Taiwan: Appell an Einheit

■ Regierungspartei beendete turbulenten einwöchigen Kongreß

Taipeh (taz) – Mit einem Appell an die zweitausend Delegierten, die brüchige Einheit zu wahren, ging am Samstag in Taipeh der einwöchige Kongreß der taiwanesischen Regierungspartei Kuomintang (KTM) zu Ende. Lee Teng- hui, Präsident des Landes und Parteichef, sprach in seiner Schlußerklärung unter Anspielung auf die schweren inneren Differenzen von einer „hitzigen Debatte“. Doch das ist eine Untertreibung.

Es kam zu Schreiereien, Faustkämpfen sowie einem Zwischenfall, bei dem sich ein verärgerter Delegierter auf das Podium stürzte und bei dem anschließenden Handgemenge eine Gehirnerschütterung davontrug. Aber Lee Teng-hui konnte sich beglückwünschen, daß er ein Auseinanderbrechen der KMT verhindert hat, nachdem sechs prominente Mitglieder am Vorabend des Kongresses der Partei den Rücken gekehrt und die „Neue Chinesische Partei“ gegründet hatten.

Lees Widersacher in der Partei, die nicht der sogenannten „Hauptströmung“ angehören, werfen der KMT Korruption, Bestechung und mangelnde innerparteiliche Demokratie vor. In der Tat verfügt die KMT über ungeheure finanzielle Ressourcen, und ihre Kandidaten sind meist nicht abgeneigt, diese für ihre Wiederwahl zu verwenden. Zudem ist die Partei streng zentralistisch aufgebaut, und gewählte Politiker spielen nur eine relativ geringe Rolle.

Inhaltlich geht es vordergründig um das Verhältnis zur Volksrepublik China. Die oppositionelle Fraktion wirft Lee vor, ein Vertreter der „Unabhängigkeit Taiwans“ zu sein, daß er also die Fiktion offiziell beerdigen möchte, die KMT sei die Regierungspartei ganz Chinas. Demgegenüber behauptet die „Hauptströmung“, die Opposition strebe eine sofortige Wiedervereinigung mit China an. Doch jenseits der Grabenkämpfe hat Lee selbst die Unabhängigkeit als eine „Sackgasse“ bezeichnet, und niemand in der Partei befürwortet eine schnelle Vereinigung. Die ideologische Kontroverse, wie auch die Themen Korruption und innerparteiliche Diktatur, sind daher eher Vorwände für einen Machtkampf, bei dem es in Wirklichkeit um einen Generationenkonflikt geht.

Auf der einen Seite stehen diejenigen wie Präsident Lee und der größte Teil der Bevölkerung Taiwans, die auf der Insel geboren wurden, auf der anderen jene, deren Eltern aus Festland-China stammen. Diese „zweite Generation“ bangt um ihren Einfluß in der Partei, die traditionell eine Bastion der Festlandschinesen war.

Der Konflikt brach auf, nachdem die KMT bei den letzten Wahlen und in Meinungsumfragen ein schwaches Bild abgab. Bei den Parlamentswahlen im vergangenen Dezember, den ersten, bei denen alle Abgeordneten gewählt wurden, errang die KMT mit 53 Prozent ihr niedrigstes Ergebnis. Zum ersten Mal seit fast fünfzig Jahren scheint der Zugriff der KMT auf die Macht nicht länger selbstverständlich zu sein. Bei den Regional- und Kommunalwahlen im November wird bereits mit einem Sieg der „Demokratisch-Progressiven Partei“ gerechnet.

Vor diesem Hintergrund erfolgte der Appell Lees an die KMT-Mitglieder, ihre Reihen wieder zu schließen. „Wenn wir gespalten bleiben“, sagte er, „zerstören wir die Partei, schaden der Nation und gehen den Weg der Selbstzerstörung und des Selbstmordes.“ Simon Long