Versöhnung zweier Welten

■ Gerd Zacher spielte im Rahmen des Musikfestes Hamburg vergleichende Orgelwerke von Schönberg und Brahms

Am Schluß seiner Einführung gab Orgel-Veteran Gerd Zacher ein Gleichnis zum „Dein-Wille-geschehe“: „Wie wollte der Ton-schöpfer, daß seine Stücke gehört werden sollen?“. Mit seinem werktreuen Konzert in der St. Marien Kirche am Donnerstag abend wären Schönberg und Brahms sicher zufrieden gewesen.

In seiner Einführung verwies Zacher auf die Gemeinsamkeiten der Komponisten, die oft als „Revolutionär“ bzw. „Reaktionär“ betitelt wurden: Beide arbeiteten an den Beziehungen zwischen den Tönen. Diese Beziehungen verlangen die Erinnerung: „An alles, was einer je gehört hat und Erinnerung an alles, was in diesem Stück bisher gehört wurde.“ Letztere ist besonders dann gefordert, wenn es sich um Variationen handelt, erstere, wenn bekannte Melodien verarbeitet werden, wie in Choralvorspielen.

Schönbergs Variations On A Recitative, ein Spätwerk aus kalifornischem Exil, unterscheidet sich nur wenig von den Zwölftonwerken. Das tiefe Rezitativ als Grundlage erinnert sogar etwas an eine Reihe, frei von harmonischer Begleitung und durch Tempoänderungen charakterisiert. Schließlich enthält es sogar alle zwölf Töne.

Volle Register und gebundene Motive mit viel Hall erzeugten danach den Eindruck von Tonclustern, in denen Tonalität und Transparenz begraben wurden. Zwischendurch leuchteten wiederkehrende Motive, kontrapunktische Gegenläufigkeit in den bis zu sechs Stimmen und sogar eine verhaltene, fast lyrische Variation auf. Zacher spielte das Werk mit großem Ernst und meisterlicher Virtuosität. Wuchtige Akkorde prägten das Ende der Fuge und arbeiteten auf den abschließenden D-Dur-Dreiklang hin. In höherer Lage, fast ohne Pedal, transparenter, beinahe verspielt erklangen die Zwei Fragmente einer Sonate für Orgel von 1941. Das zweite Fragment, ein Allegro im 3/8-Takt hatte etwas Flüchtiges, nicht zuletzt durch die scheinbar abgebrochenen Motive mit kurzen Pausen.

Als Variationen über eine traditionelle Form lassen sich die Elf Choralvorspiele aus dem Nachlaß von Brahms verstehen. Der tonale Klang, die Verwandtschaft zur Kirchenmusik unterscheiden sich jedoch hörbar von Schönberg. Die Choralmelodien erscheinen mal in Oberstimme, Fußpedal oder werden auf die Stimmen verteilt. Choralsatzähnliche Vorspiele mit verzierter Melodie wechseln mit solchen, in denen die Liedzeilen unterbrochen und jeweils leise eingeleitet oder mit einem Echo versehen werden. Eine abschließende Reprise der Fragmente erschien nun wie ein Aufglimmen der ersten Konzerthälfte, der ungewöhnliche Orgelklang Schönbergs war plötzlich vertraut - dank der Erinnerung.

Niels Grevsen