Schluß mit den Taschenspielertricks!

■ Die Schulverwaltung schob erneut ausbildungslose Jugendliche hin und her, statt ausreichend Ersatzmaßnahmen anzubieten / Ein Schulleiter protestiert dagegen

Der Mangel an Ausbildungsplätzen erfordert den Ausbau alternativer Maßnahmen. Laut Schulgesetz sind Jugendliche ohne Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis im 11. Schuljahr in berufsvorbereitenden Vollzeitlehrgängen (VZ 11) unterzubringen. Diese Lehrgänge, die neben Allgemeinbildung auch Fachpraxis vermitteln, gibt es seit vielen Jahren an den beruflichen Oberstufenzentren. Da das Schulgesetz zwar die Schulpflicht, aber keine Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung beinhaltet, war das Platzangebot nur auf die freiwillig erschienenen Schüler (20 bis 30 Prozent) zugeschnitten.

Im Schuljahr 1992/93 stieg durch die Vereinigung beider Stadthälften nicht nur die Gesamtzahl der Schüler, sondern auch die Bereitschaft zum Besuch der Lehrgänge an. Die Berufsfeldwünsche einer größeren Anzahl von Schülern konnten nicht mehr erfüllt werden. In drei sogenannten Clearing-Konferenzen versuchte man, die Schüler letztes Jahr auf vorhandene Plätze zu verteilen. Unerwünschte Berufsfelder, nicht gewollte Standorte und das zähe Vergabeverfahren veranlaßten so manchen Schüler, seinen Wunsch nach einem Platz an der Schulbank aufzugeben. Nur deshalb konnten die verbleibenden schließlich untergebracht werden.

Hindernislauf zu den Schulen

Schon in diesem Frühjahr zeichnete sich ab, daß sich das Problem im Schuljahr 1993/94 verschärfen würde. Statt rechtzeitig nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, wurde das Aufnahmeverfahren so kompliziert, daß es die Schüler noch eher veranlaßte, den Hindernislauf zu den Schulen aufzugeben. Früher wurden die Schülerleitbogen entsprechend den Aufnahmemöglichkeiten zwischen den Oberstufenzentren ausgetauscht und dann erst eingeladen. Diesmal wurden die Schüler sogleich in die Schulen bestellt – wo man ihnen zum großen Teil nur sagen konnte, daß sie nicht untergebracht werden könnten; sie würden später erfahren, ob und wo für sie noch Plätze frei seien. Es sei angemerkt, daß das neue Aufnahmeverfahren gegen den Willen der überwiegenden Zahl der Schüler eingeführt wurde.

Um diesmal die vielen unversorgten Schüler doch noch unterzubringen, wollte die Schulverwaltung den Schulen eine „Überlastquote“ zuweisen, gedacht war an 50 Prozent. Dafür sollte der fachpraktische Unterricht gekürzt werden. Eine derartige Überbelegung wäre in vielen Fällen nicht möglich gewesen. Wie zu erwarten wurde das Problem aber mit dem gleichen Taschenspielertrick wie im Vorjahr zu einer „Lösung“ gebracht: Die Unterbringung in VZ-11-Klassen verzögerte sich, oder die Schüler sahen sie als so ungünstig an, daß viele zunächst besuchswillige Schüler zu Hause blieben. Es kann nicht hingenommen werden, daß sich dieser Zustand im nächsten Schuljahr erneut wiederholt.

Mehr Schülerplätze und Betriebspraktika

Die Verwaltung ist aufgefordert, geeignete Maßnahmen vorzubereiten. Das könnten sein: Schaffung neuer Schülerplätze für VZ 11 und auch für Berufsfachschulen; Einrichtung von Betriebspraktika, die den Schülern Einblick in den betrieblichen Alltag und seine Anforderungen ermöglichen. Den Betrieben bietet das die Gelegenheit, sich unter den in der Schule oft leistungsschwachen Schülern diejenigen herauszusuchen, die für eine Einstellung geeignet erscheinen.

Das Parlament ist aufgefordert, die nötigen Mittel bereitzustellen. Nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zum Schulbesuch sind im Schulgesetz festgelegt. Jeder weiß, daß Investitionen in die Ausbildung Jugendlicher Investitionen für die Zukunft sind, die später den Etat für Sozialleistungen entlasten. Gerade leistungsschwächeren Jugendlichen muß der Übergang in das Arbeitsleben erleichtert werden. Wenn ihnen keine Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden, sind sie extremistischen Einflüsterungen zugänglich, und Gewalt wird leicht zum Mittel gegen Frust und Langeweile. Günter Labitzke

Der Autor ist Schulleiter des Oberstufenzentrums „Ernährung und Hauswirtschaft“ in Reinickendorf. Dort blieben, von 800 Gemeldeten, offiziell 31 SchülerInnen übrig, die keinen Platz in Vollzeitlehrgängen fanden. Über 200 aber gingen bei dem zweimaligen Einladungs- und Hinhalteverfahren verloren.