Eine „neue Kulturpolitik" für Bremen

■ Die Kultursenatorin legt ein Konzeptpapier für den Rest des Jahrtausends vor — komplett auf Seiten 38/39

Mit einem großmächtigen Konzept im Umfang von zehn Schreibmaschinenseiten kündigt Helga Trüpel nicht weniger als einen „Strukturwandel in der Kulturpolitik“ an. In einem ersten kritisch-exegetischen Durchgang lassen sich folgende Vorhaben ausmachen:

— Unser Philharmonisches Staatsorchester soll womöglich mit Mann und Maus in private Hände übergeben, wenn nicht abgeschoben werden. Dieser Rückzug aus der Trägerschaft spart dem Gemeinwesen erstens Geld, zweitens lockert sich die staatlich gestiftete Symbiose des Orchesters mit der Oper: Dort könnten dann von Fall zu Fall auch andere Orchester mit anderen Neigungen tätig werden. Hintergedanken an die Kammerphilharmonie sind vielleicht nicht ganz abwegig.

— Das Bremer Theater soll im Interesse der Qualitätssteigerung bei möglichst sinkenden Kosten gründlich reformiert werden. Damit es innert des nötigen Zeitraums nicht versehentlich hopsgeht, will die Senatorin der Theater-GmbH erstmals eine solide Kapitalbasis verschaffen: mittels Übereignung der ganzen großen Immobilie, die jetzt noch der Stadt gehört. Dann wäre das Theater finanziell etwas flexibler und könnte, unter uns gesagt, mal richtig Schulden machen. Beispielsweise bei der Gelegenheit von Musical-Produktionen, wie sie im Papier etwas zag schon mal angetippt werden.

— Die freien Theatergruppen dürfen evtl. ins Concordia, sofern sie ein gemeinsames Nutzungskonzept zustandekriegen.

— Das Übersee-Museum soll endlich ein neues Magazin kriegen. Das Ressort denkt an einen Neubau auf dem Uni-Gelände oder wo sonst Platz ist; das nötige Geld soll aus dem bremischen Investitions-Sonderprogramm von insgesamt 2,7 Milliarden Mark herausgesäbelt werden, welches im Rahmen des neuen Länderfinanzausgleiches zur Verfügung steht: 200 Millionen hat die Senatorin beantragt. Damit könnten dann auch noch andere eingesessene Institute wie die darbende Kunsthalle und das Focke-Museum saniert werden.

— Die Stadtbibliothek wird vielleicht auf etliche ihrer 34 Zweigstellen verzichten müssen. Das Ressort will mehr Qualität an weniger Standorten akkumulieren und dort dann die Öffnungszeiten verlängern, damit die Berufstätigen nicht immer die Dummen bleiben.

— Die ganze Masse der „Sozio"- und „Breitenkultur“ soll auf ihr ästhetisches Vermögen hin abgeklopft werden. Wer sich einer kulturell weniger relevanten „Gemeinwesenarbeit“ verschrieben hat, wird stärker als bisher an andere Ressorts oder gar an die kirchlichen Säckel weiterverweisen. Hier sind die nettesten Scharmützel vorherzusehen; es geht ja um die zahllosen Überreste, die das sozialdemokratische Beglückungsprojekt einer „Kultur für alle“ als Halbwaisen hinterlassen hat.

Nein, „Kultur für alle“ ist gescheitert, sagt das Kulturressort; und es hat sich wahrhaftig gerüstet mit dem Kampfbegriff der „Qualität“. In dem Papier krönt es ihn direkt zum Kriterium: „Die neue Kulturpolitik“, so heißt es feierlich, setzt „auf die Abkehr von bloßen Beteiligungsritualen, auf die Hinwendung zu hohen qualitativen Ansprüchen an künstlerische und kulturelle Produktion und darauf, daß ästhetische Erziehung und die Ausbildung ästhetischer Urteilskraft der Humanisierung und Zivilisierung von Gesellschaft besser dienen als eine bloße Menge mittelmäßiger Angebote — unabhängig davon, ob es sich bei diesen Angeboten um Opernaufführungen, Folklore- Ensembles oder Töpferkurse handelt“.

Solche hochgeschwungenen, ja kathedralischen Sätze findet man übrigens jede Menge in dem Papier. Es hallt geradezu nach Gelehrsamkeit in den weiten Syntaxgewölben; der Welthistoriker Jacob Burckhardt tritt auf, ja sogar Karl Kraus wird als Zeuge geladen, bloß um die Aussage zu machen, daß schneller und mehr nicht unbedingt besser sein muß.

Die ganze Einleitung ist ein Plädoyer für Moral, Identität und Herzensbildung auf einmal. Alle Versuche, die Kultur in den Dienst der Machtpolitik zu nehmen, seien schiefgegangen, heißt es, von der „Kultur für alle“ bis zum Geschwafel vom „Standortfaktor“. Auch als „gesellschaftsverändernde Kraft“ habe sie sich nicht bewährt, ja sie biete nicht einmal Handlungsanleitungen, „wie sich etwa an Antigone oder Michael Kohlhaas exemplarisch aufweisen ließe“, oder ehrlich gesagt auch an jedem anderen unserer drei Milliarden Kulturgüter, aber man kann ja nicht von allem mal gehört haben. Jetzt also soll die Kultur auf gut Aufklärerisch wieder zum Selbstzweck werden und nur noch der ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts, wenigstens der verfügbaren Einwohnerschaft dienen.

Aber nach fünf Seiten über „Differenzethik“ und Kultur als Voraussetzung von Multikultur kriegt das Papier schon noch quietschend die Kurve in den Pragmatismus, der ja so abwegig auch wieder nicht ist. Die Vorhaben, die da aufgelistet werden, sind teils ohnehin überfällig, teils jedenfalls die Diskussion wert, die sie auslösen werden. Aber gleich ein wahrhaftiger „Strukturwandel in der Kulturpolitik“? Wer einfach nur vernünftig in der Gegend herumsparen müßte, könnte geradenwegs auf die gleichen Ideen kommen.

Manfred Dworschak