Mostar braucht mehr als nur Symbolik

Als am Samstag erstmals seit Monaten ein UNO-Kontingent in dem von Kroaten eingekesselten moslemischen Teil Mostars eintraf, bot sich den Blauhelmen ein Bild des Elends: Viele Menschen befinden sich an der Schwelle zum Hungertod.

Während die Belagerung Sarajevos seit langem täglich neue Schlagzeilen macht, waren die Informationen über das Schicksal der Menschen in den von bosnischen Kroaten belagerten moslemischen Stadtteilen von Mostar bislang eher dürftig. Erstmals seit zwei Monaten hat nun ein UN- Konvoi mit dringend notwendigen Medikamenten den Ostteil der herzegowinischen Hauptstadt erreicht. Und was die Angehörigen des spanischen Unprofor-Kontingents am Samstag vorfanden, als sie in sieben gepanzerten Fahrzeugen in der Stadt im Südwesten Bosnien-Herzegowinas eintrafen, war ein Bild des Elends. Die Lebensmittelversorgung ist nahezu zusammengebrochen, viele Frauen, Männer und Kinder befinden sich an der Schwelle zum Hungertod: Seit mehreren Wochen fehlen den geschätzten 35.000 Menschen im moslemischen Teil der Stadt jegliche Nahrungsmittel, Trinkwasser und Elektrizität.

Wie dringend die Menschen im Ostteil der Stadt auf Hilfe von außen gewartet hatten, zeigte die Tatsache, daß ungeachtet des kroatischen Dauerbeschusses vom anderen Flußufer Scharen von jubelnden und winkenden Frauen und Kindern die Straßen beim Eintreffen der weißgestrichenen Panzerfahrzeuge säumten.

Die Lage im eingekesselten Ostteil Mostars ist weitaus schlimmer als befürchtet. Der stellvertretende Leiter der UNO-Friedensmission in Ex-Jugoslawien, Cedric Thornberry, der den Konvoi nach Mostar leitete, stellte nach seiner Ankunft fest, daß sich der moslemische Teil der Stadt in einem „schlimmeren Zustand befindet als Sarajevo zu den schlimmsten Zeiten“. Er hoffe, daß der kroatische Verteidigungsrat (HVO) bald einen Konvoi mit Hilfsgütern ermöglichen werde. „Denn wenn wir nicht sofort und regelmäßig Lebensmittel in die Stadt bringen, brechen die Leute schon in den nächsten Tagen auf der Straße zusammen“, sagte Thornberry.

Die Vereinten Nationen erwägen inzwischen, die Stadt demnächst aus der Luft zu versorgen, wenn die Kroaten ihre Blockade nicht aufheben. Auf die Frage, ob die Situation der Menschen im Ostteil vergleichbar sei mit der im von den Kroaten gehaltenen Westteil, antwortete Thornberry, daß die Moslems weitaus schlimmer dran seien. Denn während die kroatische Seite über ausreichend Nahrungsmittel, fließendes Wasser und täglich zwölf Stunden Elektrizität verfüge, müßten sich die Moslems ihr Wasser mit Eimern aus der Neretva holen – immer in Reichweite kroatischer Waffen. Und aus Mangel an Brennstoff zum Abkochen des Wassers hätten viele sich bereits eine Darmerkrankung eingehandelt.

Auch die medizinische Versorgung sei mehr als schlecht, befand der Unprofor-Mann nach ersten Eindrücken. In provisorischen Krankenhäusern würden täglich bis zu 20 Patienten operiert. Eines dieser Hospitäler mit nur 50 Betten wird im Keller eines heruntergekommenen Labors aus der Zeit der Jahrhundertwende betrieben. Wie allen anderen „Stationen“ gehen auch hier die Medikamente allmählich aus. Im Krankenhaus auf der gegenüberliegenden kroatischen Seite dagegen, so brüstete sich ein Vertreter der kroatischen HVO, fehle es an nichts.

An diesem Samstag nachmittag versuchte im Hauptoperationssaal des moslemischen Hospitals, einem etwa zehn Quadratmeter kleinen Raum, ein Arzt in Sandalen das Leben eines Moslems zu retten, der von kroatischen Kämpfern gezwungen worden war, die Frontlinien zu überqueren; er wurde im Kopf und im Rücken von Kugeln getroffen. In einem benachbarten Raum hielten sich Ärzte und Krankenpflegerinnen auf, sie rauchten, machten Witze, scheinbar ungerührt von dem Leiden nebenan. Viele von ihnen haben über hundert Tage hintereinander gearbeitet. „Wir alle hier sind völlig erschöpft“, entschuldigte sich eine Ärztin, „wir sind am Ende unserer Kraft.“ Seit über einem Monat hatte das Krankenhaus nur einen einzigen Chirurgen, der bis zu zehn Patienten täglich operieren mußte. In der vergangenen Woche kamen dann mehrere Ärzte aus Sarajevo herüber – nach einem gefährlichen Trip per Maulesel über den einzigen Bergpfad, der Mostar mit der Außenwelt verbindet.

Es gibt im moslemischen Teil Mostars kaum noch ein Haus, das nicht beschädigt wurde. Nur 30 Prozent der Häuser sind überhaupt noch bewohnbar. Auch am Samstag, als der Konvoi durchgelassen wurde, gingen die Kämpfe weiter. „Und das hier nennt sich Waffenruhe“, seufzte Thornberry, während er sich vor den Einschlägen hinter den UN-Fahrzeugen in Sicherheit brachte. „Wir müssen alles nur mögliche tun, um einen Waffenstillstand und einen Hilfskonvoi zu organisieren. Was die Leute in Mostar brauchen, sind nicht Medikamente, sondern Nahrungsmittel.“ John Pomfret (wps), Mostar