: Wo gibt es noch das weiße Paradies?
Im friedlichen und idyllischen Umkomaas, unweit von Durban an der südafrikanischen Ozeanküste, denken die Weißen nur noch ans Auswandern / Kein Vertrauen ins „neue Südafrika“ ■ Aus Umkomaas Willi Germund
Bryan Thomas dirigiert die Arbeiter im Naturschutzgebiet von Empeseni, dem „Platz der Hyäne“. „Abschneiden,“ sagt er zu den sechs Handlangern aus dem schwarzen Township Makabeni und veranschaulicht seine Anweisung mit lebhaften Gesten. Der 62jährige pensionierte Sicherheitsingenieur lebt zwar seit 35 Jahren in dem Städtchen Umkomaas am Indischen Ozean. Aber Zulu spricht er nicht und die Arbeiter können Englisch nur radebrechen. „Wir bauen auch zwei Hütten für Wanderer,“ erzählt Thomas, der 16 Jahre lang Gemeindevorsteher von Umkomaas war, voller Stolz. Aber die Tage des Ingenieurs in dem malerischen Ort 60 Kilometer südlich der Küstenstadt Durban sind gezählt.
Thomas hat sein Haus verkauft. Spätestens am 14. September wird er ausziehen und nach Greyton bei Kapstadt umsiedeln. „Die Leute haben das Gefühl, daß in der Kapgegend die Gemeinschaft und das Kuluturleben der Weißen intakter bleiben wird,“ beschreibt Thomas die Gründe für seinen Umzug. Beim Gespräch am Mittagstisch unter einer Schatten spendenden Akazie wird deutlich, daß nicht nur Ex-Gemeindevorsteher Thomas und seine Frau Stella das Weite suchen. Freunde ziehen ebenfalls nach Greyton. In der Provinz Natal und auch im Gebiet um die Wirtschaftsmetropole Johannesburg packen die Weißen ihre Sachen. Das Ziel ist fast immer die Kapregion, manche zieht es sogar noch weiter. „Die Ferreiras gehen nach Neuseeland,“ erzählt Stella.
Die Schaufenster der beiden Makler in den blendend weiß gestrichenen Büros im verschlafenen Geschäftszentrum von Umkomaas quellen über vor Angeboten. Etwa 50 Häuser stehen zum Verkauf. „Da ist ja auch die Villa der Pollacks,“ staunt Susan Thomas, eines der sechs Kinder der Familie. Ihre Schwester Helen Mac Cullum überlegt zusammen mit dem Ehemann, ob sie nicht die gemeinsame Wohnung in Durban verkaufen sollen: „Bis nach den Wahlen wollen wir zur Miete wohnen und dann sehen, ob wir auswandern.“ Kanada wäre das Traumziel.
Bruder Derek, Chemieingenieur bei dem Chemiegiganten Saccor, der in Sichtweite von Umkomaas eine Fabrik am Fluß unterhält, erzählt von Bekannten: „Die überschreiben das zweite Haus alle an ihre Frauen, weil sie fürchten, enteignet zu werden.“ Hartnäckig hält sich das Gerücht, daß unter einer ANC-Regierung jede Person maximal ein Haus besitzen dürfe.
Umkomaas ist etwa 600 Kilometer von Johannesburg, dem Zentrum der Demokratisierungsverhandlungen Südafrikas, entfernt. Und was immer bei den Gesprächen in der Wirtschaftsmetropole diskutiert wird – die Weißen in Umkomaas zeigen sich von Verfassungsgarantien ebensowenig beeindruckt wie von Erklärungen des ANC-Führeres Nelson Mandela, es werde keine Enteignungen geben. Südafrikas Devisenreserven sind inzwischen auf 1,5 Milliarden Rand geschrumpft – etwa 500 Millionen US-Dollar oder 800 Millionen Mark. Vor einem Jahr waren sie noch fünfmal höher – ein Zeichen, wie stark der Kapitalfluß aus Südafrika angeschwollen und wie sehr das Vertrauen in die Zukunft geschwunden ist.
„Man weiß nie, was kommt,“ sagt Annamaria Bazzoni. Zusammen mit zwei Brüdern gehört ihrem Ehemann Ezio das „Italienische Restaurant“, die „Italienische Metzgerei“, der „Italienische Delikatessenladen“ und die „Italienische Bäckerei“ sowie mehrere Wohnungen. Seit über einem Jahr versuchen die drei, den Komplex zu verkaufen. Der Preis: umgerechnet 800.000 Mark. Aber einen Abnehmer haben die Bazzonis immer noch nicht gefunden. Ganz Umkomaas weiß, daß es nicht nur zwischen den Bazzoni-Brüdern nicht mehr stimmt, sondern auch die Ehen längst brüchig sind. Annamaria Bazzoni nimmt denn auch kein Blatt vor den Mund: „Die drei Deppen hätten längst ihr Geld aus dem Land schaffen sollen.“ Statt dessen verkommt das Restaurant. Die Terrasse wird längst nicht mehr benutzt. Der Putz bröckelt.
In Umkomaas leben etwa 1.500 Weiße. Jenseits der Autobahn liegt das indische Viertel Craggeburn und noch weiter weg das schwarze Township Makabeni – zusammen etwa 10.000 Menschen. Umkomaas ist berühmt für seine Bäume – der Gemeinderat verbot 16 Jahre lang jedes Abholzen. Ein Golfplatz zieht sich quer durch das Dorf der Weißen mit seinen Gärten voller tropischer Pflanzen und gepflegten Rasen. Umkomaas gehört zu den Orten mit so wenig Verkehr, daß Bürgersteige überflüssig sind. Fußgänger laufen auf dem Rasen entlang der Straßen.
Ein Korallenriff vor der Küste, das unter der Umweltverschmutzung durch die Saccor-Fabrik leidet, hat dem Ort Touristen und damit etwas neues Leben beschert. Aber Umkomaas stirbt. Die meisten Weißen arbeiten bei Saccor. Die Nachwuchskräfte der Fabrik wohnen inzwischen lieber im 60 Kilometer entfernten Durban, und auch die Alten ziehen weg aus Umkomaas. Der Fußballplatz wird längst von Mannschaften aus dem Township Makabeni benutzt. Das Zentrum der Stadt befindet sich mittlerweile sozusagen in schwarzer Hand: Die Händler machen 80 Prozent ihres Umsatzes mit Kunden aus genau den Stadtteilen, deren Bewohner sie als Nachbarn nicht haben möchten.
„Wenn Sie das Haus an Inder verkaufen,“ so hatte die Nachbarin Anna Pallamini der Familie Thomas ihre geheime Furcht gestanden, „dann muß auch ich wegziehen.“ Das Gebäude mit seinen vielen Zimmern ging statt dessen für 100.000 Mark an einen Geschäftsmann aus Johannesburg, der es an Sporttaucher vermieten will. Als Kommunalpolitiker kennt Thomas die Zukunft von Umkomaas: Wenn im Rahmen der südafrikanischen Reformen die noch getrennten Verwaltungen für das weiße, das indische und das schwarze Viertel zusammengelegt werden, dürfte den Weißen als erstes ein Tariferhöhungen für kommunale Dienstleistungen blühen. Thomas: „Klar – dann muß erst einmal umverteilt werden.“ So manchem weißen Bürger von Umkomaas geht das gegen den Strich.
Thomas nimmt diese Widerstandshaltung zwar für sich selbst nicht in Anspruch. Doch auch ihm entschlüpft irgendwann der Satz: „In der Kapregion gibt es kaum Schwarze.“ Das Gebiet, in das es ihn zieht, wird gegenwärtig vor allem von Weißen und Kleurlingen, wie im Buren-Sprachgebrauch die Farbigen genannt werden, bewohnt. Viele von ihnen gelten als ebenso konservativ wie die weißen Südafrikaner.
Dabei ist der frühere Sicherheitsingenieur keineswegs ein Rassist vom alten südafrikanischen Schlag. Auf seinem Grundstück in Umkomaas, das einen halben Hektar umfaßt, leben Flüchtlinge aus der Umgebung in Hütten. In einem Zimmer seines Haus wohnt Amalia Emely Ndlovu. Sie selbst weiß nicht, wie alt sie ist. 35 Jahre lang arbeitete sie im Thomas- Haushalt. Und obwohl Amalia Emely Ndlovu längst ihren Ruhestand genießen sollte, besteht sie darauf, allmorgendlich die Küche aufzuräumen. Nach dem Umzug der Thomas-Familie wird sie bei einer anderen Familie unterkommen und von ihrer Pension leben. „Ich kann nicht zurückgehen,“ erzählt die Witwe. Eine kleine Farm, die ihr gehörte, wurde niedergebrannt, alle Tiere gestohlen. Zwei ihrer Söhne wurden ermordet – sie sympathisierten mit dem Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) und fielen dem blutigen und brutalen Konflikt zwischen der konservativen Zulu-Schwarzenbewegung Inkatha und der Widerstandsorganisation ANC zum Opfer.
„Nachts fahren wir, wenn möglich, nicht mehr herum,“ erzählt Annamaria Bazzoni. Die Landstraße nach Durban gilt als gefährlich. Entlang der Autobahn nach Durban sind an einigen strategischen Punkten sogar Armeeinheiten stationiert, um Überfälle zu verhindern. The Party is Over, singt der südafrikanische Kabarettist Pieter Dirk Uys in seinem neuen Programm – das Fest ist vorbei.
Das überwiegend weiße Publikum braucht bei seinem Auftritt keine näheren Erklärungen. „Wenn Sie von einem Schwarzen mit einem Stein beworfen werden, heben Sie ihn auf, um das neue Südafrika aufzubauen,“ schiebt der Satiriker nach – und vielen weißen Zuhörern ist dabei überhaupt nicht nach Lachen zumute.
Bei vielen macht statt dessen Galgenhumor über die Zukunft im südafrikanischen „Azania“ – dem „Vaterland“ – die Runde. In fünf Jahren, so ein gängiger Witz, werden die fünf Millionen Weißen am Kap einen neuen Spitznamen haben: „Azanian Boat People.“
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