Sexy Wölfchen und geile Oma

■ Mit dem genauen Blick einer Frau: Der neue Comic „Keine Gnade!“ der Hamburgerin Zeichnerin Bettina Bayerl

Die Geschichte von Rotkäppchen und dem Wolf kennen alle. Die psychoanalytische Version leuchtet - obwohl inhaltlich eher funzelig - auch so manchen ein. Doch die Variante in Bettina Bayerls neuem Comic-Buch Keine Gnade hat es wirklich in sich: Oma leckt Rotkäppchen, Wölfchen läßt sich von hinten ficken (des Jägers Ausruf bei der Ansicht des wohlgerundeten, glatten Arsches: „Ja sowas nackertes an großem bösen Wolf!!“) und dem Ficker kommt es - „Poff!“ aus seiner Büchse.

Andere Genüßlichkeiten des bitterbösen Bayerl-Universums: Ein des Sehvermögens barer Schwarzer, der im Blindenheim seinen Kumpels Neger-Witze erzählt, über die alle herzlich lachen oder die biestige Dinosaurier-Pflanze im Garten Eden, die die süffisant-schmalzige Rose mit einem riesigen Happs ihrer selbstgewollten Bestimmung, ihrem Tod zuführt.

Inhaltlich liegt die bissige Hamburgerin nah an der Satire oder gar mittendrin. Ihre treffend beobachteten Gruseligkeiten des bürgerlichen Sumpfes und des heterosexuellen Balzgehabes bringt sie zeichnerisch immer gut auf den Punkt - gerade, weil sie differenziert gestrichelt sind. Bayerl zeichnet zittrig-präzis und spärlich coloriert; ihr Stil liegt am ehesten in dem Feld zwischen Chlodwig Poth, Rattelschneck und Marie Marx.

Dabei hat sie gegenüber ihren männlichen Mitstreitern noch den unschätzbaren Vorteil, den genauen Blick einer Frau zu besitzen und aus der Frauenperspektive zu zeichnen, ohne dabei moralisierend zu werden. Wem also Marie Marx zu sexlos ist und Franziska Becker zu harmlos - die (oder der) sollte Bettina Bayerl genießen:

Keine Gnade! Annette Bolz

Bettina Bayerl, Keine Gnade, Eichborn Verlag, 46 Seiten, 22,80 Mark