Juristischer Abzug vom Atomklo hakt

Juristisches Gutachten widerspricht Töpfers Ankündigung, Lagerung von westdeutschem Atommüll in Morsleben sei rechtmäßig / Greenpeaceblockade fortgesetzt  ■ Aus Morsleben Eberhard Löblich

Vor Ort blockieren Greenpeace-AktivistInnen das Atommüll-Klo Morsleben, auf der juristischen Ebene die Rechtslage. Aber von beiden Hindernissen will Umweltminister Klaus Töpfer keine Kenntnis nehmen. Die 20 Greenpeace-AktivistInnen, die seit Dienstag die Zufahrt zum Atommüll-Endlager Morsleben teilweise blockieren, haben ihre Aktion gestern verschärft. Sie schoben den zwölf Meter langen und fünf Tonnen schweren Container noch näher vor das Tor zum Endlagergelände. LKW haben jetzt gar keine Chance mehr, daran vorbeizufahren. Und auch Pkw- Fahrer müssen sich in Millimeterarbeit vorarbeiten.

„Wir haben mit Beginn der Aktion Briefe mit einem umfangreichen Fragenkatalog an Bundesumweltminister Klaus Töpfer, Sachsen-Anhalts Umweltminister Wolfgang Rauls und das Bundesamt für Strahlenschutz geschickt“, begründet Greenpeace-Atomexpertin Inge Lindemann die Verschärfung der Blockade. „Aber offizielle Reaktionen gab es keine.“ In den Briefen forderte Greenpeace erneut die Schließung des Endlagers und verwies auf Zweifel an der Stabilität des Deckgebirges.

Die Adressaten der Greenpeace-Briefe wandten sich mit ihren Reaktionen lieber direkt an die Medien. Bundesumweltminister Klaus Töpfer bezeichnete das Atomklo in Morsleben als „Bundesendlager“, in dem „radioaktive Abfälle aus dem gesamten Bundesgebiet einzulagern“ sind. Und um den westdeutschen Strahlenmüll endlich loszuwerden, bemüht Töpfer sogar die innere Einheit des vereinigten Deutschlands. Ohne inhaltliche Argumente weist er ein vom Land Sachsen-Anhalt beim renommierten Berliner Umweltrechtler Professor Michael Kloepfer in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zurück. Die Position Kloepfers, der nach eingehender Analyse der Rechtslage zu dem Schluß kommt, daß in Morsleben nur Atommüll aus den neuen Ländern eingelagert werden dürfe, „wurde von der Bundesregierung eingehend geprüft und als nicht überzeugend beurteilt“, so Töpfer. „Ost/Westausgrenzungen sind mit der wiedererlangten Einheit Deutschlands nicht vereinbar.“

Um endlich ein eigenes Endlager zu bekommen, lügt sich Töpfer die DDR gar zum Rechtsstaat zurecht. Nach Artikel 19 des Einigungsvertrages können DDR- Verwaltungsakte aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind. Nach bundesdeutschem Rechtsstaatsverständnis ist für die Genehmigung eines Zwischen- oder Endlagers für Atommüll ein Planfeststellungsverfahren mit Beteiligung der Öffentlichkeit notwendig. Die hat es aber vor dem Genehmigungsbescheid vom 22. April 1986 nicht gegeben.

Entsprechend hoch ist die Unterstützung der Greenpeace-Aktion durch die umliegende Öffentlichkeit. Die Bürgerinitiativen haben Infostände aufgebaut, Dorfbewohner aus Morsleben bringen frisch gepflückte Äpfel und Birnen vorbei. Sie alle fühlen sich durch Töpfer betrogen. Der hält den Weiterbetrieb des Atomklos für rechtmäßig und bemüht das Bundesverwaltungsgericht, das am 26. Juni 1992 die vom Bezirksgericht Magdeburg verfügte Schließung des Endlagers wieder aufgehoben hatte. Der Schuß aber geht nach hinten los: Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich gesagt, daß die Betriebsgenehmigung für das Endlager in der Fassung von 1986 durch Einigungsvertrag und Atomgesetz bis zum Jahr 2.000 wie ein Planfeststellungsbeschluß fortgelte. Diese Genehmigung bezieht sich aber ausdrücklich nur auf Strahlenmüll aus der damaligen DDR. Nach Kloepfers Auffassung ist das eine regionale Beschränkung, die auch nach der Vereinigung Gültigkeit behält.

Das Magdeburger Umweltministerium zeigte sich denn auch gestern kämpferischer als noch tags zuvor. Natürlich, so der Sprecher Johannes Altincioglu, werde man sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Einlagerung westdeutschen Strahlenmülls zur Wehr setzen.

Der Gutachter des Magdeburger Umweltministers hält die von Töpfer geplante Einlagerung auch westdeutschen Strahlenmülls nicht nur aus rechtsformalen Gründen, sondern auch vor dem Hintergrund allgemeiner Politikverdrossenheit für bedenklich. „Der Sache nach“, so schreibt Kloepfer abschließend, „geht es bei der intendierten Nutzung des ERAM nach den Vorstellungen des BMU jedenfalls auch um die geplante Ausnutzung einer undemokratisch verfügten Entscheidung der DDR durch die demokratische Bundesrepublik Deutschland, die es derzeit politisch offensichtlich nicht zustande bringt, ein Endlager zu realisieren.“

Unterstützung fand Greenpeace auch aus ganz unverhoffter Ecke. Als „Erbschleicherei am SED-Regime“ geißelt der Bundesverband der Christlichen Demokraten gegen Atomkraft in Mainz den geplanten Weiterbetrieb von Morsleben.