Puhdys an der Grube

■ Medienereignis Bischofferode: Nach Vox, Sat.1, RTL, MDR und ZDF kommen jetzt auch die ostdeutschen Intellektuellen bei den Kali-Kumpeln angewackelt

Bischofferode (taz) – Auf dem Gelände der besetzten Kali-Grube „Thomas Müntzer“ stehen seit zwei Wochen die Aufnahmewagen von Vox, Sat.1, RTL, MDR und ZDF. „Wissen Sie, was Sie uns kosten?“ fragt launisch der Tonmann von Sat.1 einen der Betriebsräte –, „50.000 DM täglich“. Nach Ausstrahlung der ZDF-Sendung „Z“ – wie Zorro und Zündstoff – schmeißt der Sprecherrat der Kumpel das ZDF-Team vor Ort vom Platz: „Gegen eine andere Meinung haben wir nichts, aber so die Tatsachen zu verdrehen ...“ Einer der Hungerstreikenden, ein Berliner HBV-Gewerkschafter meint gar: „Das ist Prostitution, was Sie da gemacht haben!“

Von der Lokalpresse und dem Neuen Deutschland fühlen sich die Bischofferöder besser behandelt. Das Eichsfelder Tageblatt hat eine sehr schöne Sonderausgabe zusammengestellt und das ND berichtet täglich ausführlichst. Ein Artikel von Gregor Gysi, in dem er auf das positive Wirtschafts-Gutachten des Schweizer Kali-Experten Peter Arnold eingeht, wird so lange kopiert (für alle Sympathisanten, die das Kali-Werk besuchen – an guten Tagen ca. 600), bis der Kopierer im Betriebsratsbüro kaputtgeht. Das ND hatte dieses Gutachten (im Auftrag des thüringischen Landwirtschaftsministerium) einige Tage zuvor abgedruckt. Die Frankfurter Rundschau hatte dann daraus zitiert. Woraus dann wiederum dpa zitierte (das ND ist im Westen Media non grata). Die Initiative Ostberliner und ostdeutscher Betriebsräte („Ostwind“) ist zwei Mal in der Woche mit einigen taz-Autoren bzw. -Lesern „vor Ort“ und hilft beim Flugblattdrucken sowie allgemein beim Begeisterung erwecken. Nachdem der DGB Erfurt eine halbverquetschte Soli- Presse-Erklärung verfaxt hat, läßt IG Chemie-Vorsitzender Rappe im Handelsblatt verkünden: Er sei froh, daß dort jetzt der DGB das Ruder übernehme und Bischofferode nicht mehr „unter der dubiosen Flagge der Betriebsräteinitiative“ segele.

In den Vox-Nachrichten erklärt derweil der Pressesprecher des Vorsitzenden der IG Bergbau und Energie: „Die Bischofferöder sind leider aus der Solidarität ausgeschert.“ Damit auch der naivste Sympathisant in Bischofferode versteht, was damit gemeint ist, verteilt der Betriebsrat des Kali- Werks eine Liste mit den Funktionen des Vorsitzenden der IG Bergbau und Energie, Hans Berger: Sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter/ Geschäftsführer der Berg Verlag GmbH/ Geschäftsführer der Vermögens- und Treuhand- Gesellschaft der IGBE/ Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft/ Vorstand der Deutschen Montan Technologie/ Mitglied des Beirates der Emscher- Lippe-Agentur/ Aufsichtsrat der Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE)/ Aufsichtsrat der Ruhrkohle AG/ Aufsichtsrat der VEBA-AG/ Aufsichtsrat der Vereinigten Energiewerke AG/ Beiratsmitglied der Volksfürsorge Versicherungsgruppe/ Vorstand des Bergmannserholungswerkes/ Mitglied des Bundesvorstands des DGB/ Vizepräsident des internationalen Bergarbeiterverbandes/ Aufsichtsrat der BASF-Kali + Salz.

Betriebs- und Sprecherrat möchten gerne die Kampf-Übersicht behalten, aber die Hungerstreikenden wollen auch was tun. Außer permanent das Solidaritäts- Publikum zu informieren – auf besonderen Wunsch auch mit einem Schacht-Besuch: dort sieht es so sauber und ordentlich aus wie in einer guten Stube, die aus zig Kilometer langen lastwagenbreiten Hallen besteht. Die Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet, Rentner und Krankgeschriebene, sind ausnahmslos begeistert. Als die Hungerstreikenden ein Flugblatt machen, in dem sie zu landesweiten Solidaritäts-Hungerstreiks aufrufen, und dann mit Lautsprecherwagen durch das Eichsfeldische kurven, kommt es zu einer kleinen Auseinandersetzung mit dem Betriebsrat. Der ist sowieso leicht überfordert von all den Angereisten und Anrufenden (sogar aus Kalifornien, Kanada und England). Aber man einigt sich: Die Aktionen sind im Interesse aller. Noch vor zwei Wochen hatte der Betriebsrat gebangt: Wird überhaupt jemand „Solidarität zeigen“? Besonders begeistert sind die mehrheitlich in der CDU eingeschriebenen Räte von der PDS, die bis zur Beteiligung am Hungerstreik hilft – und nicht zuletzt deswegen von Kanzleramtsleiter Bohl als „Verbrecher“ beschimpft wird. Die Puhdys bringen den im Schacht mahnwachenden Frauen ein Ständchen, den Hungerstreikenden spielen Musikgruppen aus dem Harz auf – und vielen laufen dabei Tränen über die Wangen vor Rührung. Das sind die „verantwortungslosen Sozialromantiker“, wie der einzige nicht überbezahlte Treuhand-Beamte, Wolf Schöde, über den Wochenpost-Redakteur Gürtler vermelden läßt. Die Bischofferöder dürfen damit nicht durchkommen! Da sind sich Bild- Zeitung, Berliner Zeitung, Spiegel, Regierung und Treuhand einig.

Langsam kommen auch die ersten ostdeutschen Intellektuellen angewackelt – z.B. Stefan Heym, Klaus Schlesinger und Ulrich Plenzdorf zu einer Lesung. Weitere werden am morgigen Sonntag, den 1. August, auf dem großen Solidaritätstag in Bischofferode erwartet. Kommt alle! Helmut Höge