Nebensachen aus Rio: Einsamer Geburtstag in der Dampfsauna
■ Brasiliens Ex-Präsident Collor macht sich auf die Suche nach sich selbst
Rio de Janeiro (taz) – Brasiliens ehemaliger Präsident Fernando Collor de Mello ist auf der Suche nach sich selbst. Der brasilianischen Tageszeitung Folha de Sao Paulo vertraute er kürzlich an, daß er in seinem geistigen Exil „sehr leide“. Selbstmordgedanken weist er weit von sich, doch es gefällt ihm offenbar, seiner Umgebung von Zeit zu Zeit einen Schrecken einzujagen. An seinem 44. Geburtstag, dem 12.August, schloß er sich zum Beispiel stundenlang in der Sauna seiner Villa in Brasilia ein. Die einsame Geburtstagsparty in der feuchten Entspannungsoase wurde erst von den Hausangestellten beendet: Um sein Wohlbefinden besorgt, brachen sie die Tür auf.
Früher liebte er Exkursionen in Überschallflugzeugen. Neuerdings bevorzugt er spirituelle Höhenflüge. Seine gegenwärtige „außerordentlich schmerzvolle Lebensphase“ betrachte er als „Katharsis“. „Das Leid verlangt von mir Zurückgezogenheit, damit ich mein emotionales Gleichgewicht wiederherstellen und mich selbst erkennen kann“, erfuhren die Journalisten. Natürlich sei er Gott für jede, wie auch immer schmerzhafte Lektion dankbar.
Doch auch mit öffentlicher Begleitmusik der Medien ist Collor seine Nabelschau eigentlich zu einsam. Alle Brasilianer sollen darum seinem Beispiel folgen. Nicht nur er selbst, das ganze Land habe eine „Rückbesinnung“ nötig, meint er. Collor hat die Bemühung um Selbsterkenntnis im übrigen zu einer neuen Interpretation seiner Vertreibung aus dem Präsidentenamt im Oktober vergangenen Jahres verholfen: Es sei ein „Verrat an der jungen brasilianischen Demokratie“ gewesen, weiß er jetzt.
Collor hatte 1989 als selbsternannter „Jäger der Korrupten“ die Präsidentschaftswahlen in Brasilien gewonnen, nur um drei Jahre später selbst Opfer seines Slogans zu werden: Großzügiger Umgang mit Steuergeldern setzte seiner Karriere ein jähes Ende. Doch seine „echten Freunde“ wollen sich mit Collors Abtritt von der politischen Bühne nicht abfinden: Sie sehen ihn schon 1994 triumphierend aus der Asche steigen. In den Regierungspalast soll ihr „Phönix“ aber erst 1999 wieder einziehen, „wenn die Welle der Verständnislosigkeit abgeklungen“ sei, meinen sie.
Collors Gattin Roseane kann es hingegen kaum erwarten. „Bald, bald“, versicherte sie der Presse, „wird Fernando wieder für seine Wähler dasein.“ Dabei hat das brasilianische Verfassungsgericht noch nicht einmal darüber entschieden, ob Staatsbürger Collor im kommenden Jahr wieder in den Vollbesitz seiner politischen Rechte kommen wird. Roseane interessiert das nicht. Auch die hohen Richter müßten sich dem Wählerwillen beugen, meint sie, Brasilien sei schließlich eine Demokratie.
„Fernando“ hat es nicht ganz so eilig. „Mich kann nichts mehr reizen. Ich habe doch schon alles erreicht, was ein Politiker sich wünschen kann“, sagte er den Reportern von Folha de Sao Paulo. Aber wie soll er der Langeweile des Politpensionärs entfliehen? Natürlich mit dem Tagtraum vom politischen Neuanfang. Eines weiß er schon jetzt: „Beim nächsten Mal würde ich alles anders machen... “ Astrid Prange
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