Huracan und Gucumatz

Rasante Erzählungen vom Unglaublichen: Das Gran Circo Teatro aus Chile gastiert mit „Popol Vuh“ im Skulpturenpark des Tacheles  ■ Von Anja Poschen

Die Erschaffung von Adam und Eva ist nichts dagegen. Der Schöpfungsmythos von „Popol Vuh“ aus Legenden und Mythen der präkolumbianischen Maya-Kultur ist phantastisch, verwirrend, grausam und faszinierend.

Den Plot der Geschichte in wenigen Worten nachzuerzählen, würde mehr Verwirrung schaffen als sie zu beseitigen. Nur soviel sei gesagt: In dieser indianischen Deutung zur Entstehung der Menschheit leben die Götter und Halbgötter im Himmel, im Wasser und unter der Erde; die Protagonisten der Geschichte in 36 Bildern heißen Huracan, Gucumatz, Ixquic, Vucub-Caquix, Xulu-Pacam oder Ixbalanque; hier werden Arme und Zähne ausgerissen, Kiefer verwundet, Herzen verbrannt und Köpfe abgeschnitten; Eulen sind Boten, Mücken Kundschafter, und die Großmutter einer Laus überbringt wichtige Nachricht.

So kompliziert „Popol Vuh“ auch in Worten erscheinen mag, so sehr kann man sich bei der Vorstellung des chilenischen Gran Circo Teatros ganz auf seine Sinne verlassen. Auch ohne Inhaltsangabe im Programm vermag man dem Zauber der einzelnen Erzählungen zu folgen: Das Ensemble läßt Märchenhaftes für kurze Zeit wahr werden.

Der Bar jeder Vernunft, dem Chamäleon und dem Tacheles ist es zu verdanken, daß das Gran Circo Teatro nach Hamburg nun auch in Berlin gastiert. Gemeinsam haben die drei Veranstalter dieses Gastspiel organisiert und für die entsprechende Kulisse gesorgt: Im Garten hinter der ebenso unwirklich wie grandios beleuchteten Tacheles-Ruine, inmitten von bizarren Schrottskulpturen und scheinbar vom Himmel gefallener Personenbusse, steht das Gran Circo-Zelt, in dessen Rund vom Unglaublichen erzählt wird, wo sich heitere Feste und schmissige Musik mit abgründiger Dunkelheit und psychedelischen Klängen abwechseln.

Da läuft der Himmelsgott Huracan auf überlangen, dünnen Stelzen, tanzt mit ihnen, schlägt mit ihnen aus, als wären sie ihm angewachsen. Da sprechen finstere Eulen, deren übergroße, blinkende Augen Böses verheißen. Eine Maus mit biegsamem Schwanz verschwindet im Publikum. Vier Wege, zwischen denen sich zwei Knaben zu entscheiden haben, stehen in persona auf der Bühne und buhlen um die Gunst der Jünglinge. Und über allem thront die Band, die mit ihrer Musik die Geschichte erzählt, die mit Lauten einzelne Abschnitte untermalt.

Das Ensemble verbindet Akrobatik mit Schauspielkunst, setzt bunte Kostüme, bemalte Körper und grandiose Masken ebenso ein wie tiefe Emotion. Nicht ohne Grund versuchen kleine Kinder auf die Bühne zu entwischen, um am Geschehen teilzuhaben: das Gran Circo Teatro vermittelt eine ursprüngliche, kindhafte Freude an ihrer Kunst (ohne dabei kindisch oder albern zu sein), die so mitreißend ist, daß sich am Ende der Veranstaltung fast alle – ob Zuschauer oder Mitwirkende – zu einem gemeinsamen erlösenden Tanz zusammenfinden.

Poetisch und zauberhaft ist dieses Theater, klassen- und generationenübergreifend. Nur eines ist es nicht: „die südamerikanische Antwort auf Andrew Lloyd Webber“, ein Zitat, mit dem der Programmzettel wirbt.

Mit diesen europäischen, immergleichen Musicals hat das improvisatorische Gran Circo Teatro nun wirklich – Huracan sei Dank! – überhaupt nichts zu tun.

Noch bis 5. September, Mittwoch bis Sonntag um 20 Uhr im Skulpturenpark hinter dem Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Mitte, direkt am U-Bhf. Oranienburger Tor.