Die Obszönitätskodes knacken

■ Gespräch mit der Autorin Susie Bright alias Susie Sexpert über lesbische Sexualität und pornographischen Film

taz: Sie haben die Normen, die die Lesbenszene in bezug auf Sexualität aufgestellt hat, seit Jahren gründlich in Frage gestellt. Was war Ihre Motivation dabei?

Susie Bright: Als ich 1984 mit einigen Freundinnen das Lesben- Sexmagazin On Our backs gegründet habe, gab es in der US-amerikanischen Lesbenszene eine intensive Diskussion darüber, was „richtige“ lesbische Sexualität sei. Viele Frauen fanden, daß es eine unglaubliche Heuchelei gab, hinsichtlich dessen, was Frauen tatsächlich im Bett taten, und was sie in der Öffentlichkeit sagten. Und eine gewisse Sexiness, die immer Teil der lesbischen Kultur gewesen ist, ist versteckt worden, um uns vor sexueller Ausbeutung zu schützen, vor den Blicken heterosexueller Männer und davor, mißverstanden zu werden. Dies sollte eine Demonstration der Stärke sein, aber in Wirklichkeit war es ein Zeichen von Schwäche. Wenn du schwach bist, hast du Angst, zu zeigen wer du bist. Die Unsicherheit von Lesben stand auch in einem deutlichen Kontrast zu den Schwulen. Oder macht es Schwulen etwas aus, wenn ein Hetero-Mann ein Schwulen-Magazin aufschlägt und sich die Fotos von knackigen Jungen anschaut? Nein! Aber weil Lesben stärker geworden sind und selbstbewußter mit ihrer Sexualität umgehen, können sie nicht mehr so leicht durch das herabgewürdigt werden, was irgendein bigotter Ignorant über sie sagt. Wenn nicht eine den Sprung ins kalte Wasser wagt und die Bilder veröffentlicht und die Wörter ausspricht, dann bleiben die Stereotypen. Du kannst natürlich die Strategie wählen und sagen, weil Sexismus und Heterosexismus so schlimm sind, schließen wir die Vorhänge und vielleicht wird es in hundert Jahren okay sein, über lesbischen Sex zu reden.

Was wollten Sie mit Ihrer Show zeigen?

Ich have versucht, einige Darstellungen lesbischer Sexualität zu zeigen, die sich sehr stark voneinander unterscheiden. Ich wollte mit der Vorstellung aufräumen, daß es eine bestimmte Form lesbischer Sexualität gibt. All die lesbischen Erfahrungen, die in den Filmausschnitten zu sehen sind, egal ob sie romantisch oder kitschig oder sonstwas sind, sind echt. Jedes dieser Szenarien könnte ein realistisches Szenario für lesbischen Sex sein.

Warum haben Sie auch zwei Filmausschnitte von einem sexistischen Regisseur wie Russ Meyer ausgewählt?

Ich habe Ausschnitte aus Filmen mehrerer Regisseure ausgewählt. Sie interessieren mich, weil sie lesbischen Sex nicht gedankenlos oder spontan gezeigt haben. Sie haben alle eine Menge darüber nachgedacht. Russ Meyer ist siebzig. Er hat die altmodische Vorstellung, daß Lesben, was Sex angeht, genauso unersättlich sind wie heterosexuelle Frauen. Die Frauenbewegung ist spurlos an ihm vorübergegangen. Radley Metzger hat den Roman „Therese und Isabel“ verfilmt, weil er die Geschichte sehr stark fand. Für Metzger und auch für David Hamilton gilt, daß sie mit ihren Filmen etwas über sich selbst preisgeben. Sie zeigen ihre Vernarrtheit in und ihre Achtung für das Lesbisch-Sein. Ihre Filme zeigen nicht einfach Titten und Ärsche und geilen sich nicht daran auf, daß es zwei Frauen miteinander treiben. Sie haben eine Menge Zeit und Geld in ihre Filme gesteckt. Im Lauf meiner Karriere habe ich viele Männer getroffen, die sich in einer Art und Weise mit lesbischer Sexualität identifizieren, die über Voyeurismus hinausgeht. Sie kennenzulernen und ihre Briefe zu lesen, hat mich in meinem Gefühl bestätigt, daß die Frage, welche Genitalien jemand hat, noch nichts über seine sexuellen Gefühle aussagt.

Sie sind der Frage nach Russ Meyer ausgewichen. Ist er etwa nicht sexistisch?

Doch, natürlich ist er ein Sexist. Aber darum geht es nicht. Ich wollte die historische Entwicklung lesbischer Erotikfilme zeigen und zufällig hat Russ Meyer zwei Filme gemacht, die bahnbrechend waren. Wenn jemand anders sie gemacht hätte, hätte ich dessen Filme gezeigt. Ein anderer Grund ist, daß Russ Meyer lesbischen Sex auf eine sehr starke und beeindruckende Weise darstellt und damit beim Publikum eine bestimmte Botschaft über lesbische Lust oder lesbischen Sex ankommt. Aber ich habe die RegisseurInnen, die ProduzentInnen und die Darstellerinnen nicht einem politischen Lackmus-Test unterzogen. Ich bin daran interessiert, was sie produzieren und ich bin auch an den Reaktionen des Publikums interessiert. Es ist ein Problem, wenn über alle Filme diskutiert wird, als gäbe es nichts anderes als den männlichen Blick.

Glauben Sie, daß lesbische Pornographie eine politische Wirkung hat?

Auf jeden Fall. Jedesmal, wenn eine Frau, egal ob sie Hetera oder Lesbe ist, sich zu Sexualität äußert, räumt sie mit der Vorstellung auf, daß Frauen von Natur aus nicht wirklich an Sex interessiert sind. Es gibt die Vorstellung, daß Lesben nicht deswegen zusammenleben, weil sie Sex miteinander haben wollen. Wenn wir unserer Sexualität Ausdruck verleihen, stellen wir die Vorstellung von Weiblichkeit in Frage und wir stellen auch die Vorstellung in Frage, was Sex ist. Sex wird üblicherweise so definiert, daß ein Penis in die Vagina eindringt. Alle Obszönitätskodes in den Vereinigten Staaten beziehen sich auf Erektionen und Penetration mit einem Penis oder einem penisähnlichen Objekt. Lesbianismus macht das alles obsolet. Deswegen ist Faustficken auch so genial – es macht die Größe des Phallus völlig irrelevant.

Einige der Filmausschnitte zeigen Sex zwischen schwarzen und weißen Frauen. Hetero-Pornos sind fast immer rassistisch, unter anderem, weil sie schwarze Frauen als „exotische, willige Schönheiten“ präsentieren. Müssen sich Lesben nicht über die Gefahr von Rassismus in Lesbenpornos Gedanken machen?

In meiner Show zeige ich einen Safer-Sex-Film, in dem eine schwarze Frau eine weiße mit Gummihandschuhen fickt. Aber umgekehrt ist in diesem dreiminütigen Film nur für wenige Sekunden zu sehen, wie die weiße Frau die schwarze fickt. Als der Film dem Vorstand der Aids-Organisation, die ihn in Auftrag gegeben hatte, vorgeführt wurde, sagten viele, der Film ist rassistisch, weil es ein Ungleichgewicht bei den Berührungen gibt. Das hat aber mit der Entstehungsgeschichte des Films zu tun. Die schwarze Frau mit den Rasta-Locken ist eine Lkw-Fahrerin, die mit der Regisseurin zusammen auf die Schule gegangen ist. Als diese auf der Suche nach einer Darstellerin für den Safer-Sex-Clip war, traf sie zufällig ihre alte Schulkameradin und fragte sie, ob sie nicht mitmachen wolle. Als sie mit den Aufnahmen begannen, stellte sich heraus, daß sie sich vor der Kamera in der aktiven Rolle sicherer fühlte. Natürlich hat der Film den Nachteil, daß es dieses Ungleichgewicht gibt. Das sieht jeder, der ein politisches Bewußtsein hat. Und trotzdem will ich, daß er gezeigt wird, denn es ist eine wertvolle Safer-Sex-Aufklärung. Der Film ist erotisch und er zeigt die Stärke der beiden Frauen. Ich will, daß es mehr solcher Filme gibt. Die einzige Lösung ist, daß fünfzigmal so viele Filme gedreht werden. Es gibt weniger als fünfzehn erotische Filme, die von Lesben produziert worden sind. Alle haben erhebliche Nachteile. Ich denke, daß viele der politischen Fragen, die wir haben, angesichts des Mangels an Filmen kleinlich sind. Die ersten, die solche Filme machen, werden immer kritisiert, und das zu Unrecht. Schließlich stellen sie nur eine einzige sexuelle Begegnung dar und sie können unmöglich alle Lesben repräsentieren.

Wann ist es an der Zeit, über bad lesbian sex, also alles von Rücksichtslosigkeit bis zu sexueller Gewalt, zu sprechen? Es klingt so, als wäre lesbischer Sex immer wunderbar und als sollten Lesben ihre Sexualität und ihre sexuelle Befreiung feiern.

Nein, ich hoffe nicht, daß in meiner Show dieser Eindruck entsteht. Ich habe eine Menge Sex gezeigt, der in Frage gestellt werden kann, der nicht toll aussah oder über den ich mich lustig gemacht habe. Der Zeitpunkt, über schlechten lesbischen Sex zu sprechen, ist jetzt. Wir müssen offen und ohne Zurückhaltung darüber reden.

In den Vereinigten Staaten hat es auch unter Feministinnen heftige Kontroversen über Pornographie gegeben. Welchen Standpunkt vertreten Sie in der Pornographie-Debatte?

Die Obszönitäts-Kodizes sind sexistisch und heterosexistisch. Sie basieren allesamt auf antiquierten, religiösen Werten, die Frauen an ihrem vermeintlich angestammten Platz halten wollen. Und sie schaffen den Männern ein kleines, von Schuldbewußtsein geprägtes Ghetto, in dem sie ihre schmutzigen Geschäfte machen. Die Obszönitäts-Kodizes interessieren mich nicht. Ich bin dafür, Pornographie zu entkriminalisieren. Die Qualität erotischer Filme würde sich explosionsartig verbessern, wenn die Leute nicht Angst haben müßten, für das, was sie tun, in den Knast zu kommen, daß ihre Familien auseinanderbrechen oder daß ihr gesamtes Geld beschlagnahmt wird. Als in den Vereinigten Staaten eine zeitlang mystery novels verboten waren, konnte man keine guten mystery novels lesen. Die Romane, die heimlich geschrieben wurden, waren einfach schlecht. So verhält es sich auch mit der Pornographie. Es gibt schon eine Reihe von Gesetzen, die Darstellerinnen schützen und die bestimmte Standards für Arbeitsbedingungen festlegen. All diese Gesetze sollten auch für Pornodarstellerinnen gelten. Sie sind stigmatisiert. Du hast Angst, deiner Familie davon zu erzählen oder es „anständige“ Leute wissen zu lassen. Dieses Stigma und diese zwielichtige Zone der Kriminalität, die das Sex-Busineß jetzt umgibt, kennen Homosexuelle nur allzugut. Das ist es, was ich ändern möchte.

In Berlin ist letztes Jahr Juliet Bashores Film „Kamikaze Hearts“ über ein lesbisches Pärchen in der Pornobranche gezeigt worden. Was die Arbeitsbedingungen von Pornodarstellerinnen betrifft, ist deutlich geworden, daß viele das nur unter Drogenkonsum durchhalten. Müssen Lesben, wenn sie Pornos drehen, nicht für andere, bessere Arbeitsbedingungen sorgen?

„Kamikaze Hearts“ ist kein pornographischer Film. Du siehst die beiden nie irgend etwas machen, was man nicht am hellen Tag im Fernsehen sehen könnte. Wer denkt, dies sei ein Film über ein glückliches lesbisches Paar, muß völlig verrückt sein. Es geht um eine gefährliche und destruktive Beziehung. Und die Regisseurin wollte genau dies zeigen. Regisseure machen ständig tragische Filme über DrogenkonsumentInnen und kaputte Beziehungen, warum sollten Lesben darüber nicht auch einen Film machen. Und damit kommen wir wieder auf das zurück, was ich eingangs gesagt habe. Weil es so wenige Bilder von uns gibt, scheuen Lesben sich, die häßlichen Seiten zu zeigen – weil wir das Gefühl haben, die Öffentlichkeit hat noch nicht einmal unsere guten Seiten gesehen. Wenn es jede Menge Filme über Lesben gäbe, würden wir nicht wollen, daß am Schluß alle Hand in Hand im Sonnenuntergang davongehen. Als „Kamikaze Hearts“ in San Francisco lief, dachte ich, daß das Publikum das Kino zum Einsturz bringt, so sehr haben sie den Film ausgebuht. Vor allem wegen des Drogenkonsums, der in den USA derzeit scharf kritisiert wird. Ich fand den Film interessant. Nicht daß ich denke, das ist ein Rollenmodell für irgend jemand. Aber ich denke auch nicht, daß die Frauen wertlos sind, weil sie eine schwierige Zeit in ihrem Leben durchmachen oder Drogen nehmen. Ich habe trotzdem ein menschliches Interesse an ihnen und ich lerne etwas von diesem Film. Sie haben in diesem Film bestimmt, was läuft. Es ist ja nicht so, daß jemand sie in eine miese Situation gebracht hätte. Du machst einen verantwortlichen Film so, wie ein Profi einen verantwortlichen Film macht. Ich meine, du sorgst dafür, daß alle zu essen bekommen, daß sie ihre Pausen bekommen und daß sie gut bezahlt werden.

Sie produzieren auch selbst Pornofilme ...

Zur Zeit schreibe ich ein Drehbuch über eine Telefon-Sex-Arbeiterin. Die Regisseurin ist Lizzy Borden (die in Deutschland durch „Born in Flames“ bekannt wurde, d. Red.). Es ist ein Filmprojekt, an dem vier Frauen aus vier verschiedenen Ländern arbeiten: Lizzy Borden, Monica Treut und zwei weniger bekannte Regisseurinnen aus Brasilien und Hongkong. Der Film wird aus vier Teilen bestehen. Ich habe die Drehbücher der anderen noch nicht gesehen und ich habe keine Ahnung, was passieren wird. Es ist das erste Mal, daß ich ein Drehbuch schreibe und ich lerne eine Menge. Aber ich habe schon alles mögliche gemacht. Ich habe vor und hinter der Kamera gestanden, ich habe Kolumnen und Essays geschrieben und ich habe die Thunfisch-Sandwiches geschmiert.

Interview: Dorothee Winden

und Birgit Michaelis