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Das Spiegelbild zum Rodney-King-Prozeß

■ Zwei Schwarze wegen Mißhandlung eines weißen Lkw-Fahrers angeklagt

Washington (taz) – Es ist das Jahr der permanenten Rückblende in Los Angeles. Zum dritten Mal innerhalb von vier Monaten ist die Stadt mit den Ereignissen des 29. April 1992 konfrontiert – jenem Tag, an dem eine fast ausschließlich aus Weißen bestehende Jury vier weiße Polizisten von dem Vorwurf freisprach, exzessive Gewalt gegen einen schwarzen Autofahrer namens Rodney King angewandt zu haben. Die Folgen sind bekannt: ein Ausbruch der ohnmächtigen Wut und Gewalt, bei dem über fünfzig Menschen ums Leben kamen; ein zweiter Prozeß gegen die Polizeibeamten, der mit einem Schuldspruch für zwei der Angeklagten endete, die jedoch Anfang diesen Monats wiederum von einem weißen Richter zu demonstrativ milden Strafen von je dreißig Monaten Haft verurteilt wurden.

Ende letzter Woche begann nun der vorläufig letzte Akt: Vor einem Geschworenengericht in Los Angeles wurde der Prozeß gegen die beiden Schwarzen Damian Williams und Henry Keith Watson eröffnet. Die Anklage lautet unter anderem auf versuchten Mord und schwere Körperverletzung in mehreren Fällen. Den beiden droht im Falle eines Schuldspruchs lebenslänglich Gefängnis. Wie im Fall Rodney King ist auch in diesem Prozeß ein Videoband das wichtigste Beweismittel: Aus einem Hubschrauber heraus hatte ein lokales Fernsehteam gefilmt, wie unter anderem Williams und Watson am 29. April letzten Jahres auf einer Straßenkreuzung in South Central Los Angeles den weißen Lkw-Fahrer Reginald Denny aus seinem Lastwagen zerrten und mit einem Wagenheber und einem Ziegelstein auf ihn einschlugen, bis Denny mit gebrochenem Schädel und eingedrücktem Gesicht regungslos liegenblieb. Denny überlebte letztlich, weil Anwohner aus South Central, die die Bilder live im Fernsehen gesehen hatten, Kopf und Kragen riskierten, den Mann in ihr Auto schleppten und ins Krankenhaus fuhren.

Was auf den ersten Blick wie ein klarer Fall für die Staatsanwaltschaft aussieht, ist in Los Angeles erneut zu einem Politikum geworden: Es gibt zwei Videotapes und in den Augen der meisten Afroamerikaner in South Central, Compton oder Watts eine einfache Rechnung: Wenn im Fall Rodney King nur zwei von vier weißen Polizisten schuldig gesprochen wurden, dann dürfen die beiden schwarzen Angeklagten im Fall Denny nicht einen Tag mehr im Gefängnis verbringen.

Der Fall Denny ist zum Spiegelbild des Falls King geworden. Demonstrierten vor vier Monaten noch Polizeibeamte und mehrheitlich weiße Sympathisanten vor dem Gericht für die vier Polizisten, so sammeln sich in diesen Tagen Afroamerikaner und fordern Gerechtigkeit für die „LA Four“. Der Prozeß gegen Williams und Watson ist in ihren Augen symptomatisch für den permanenten Rassismus der Gerichte: Während die vier Beamten des „Los Angeles Police Department“ nicht einen Tag im Untersuchungsgefängnis verbringen mußten, sind Williams und Watson seit ihrer Festnahme in Haft. Während den vier Weißen eine Höchststrafe von zehn Jahren drohte, können Williams und Watson zu lebenslänglicher Haft verurteilt werden.

So wartet LA nun erneut auf das Ende eines Gerichtsverfahrens, das mit der Symbolik eines Jahrhunderte alten Rassismus völlig überfrachtet ist. Schwarze Prominenz, angefangen von Jesse Jackson über Kongreßabgeordnete bis zu den lokalen Kirchenführern appellieren an die Jugendlichen, ruhig zu bleiben. Gleichzeitig müssen sie zur Kenntnis nehmen, daß die Verbitterung eher größer denn kleiner geworden ist. Der von Schwarzen wenig geschätzte weiße Millionär Richard Riordan wurde vor kurzem von einer weißen Mehrheit zum neuen Bürgermeister gewählt; an der katastrophalen ökonomischen Situation in den Ghettos hat sich nichts geändert; die angekündigten Aufbaumaßnahmen sind zumeist im Papierstau des US-Kongresses hängengeblieben. Andrea Böhm

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