Der wahre Reiz des Fußballs

■ HSV: Wundergeheilter Ivanauskas glänzt beim 4:1 Heimsieg gegen Schalke Von Claudia Thomsen

Nick Hornsby, Fußballfan (Arsenal London) und Bestsellerautor, weiß, welche Ingredenzien ein Spiel unvergesslich machen: Man nehme so viele Tore wie möglich, Schiedsrichter, von denen man sich betrogen fühlt, eine lärmende Kulisse bei dramatischer Aufholjagd, schlammigen Boden, der akrobatisch-chaotische Aktionen erzwingt, ein vom Gegner vergebener Elfmeter, ein gegerischer Platzverweis während der zweiten Hälfte eines kippeligen Spiels oder irgendeine Art von „schändlichem Zwischenfall“.

Nun, bei der sonnabendlichen Begegnung zwischen dem HSV und dem FC Schalke fehlten diese Zutaten zwar, ein von Hornsby unerwähntes Gewürz, welches sich ebenfalls bevorzugt ins Fangedächtnis brennt, sorgte jedoch für die geschmackliche Renaissance längst vergangener Volkspark-Tage: Die wundersame Wiederauferstehung des eben noch schwerverletzten Stars. Nur sechs Minuten währte die Erwartungsphase, dann war der Treffer von Valdas Ivanauskas, dessen Bänderriß vor 13 Tagen wohl ein Irrtum war, schon Realität. Der erste Alleingang des 27jährigen endete, wie es sich für einen Star gehöhrt, nach Tunnelung von Gegenspieler Andreas Müller mit einem Schuß in die obere linke Ecke. Da hatten sich das Mitbringen der „Ivan“-Flagge auf litauischem Grund und die Dekoration der Heckscheibe mit dem Bildnis des Stürmers schon gelohnt! Inspiriert durch den Einsatz des Hünen mit dem Stoppelschnitt traf Karsten Bäron nach Vorlage des auch im Angriff sehr überzeugenden Michael Kostner sieben Minuten später und nach einem von Thomas von Heesen - er scheint zum Spezialisten für nervenstarke Einsätze zu avancieren - verwandelten Elfmeter führte die Möhlmann-Equipe 3:0 (38. Minute).

„In der zweiten Halbzeit wurde dann 1:1 gespielt“, fasste Schalke-Coach Helmut Schulte hernach das, aufgrund des nachlassenden HSV-Engagements, reizlose Restgekicke zusammen. Die Highlights zwischen den Treffern von Yordan Letchkov (49.) und Ingo Anderbrügge (66.) setzten, das muß neidlos anerkannt werden, die Fans der Blau-weißen. Beim Rückstand von 0:4 erwachten sie aus ihrer Totensarre mit der sie, jungen Igeln gleich, bis dahin den Sturm zu überstehen gedachten. Jubelnd und schalschwenkend manifestierten sie einmal mehr, daß eine gehörige Portion Irrationalität den wahren Reiz des Fußballerlebnisses ausmacht.

Spannung, um zu Hornsby zurückzukehren, fehlte der Begegnung, dazu waren die Schalker -vielleicht noch von ihrem letztwöchigen Prestigesieg gegen Dortmund geschwächt - einfach zu schlecht. Einen denkwürdigen, „schändlichen Zwischenfall“ gab es dennoch: Die Konfrontation mit den zahllosen DVU-Plakaten, welche die Staßenlaternen rund ums Stadion bepflasterten. Zielgruppenspezifische Plakatierung bei einem Verein, dessen Offizielle es bis heute nicht fertigbrachten ein klares Statement gegen Rassismus im Stadion abzugeben? Wenig zufällig vor diesem Hintergrund jedenfalls, daß nicht ein Fan von den angereisten 27 400 nach dem Spiel auf die Idee kam, die Plakate in Konfetti zu verwandeln.

HSV: Golz – Kostner – Kober – Spörl, Babbel, von Heesen, Hartmann, Letschkow (70. Töfting), Albertz – Bäron, Ivanauskas (76. Sassen)

Schalke 04: Gehrke – Luginger – Linke, Prus – Scherr (66. Bester), Nemec, Müller, Borodjuk, Anderbrügge, Büskens – Mulder

Zuschauer: 27 400 Tore: 1:0 Ivanauskas (6.), 2:0 Bäron (13.), 3:0 von Heesen (38./), 4:0 Letschkow (49.), 4:1 Anderbrügge (66.)