: Ein Mann für vier Frühlingszeiten
Nach dreizehn Jahren in der spanischen Diaspora bestreitet der Fußballer Bernd Schuster am Sonntag beim Supercup gegen Werder Bremen sein erstes Pflichtspiel für Bayer Leverkusen ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) – „Langsam und perfekt waren die Bewegungen seines Körpers, bevor der geniale Maestro des blauroten Orchesters mit seinem rechten Fuß gegen den Ball stieß und den Höhepunkt der Nacht herbeiführte. Ein Tor in adagio.“ Der geniale Maestro, von dem die spanische Presse in solch elegischen Tönen schwärmte, war ein gewisser Bernd Schuster, der beim FC Barcelona gerade seine fußballerische Blütezeit erlebte.
Einige Jahre zuvor, als der spätere „Don Bernardo“ am 9. November 1980 zum erstenmal ins Nou-Camp-Stadion einlief, hatte er auf Anhieb die Massen entzückt und gleichzeitig demonstriert, welchen stilistischen Fehler Günter Netzer begangen hatte, als er zu Real Madrid gewechselt war. Besonders im Flutlicht korrespondierte die blonde Mähne des damals 20jährigen Fußball-Halbstarken auf fast magische Weise mit den blauen und granatroten Streifen des Barça-Trikots. Und jedesmal, wenn das unterste, aus zwei Füßen bestehende Ende des leuchtenden Schopfes mit dem Ball in Berührung trat, sprang ein elektrisierender Funke auf die Zuschauer über. Sie wußten, gleich würde etwas Erstaunliches passieren: ein millimetergenauer langer Paß in den Lauf eines Mitspielers, ein dynamisches Dribbling, ein krachender Schuß oder ein fast beiläufiger Kurzpaß, der dem Angespielten plötzlich ungeahnte Räume öffnete. „Er spielt das Einfache genial“, faßte Hennes Weisweiler einmal die fußballerische Kunst Bernd Schusters zusammen, die ihn – trotz der Verpflichtung eines Maradona – fast acht Jahre lang zum unangefochtenen König des Nou Camp werden ließ – auch und gerade, wenn er aus diversen Gründen wieder mal nicht spielte. Ebenso simpel sieht es der Maestro selbst: „Die Leute sind immer viel ruhiger, wenn ich spiele. Sie sagen: ,Geben wir den Ball einfach dem Deutschen, der macht schon was.‘“
Der aufgebrühte Tee- beutel und die Platzhirsche
Bernd Schuster ist zweifellos der begnadetste deutsche Fußballer nach Franz Beckenbauer und hätte mit seinen spielerischen Fähigkeiten mühelos einen Platz in der „Hall of Fame“ der größten Spieler aller Zeiten erlangen können. Doch so dominierend er auf dem Spielfeld war, so empfindlich reagierte er stets, wenn ihm widrige Winde entgegenbliesen. Dem Wettstreit der Platzhirsche, wie er in der Nationalmannschaft immer wieder tobte, verweigerte er sich ebenso wie der üblichen Cliquenklüngelei und den bösen Spielchen der Presse. Statt sich mit Breitner, Rummenigge, der ihm „die Intelligenz eines aufgebrühten Teebeutels“ nachsagte, oder Matthäus rumzuärgern, zog er es vor, sich im fernen Spanien in Ruhe seiner wachsenden Familie und dem Klavierspiel zu widmen. Nicht zufällig kam es 1981 zum ersten Eklat mit Bundestrainer Derwall, weil Schuster nach dem verlorenen Länderspiel gegen Brasilien in Stuttgart lieber mit seiner Frau essen ging als einem Kameradschaftsabend der Nationalspieler im Hause von Hansi Müller beizuwohnen.
Nach einem kurzen Intermezzo war es im Februar 1984 endgültig aus. Wieder hatte es böses Blut gegeben, als Schuster, anstatt zum EM-Qualifikationsspiel nach Albanien zu reisen, bei seiner Frau blieb, die ihr drittes Kind erwartete. Gegen Belgien bestritt er 24jährig sein 21. und letztes Spiel in der Nationalmannschaft. Während ähnlich begabte Zeitgenossen wie Diego Maradona und Michel Platini bei den großen Turnieren Ehre und Ruhm einheimsten, ließ es sich Schuster in seinem Haus auf Ibiza wohl sein, erklärte die spanische Meisterschaft 1985 trotzig für „wichtiger als einen WM-Titel“, landete mangels spektakulärer Siege selbst bei den Wahlen zu Europas Fußballer des Jahres meist unter „ferner liefen“ und ging gemeinsam mit dem Nordiren George Best als der Spieler in die Geschichte ein, der, gemessen an seinem Talent, die wenigsten internationalen Erfolge errungen hat.
Alles weitere wird durch den Dienstplan geregelt
Die Europameisterschaft 1980, die ihm zu weltweitem Ansehen und zum Vertrag mit dem FC Barcelona verhalf, sowie elf spanische Titel, darunter allerdings nur drei Meisterschaften (eine mit Barça, zwei mit Real), stehen zu Buche, eine eher magere Ausbeute, die der spanische Journalist Julio-César Iglésias auf die „Bürokratenseele“ des Deutschen zurückführt, die im krassen Widerspruch zur Kreativität seiner Füße stehe: „Er geht nicht ins Stadion, um Schlachten zu gewinnen, sondern um seine Arbeit zu tun.“ Eine sehr gut bezahlte Arbeit im übrigen. Sorgfältig achtete die Familie Schuster darauf, daß sie nicht in Gefahr geriet, darben zu müssen. Mit seinen Vereinswechseln wartete der blondeste aller Engel stets solange, bis er ablösefrei war und den entsprechenden Betrag selbst einsacken konnte. Sein Vermögen mehrte sich, und die Zeitung La Vanguardia schätzte es schon 1990 auf 27 Millionen Mark.
Als Bernd Schuster sein Debüt im Nou Camp gab, hatte er schon eine relativ bewegte Karriere hinter sich. So sehr er sich nach privater Ruhe und Harmonie sehnte, so stur konnte er sein, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte und sich vorgenommen hatte, das durchzusetzen, was die Spanier einen typisch deutschen „cabeza cuadrada“ nennen. Als er 1978 in die Bundesliga wechselte, unterschrieb er vorsichtshalber zwei Verträge, einen bei Borussia Mönchengladbach und einen beim 1. FC Köln. Ein Lapsus, wie er ihm nicht mehr passierte, nachdem Gattin Gaby, die er mit 19 ehelichte, sein Management übernommen hatte, was die Männerriege des deutschen Fußballs mitten ins patriarchalische Herz traf.
Nach einigen juristischen Querelen machten die Kölner das Rennen, allzu lange konnten sich aber auch sie nicht ihres neuen Wunderspielers erfreuen. Schuster-Fan Weisweiler ging nach New York und mit Nachfolger Heddergott geriet der nach einer glanzvollen EM 1980 noch selbstbewußter gewordene Jungstar alsbald aneinander. Schuster nannte den Coach eine „Flasche“ und wollte weg. Köln wollte ihn nicht lassen, doch als er in der Bundesliga einen mysteriösen Leistungseinbruch erlitt, durfte er doch für 3,6 Millionen Mark nach Barcelona ziehen.
Dort war er zunächst nicht sonderlich willkommen, da ihn die Spieler als unliebsamen Konkurrenten ansahen, der Österreicher Hans Krankl seinetwegen die Koffer packen mußte und Trainer Ladislao Kubala vor dem Transfer nicht einmal gefragt worden war. Kubala wurde jedoch alsbald durch Helenio Herrera ersetzt, Schusters Debüt, vier Tage nach einer 0:4-Niederlage im Europacup – gegen den 1. FC Köln –, versetzte das Publikum in Euphorie und bald hallte das riesige Stadion regelmäßig von „Schuster, Schuster“-Sprechchören wieder. Ein Name, der den katalanischen Zungen der „cules“ (Ärsche), wie die Barça-Fans genannt werden, weil man im alten Stadion von der Straße aus nur ihre Hinterteile sah, nicht gerade flüssig von den Lippen geht.
Es folgten turbulente Jahre. Der Putsch des Oberstleutnants Tejero, die Entführung des Barça- Stürmers Quini, die Untaten des Basken Goikoetxea, der erst Schuster das Knie zertrat, später dem gerade von einer Hepatitis genesenen Maradona den Knöchel, und so verhinderte, daß das Traumduo Schuster-Maradona jemals richtig zur Entfaltung kam. Als beide wieder richtig gesund waren, spielte der Argentinier in Neapel, Schuster war der unangefochtene Chef und absolvierte „im Zustand der Gnade“ (El Pais) seine beste Saison, die 1985 von der Meisterschaft gekrönt wurde – die erste für den FC Barcelona seit 1974, dem großen Jahr des Johan Cruyff.
Typisch für Barça, begann es zu kriseln, als eigentlich alles zum besten stand. Bei Prämienverhandlungen überwarf sich Mannschaftskapitän Schuster mit dem Präsidenten Josep Lluis Nunez, wollte erst unbedingt den Verein verlassen, dann, als dieser ihn nach Marseille verscherbeln wollte, plötzlich nicht mehr, und meldete sich schließlich krank. Kaum wieder gesund, kam das unselige Europacupfinale von Sevilla, das der FC Barcelona gegen Steaua Bukarest im Elfmeterschießen verlor. Nach seiner Auswechslung verließ Schuster wutentbrannt das Stadion und Nunez tobte: „Ich will diesen Kerl nie wieder in unserem Trikot sehen“. Er meldete seinen Star, für den er, wie er später vor Gericht sagte, mehr getan habe als für seine Kinder, einfach beim Fußballverband ab und versuchte ihm sogar eine Art Geisteskrankheit anzuhängen.
Der Papst kam nicht zur Schuster-Demo
Schuster klagte vor dem Arbeitsgericht auf Vertragserfüllung, verlor zwar den Prozeß, aber führte den Fans während seiner fast einjährigen Abwesenheit drastisch seine Unentbehrlichkeit vor Augen. Woche für Woche spielte die Liga-Mannschaft mit den Briten Lineker und Hughes gottserbärmlich, Schuster brillierte indes in der B-Mannschaft und beim Training, daß den Betrachtern die Augen übergingen. Das Barça-Mitglied Nummer 41.492 rief sogar zu einer Schuster-Solidaritätsdemo auf und obwohl weder Mitglied Nummer 108.000, Papst Johannes Paul II., noch die meisten anderen „socios“ für den ausgesperrten „Dirigenten des blauroten Orchesters“ auf die Straße gehen wollten, trug er schließlich Nunez zum Trotz doch wieder das Barça-Trikot, weil er schlicht unentbehrlich war. Zu guter Letzt versetzte er dem Präsidenten den härtesten Schlag, als er nach Erfüllung seines Vertrages ausgerechnet zum Erzrivalen Real Madrid ging, mit dem er zwei Meisterschaften holte, während Johan Cruyff in Barcelona einige Jahre brauchte, um die Trümmer zusammenzukehren.
Als Schuster 1990 von Real-Präsident Mendoza ausgemustert wurde, begann ein rapider Niedergang der Königlichen, den nicht nur Nationalspieler Michel auf die Entlassung des ruhenden Mittelfeldpols namens Schuster zurückführte. Der nahm unterdessen seinen „dritten Frühling“ (Schuster) in Angriff, und heuerte beim nächsten Erzrivalen an. Mit Atletico Madrid holte er zweimal den Cup und brachte so das Kunststück fertig, als erster Ausländer mit allen drei großen spanischen Klubs Titel zu gewinnen.
Mit dem skurril-behämmerten Atletico-Präsidenten Jesús Gil y Gil kam Schuster zunächst glänzend aus. Erst, als dieser den Portugiesen Futre verkaufte, nahezu wöchentlich die Trainer auswechselte und wegen einer Knöchelverletzung auch auf den Deutschen losging, kam es zum Eklat. Nachdem die Antibiotika der Vereinsärzte nichts gefruchtet hatten, verweigerte Schuster, ein Anhänger der „Christian-Science-Glaubensgemeinschaft“ (nicht zu verwechseln mit der „Scientology-Sekte“), weitere Spritzen und schritt zum Entsetzen der Klubführung zur Selbstheilung – „mit Gebet und Gesang“. Es funktionierte.
Die Erkenntnis, daß physische Leiden nicht nur mit chemischen, sondern auch mit geistigen Mitteln behandelt werden können, dürfte den Pillendrehern von Bayer zwar ebenso fremd sein wie Herrn Gil in Madrid, dem vierten Frühling des Bernd Schuster in Leverkusen dürfte dennoch nichts im Wege stehen. Udo Lattek steht mit seiner Meinung, daß der 33jährige „zu dick, zu langsam, zu alt“ sei, ziemlich alleine da. Zwar sind, ähnlich wie bei Maradona, auch bei Bernd Schuster die rasanten Sturmläufe durchs Mittelfeld einer bedächtigeren Spielweise gewichen, Ballgefühl, Übersicht und Improvisationsvermögen aber nach wie vor unerreicht. Allein seine Ecken und Freistöße dürften einen UEFA- Cup-Platz garantieren. Jupp Heynckes, Trainer von Athletic Bilbao, ist jedenfalls überzeugt, daß Schuster noch mindestens zwei Jahre lang „eine Bereicherung der Bundesliga“ sein wird. Auch wenn dem Maestro das Trikot von Bayer Leverkusen natürlich längst nicht so gut steht wie das des FC Barcelona.
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