■ Press-Schlag
: Die Palmeninsel

Es gibt ihn noch, den Sport, so wie wir ihn immer gerne sehen möchten: ehrlich, natürlich, glaubwürdig. Der Typ, der ihn in Stuttgart verkörperte, heißt so, wie kein Popstar heißen könnte, Paul Meier. Er wurde zum Volkshelden, nicht nur weil er wie weiland Uwe Seeler einen Namen trägt, den man so schön im Chor singen kann: „Pau-le, Pau-le.“ Nein, das Volk braucht unverdorbene Helden, an denen es sich aufbauen kann. Paul Meiers großer Vorteil ist seine Jugend. „Normalerweise stünde hinter seiner großartigen Leistung von 8.548 Punkten ein dickes Fragezeichen“, weiß Siggi Wentz, Olympiadritter von 1984. Denn wer heutzutage die sportliche Karriereleiter zu schnell hinaufklettert, wird gleich suspekt. Paul Meier nicht. Wentz: „Wir Alten können nichts mehr nachweisen.“ Paul Meier schon. „Clean Power“ heißt das Schlüsselwort des deutschen Zehnkampf-Teams seit drei Jahren. Da fing der Paule mit dem Zehnkampf gerade an.

Saubermänner kommen an. Wie sonst ließen sich diese Bilder deuten? Die Volksseele schwappte über: Das Stadion skandierte vor dem 1.500-Meter-Lauf, „jetzt geht's los“. Als nichts mehr los war, harrten 52.000 im Stadion aus, bloß um den Athleten bei der Siegerehrung mit minutenlangem Applaus ihre Hochachtung auszusprechen. Paul Meier, der Bronzemedaillengewinner, lief eine Ehrenrunde, nachdem der letzte Ton der Hymne für den Gewinner verklungen war. Zusammen mit seinen Mannschaftskameraden, die sich über die Plätze vier (Christian Schenk) und neun (Michael Kohnle) ausgelassener freuten als die US-Boys, wenn sie Weltrekord laufen.

Einmalig war dieser Zehnkampf in Stuttgart. Der offizielle Sieger heißt Dan O'Brien, Weltrekordhalter aus Amerika, sein Vize, der stille Edouard Hämäläinen, der Weltjahresbeste aus Weißrußland. Gewonnen hat aber letztlich der Sport. Gefeiert wurde dessen Wiedergeburt. Das deutsche Zehnkampf-Team hat – selbst wenn die Auferstehung noch Lichtjahre entfernt sein sollte – die Hoffnung geweckt, daß es irgendwann einmal ganz ohne Manipulationen geht. Sein Logo ist eine Insel, auf der nur eine Palme wächst. Aber einsam wollen sie nicht Sport treiben. Teamkapitän Christian Schenk: „Die Insel soll zur Weltkugel wachsen.“

Für den Neuanfang steht nicht nur der unverbrauchte Junge von nebenan, Paul Meier. Christian Schenk, der gebürtige Rostocker, hat gezeigt, wie Vergangenheitsbewältigung Spaß machen kann: Der 28jährige Olympiasieger von Seoul belehrte in Stuttgart alle sturen Medaillenzähler eines Besseren. Schenk, den nur 48 Punkte von Bronze trennten, jubelte über Platz vier, wie man ihn 1988 nicht über Gold hat jubeln sehen. 8.500 Punkte bedeuten persönliche Bestleistung. Besser als in Seoul. Und sauber. Wer geht mit auf die Insel? -coh-