Etikettenschwindel mit Rehabilitation

■ Kritik an den Krankenkassen / Anträge psychisch Kranker verschleppt

Sie sind krank, aber die Krankenversicherungen blockieren ihre ordnungsgemäße Behandlung: Psychisch kranke Menschen, die eine Rehabilitationsmaßnahme beantragen, stehen bei den Krankenkassen vor verschlossenen Türen. Die Bearbeitung ihrer Anträge kann Jahre dauern, ihnen wird die Bewilligung aufgrund rechtlich fragwürdiger Kriterien verweigert, sie werden trotz einer Zusage nicht in eine Einrichtung eingewiesen, oder ihnen wird von den Kassen sogar die Bearbeitung der Anträge verweigert. Auf diese Mißstände wies gestern der Vorsitzende der Hamburger „Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation psychischer kranker Menschen“, Rainer Hölzke, hin.

Um sich aus ihrer Zahlungsverpflichtung zu winden, so Hölzke, betrieben die Kassen Etikettenschwindel. Da werde die „medizinische“ Rehabilitation, die vielen psychisch Kranken zustehe, in eine „soziale“ Rehabilitation umdefiniert. Damit fällt sie aus dem Leistungsbereich der Kassen heraus. Bluten müssen die Patienten, denn der Sozialhilfeträger, der dann für die Reha-Maßnahme zuständig ist, verlangt eine Eigenbeteiligung: Spätestens nach 18 Monaten Behandlung bleibe dem Kranken dann vom eigenen Vermögen oder Einkommen nur noch ein monatliches Taschengeld von 150 Mark übrig.

„Stellen Sie sich vor, sie haben eine schwere Knieverletzung, und die Kasse braucht Jahre, um ihren Antrag auf medizinische Förderung zu bearbeiten. Und dann verweist man Sie an eine Einrichtung, bei er Sie jahrelang auf einer Warteliste stehen“ – eine Situation, die laut Hölzke „erschütternde Realität“ für pychisch Kranke ist.

Ein Problem, das an Bedeutung gewinnt, seit Klinikbetten von Plätzen in betreuten Wohngemeinschaften ersetzt werden. Allein in Hamburg sind seit 1970 rund 1500 Psychiatrie-Betten abgebaut und dafür rund 1100 außerklinische Rehabilitationsplätze geschaffen worden. Seitdem kämpfen die Betreuer mit den Krankenkassen um die Finanzierung der Behandlung.

Verschärft habe sich die Situation zusätzlich, so Hölzke, seit sich die Kassen mit einem Modellversuch weiter aus der Affäre zu ziehen versuchen. In jedem Bundesland werden von ihnen bis Ende 1993 nur noch 50 Plätze (in Hamburg nur 20) in einer Rehabilitationseinrichtung anerkannt. „Mit dem Hinweis auf die langen Wartezeiten in dieser Einrichtung verweigern die Kassen jetzt sogar die Bearbeitung von Anträgen.“

Zwar werden die Reha-Maßnahmen derzeit noch aus Sozialhilfemitteln bezuschußt, doch die Etats der Bundesländer werden künftig „wg. Einheit“ unter starken Spardruck geraten. Hölzke: „Dann stehen wir völlig auf dem Trockenen.“ sako