Auf Dinos Rücken in die heile Urzeit

■ Kleine Soziologie der Dinomanie: Urzeitviecher als Fluchthelfer aus der Alltagswelt

Auf Dinos Rücken in die heile Urzeit

Kleine Soziologie der Dinomanie: Urzeitviecher als Fluchthelfer aus der Alltagswelt

„Die Dinos kommen!“ So warnen uns seit Monaten schon die Wochenblättchen. Nun sind die Viecher eingezogen in unsere Stadt. Grüßen am Kiosk von der Kinozeitschrift. Trampeln durch die Spielwarenläden. Breiten sich am Süßwarenstand aus und in der Geschenkboutique. Aufblasbare Dinos im Sportgeschäft, zuckersüße Dinos beim Bäcker.

Wohin sie gehen, ist relativ klar nach einem Blick ins heimische Kinderzimmer. Woher sie kommen, scheint eher ungewiß: ein Fall von kollektivem Größen- Wahn? Lust am Untergang? Flucht aus der grausigen Wirklichkeit in die graue, aber zunehmend bunte Vorzeit? Ja, sagen Bremer Kultur- und Dino-ExpertInnen. Vor allem aber helfen die Happy und neuerdings auch Drolly Dinos uns, „das Grauen in den Griff den kriegen.“

Dinos sind erstmal schön grauselig. So erklärt Antje Steinberg vom Überseemuseum die Anziehungskraft der Saurier. Eigentlich hat sie die Nase voll Dinos, seit sie als Mitarbeiterin des museumspädagogischen Dienstes die spektakuläre Dino-Ausstellung im Frühjahr betreuen durfte. Es gab „einen Zulauf, daß unser Haus ins Wanken geriet“: 270.000 BesucherInnen wollten die mechanischen Getüme sehen, die eine clevere japanische Firma gemeinsam mit dem altehrwürdigen Londoner Natural History Museum entwickelte. Inzwischen tourt eine zweite Version der Schau durch die Lande, bei anhaltendem Erfolg. Das Rezept? „Man sieht nicht einfach nur die Knochen“, sagt Martin Redlinger, Mitarbeiter des Berliner Dino-Vermarktungsbüros Worsch & Woite; „Die Tiere in Aktion, in Bewegung zu sehen — das ist, was die Leute anzieht.“ Und die Pädagogin abschreckt. Denn wo vor allem auf die „grauslige und reißerische Darstellung“ der Saurier gesetzt werde, da falle das weitergehende, eventuell gar wissenschaftliche Interesse hinten runter.

Dinos sind gewaltig. „Wenn man sich damit identifiziert, stecken da auch Omnipotenz- Träume dahinter“, sagt Steinberg. Dinos sind aber auch lieb: Kaum waren die großen Tiere als (Spielzeug-)Marktsegment entdeckt, da mutierten sie schon wieder und schrumpften auf Baby- Format. „Das paßt dann wieder ins Kindchenschema, mit dem runden Kopf und großen Augen.“ In der Ausstellung gab es eine rührende Geburtsszene, in der die Saurierkinder aus ihren großen Eierschalen schlüpften. Da ist es nur konsequent, wenn sie heuer aus Überraschungseiern in unsere Welt kriechen. Narciss Goebbel, Kulturplaner im heimischen Amt und erfahrener Pädagoge, sieht hier geradezu eine „Domestizierung“ der Urtiere: „Durch solche Inszenierungen bekommen die Dinos auch wieder eine verstehbare, angenehme Form.“ Ähnlich wie die Drachen und Fabelwesen anderer und früherer Kulturen, bis hinab zu Kaspers Krokodil, dienten die Dinos so als „Figur der Abarbeitung von Ängsten“, vermittels des „Herrwerdens über die Natur“.

Dinos sind von vorgestern. Und bieten damit eine ideale Projektionsfläche für Welt- und Wirklichkeitsflüchtlinge. Sind die Dinos also die Inkarnation aller „harmoniesüchtigen Regressionen“, wie z.B. der Kultursoziologe Detlef Kuhlbrodt fürchtet? Narciss Goebbel sieht das eher positiv: „Regression sei „ja erstmal ein rückwärtsgewandter Suchvorgang“, sagt er. Mit dem Ziel, sich „in scheinbar stabilen Verhältnissen“ einzurichten. Und was wäre stabiler als der breite Rücken eines Brontosaurus. Die Urzeitvertreter stellten möglicherweise „den kleinsten gemeinsamen Nenner für ein solches, in verschiedensten sozialen Schichten auffindbares Bedürfnis“ nach Regression dar. Was Goebbel nicht verteufeln will: „Solange sowas in einer kommunikativen Form bearbeitet werden kann, wie in den großen Ausstellungen, ist das vielleicht sogar eine sehr produktive Form von Wirklichkeitsbewältigung.“

Dinos sind gutmütig. Sie lassen praktisch alles mit sich machen, sich in jedwede Phantasieform pressen. Vielleicht aber lassen sie sich auch wieder herausholen aus ihren populären Spielformen. Pädagogin Steinberg hofft auf einen tieferschürfenden Umgang mit dem Thema Evolution — sobald die Dinomanie wieder abgeebt ist. Und auch Goebbels regt an, die Dinos aus ihrer Produkthaftigkeit zu befreien und sie stattdessen als Transportmittel für „Spiele und künstlerische Prozesse“ benutzen zu können.

Dinos sind käuflich. Und wie. „Wir kriegen immer noch Zusatzartikel“, stöhnt Sabine Volz, Leiterin der Karstadt-Spielzeugabteilung. Und jetzt dieser Film, wie heißt er noch gleich. „Da gibt es nochmal einen richtigen Boom.“ Und das Produkt Dino sorgt weiter für klingelnde Kassen. In welcher Form auch immer — „Hauptsache möglichst groß und furchterregend“ und ohne Überraschungen. Lupus Major