennt man. Sympathischer allerdings ist schön und unglücklich – wie im Falle Marilyn, wo ein nachgereichter Medienmythos sich über nicht ganz dreißig Filmen erhoben hat wie der Dschinn über der Wunderlampe im Märchen von Tausendundeiner Nacht. Das Zusammentreffen von Jugend, neiderregender Wohlgestalt, Erfolg und Unglück (sprich Affären, Sucht, Einsamkeit und was sonst so allgemein für Unglück gehalten wird) im Leben dieser Frau lieferte der Öffentlichkeit die Folie für das Klischee eines sich selbst aufzehrenden Lebens, das nach dem Tod nur noch strahlender, weil eben unkorrigierbar aufersteht. Die Marilyn aber, die einmal gelebt hat, entzieht sich wie jede Ikone mehr und mehr den penetranten Wahrheitsjägern.

Ihr Leben bietet reichlich Stoff, um die Schicksalsmelodie zu klimpern. Die Mutter Gladys Pearl Baker weist man wegen schwerer Depressionen ins Irrenhaus ein. Im Waisenhaus und bei wechselnden Pflegeeltern aufgewachsen, wird Marilyn als Fabrikarbeiterin für Werbefotos entdeckt. Sie fällt dem allmächtigen Ben Lyon von der 20th Century Fox auf, während sie im Besetzungsbüro herumsitzt. Marilyn Monroe ist dreimal verheiratet und von allen wahrt allein Joe Di Maggio, der zweite Ehemann, distinguiertes Schweigen über sein Leben mit dem Wunder. Marilyn gilt als unpünktlich – sie kommt Stunden, Tage zu spät zu den Dreharbeiten – schlampig, unsicher, ängstlich, wunderschön. Das meint nicht einfach äußere Perfektion, denn eigentlich ist alles an ihr zuviel: das Tippeln, die Blauäugigkeit, das Blond und das Make Up. Wenn sie spielt, trifft tiefdekolletiertes Staunen auf einen liebesfähigen Stolz, der über Prinzipien vollkommen erhaben ist. Man weiß, die Monroe wird doch die Doofe sein, die dem zwar anständigen, aber leider nur mäßig bemittelten boy next door in irgendein Kaff folgen wird, obwohl sie eigentlich ein Leben in Luxus und Müßiggang geplant und verdient hat. Das ist komisch, aber immer auch ein bißchen traurig, wie die billigen Trodeln und Kunstblumen an Marilyns Ausschnitt, wie der tüllene Fischschuppenbody aus „Bus Stop“ oder der Zopfpullover aus „Let's Make Love“, in denen sie wie eine frisch enteignete Königin posierte. Der Fotograf Sam Shaw brachte es auf den Punkt: Marilyn habe die Schönheit als Übertreibung im Film eingeführt. Das Remake der Jetztzeit kommt einem da schon weit weniger sexy vor. Wo Marilyn die platinblonde Vamp-Seele als Original installiert, verblaßt die usurpierte Fortsetzung „Vamp, Tramp, Superstar, Madonna“ (Rolling Stone) in der Profanisierung der Verkünstlichung, im überanstrengten „revamping of styles“ wohl zwangsläufig. Marilyns früher und verrätselter Tod bewahrte sie anscheinend vorm Verschlissenwerden in der Unterhaltungsindustrie, mag es noch so viele Marilyn-Retrospektiven, hoffende Marilyn-Doubles, sündhaft teure und schöne Marilyn-Bildbände und kuriose Marilyn-Biographien geben. Ist Schönheit das Scheinen einer Idee, so kann man Marilyn als ebenso inszenierte wie selbstvergessene Schönheit lesen, die pralle Sinnlichkeit im Stande der Unschuld läßt und gleichzeitig jenem totalen Überschwang von Glamour und Einfachheit verfällt, der Verletzlichkeit suggeriert. Man kann sich aber auch einfach an ihrem Anblick freuen und an ihrer Stimme, die weit weniger piepste, als es die deutsche Synchronisation weismachen will. Derzeit zu sehen und zu hören: acht Mal pure Göttin in Originalfassung und neuer Kopie.

Marilyn-Festival: Monkey Business, Niagara, How To Marry A Millionaire, Gentlemen Prefer Blonds, River Of No Return, The Seven Year Itch, Bus Stop, Let's Make Love; bis zum 4.August im Delphi, anschließend 14 Tage im Broadway