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■ BerlinalienDie Herren der Ringe

Olympia ist überall. Den fünf Ringen und dem Bärengesicht auf dem gelben Grund entkommt in Berlin niemand mehr. Von öffentlichen Gebäuden flattern Fahnen, jeder Brief der Verwaltung ist mit dem Werbeslogan „Berlin 2000“ freigestempelt. Angestellte von Bezirksämtern erhalten neben ihrem Gehaltszettel Argumentationshilfen für die Spiele ins Haus geschickt. Und Olympiaaufkleber zieren die Wagen der Polizei – auch wenn die per Gesetz zu Neutralität verpflichteten Sicherheitskräfte zum Einsatz gegen reale oder vermeintliche Gegner der Spiele fahren. Rund 800 Beamte waren vor einer Woche aufgeboten, um den IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch bei seinem geheimen Blitzbesuch gegen alle Zumutungen des realen Berlin abzuschotten. Im Schloß Charlottenburg tischte Regierungschef Diepgen dem IOC-Chef eine grobe Lüge über die Haltung seiner Bürger zu den Spielen auf: „Die Begeisterung der Berliner kennt keine Grenzen.“ Tatsächlich markierten die Polizeisperren vor dem Schloß die Grenzen der Begeisterung.

Vier Wochen vor der Entscheidung über den Austragungsort der Spiele kann auch der krampfhafte Optimismus der Olympiaplaner die steigende Nervosität nicht mehr verbergen. Da ist es kein Wunder, daß Argumente schon als Bedrohung aufgefaßt werden und die Organisatoren einer groß propagierten Olympia- Völlerei auf öffentlichen Straßen einem Händler den Stand schließen, nur weil er Postkarten mit dem Slogan „Berlin 3000“ im Angebot hat. Die Mitglieder des Olympischen Komitees entscheiden schließlich am 23. September nicht nur über einen Austragungsort. Sie sprechen auch ein Urteil über eine Landesregierung, die ihre Politik völlig auf die teuren Spiele abgestellt hat: das Sportfest soll der Hauptstadt den entscheidenden Impuls geben. Da darf einfach nichts mehr danebengehen, denn eine Auffangposition gibt es nicht.

Olympia ist überall, die Hauptstadt muß man suchen. Seit der vermeintlich eindeutigen Bundestagsentscheidung vor zwei Jahren ist der Hauptstadtstreit zum Dauerthema geworden. Fast jede Woche wird ein neuer Vorbehalt laut, mal sind es grundsätzliche Bedenken, mal die Kosten. Manche vermeintlichen Freunde Berlins beteiligen sich mit einem Eifer an der Planung, der mißtrauisch stimmt: Ihre Maximalforderungen erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht überwindbare Hürden. Das Scheitern spricht dann nicht gegen den Urheber der Schnapsidee, sondern gegen die Stadt, in der die Schnapsidee nicht zu realisieren ist.

Der Dauerstreit um den Regierungsumzug findet bald ein Ende: Eine Woche nach den IOC-Herren entscheiden die Mitglieder des Deutschen Bundestages am 30. September über Berlin. Ein Olympiazuschlag für Berlin dürfte als Signal verstanden werden, das einen schnellen Umzug attraktiver macht.

Mit den zwei Entscheidungen wird der September für Berlin zum Schicksalsmonat. Was aber, wenn die Herren der Ringe Berlin verschonen und der Bundestag den Umzug ins nächste Jahrtausend verschiebt? Darüber hat sich in der offiziellen Hauptstadt bislang niemand Gedanken gemacht. Und folglich hat auch niemand eine Antwort. Hans Monath

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