Wie Mann Lustlöcher entsaftet

■ Ein taz-Test in Sachen schwuler Telefonsex: Das teure Vergnügen, Fern-Verbindungen zur Fidschiinsel zu knüpfen / Ermüdung tritt auf nach dem vierten Anruf

Wohl zu einem guten Drittel ist das Schwulen-Magazin Siegessäule mit Telefonsex-Inseraten bestückt. Um es gleich zu sagen: Extreme Freigeister kommen hier nicht auf ihre Kosten. So richtig entspannt, unterhalten, frank und frei dürften sich vielmehr die Telekom und die Sex-Nummerninhaber fühlen. Der Rest ist zwar keineswegs Schweigen, aber bares Geld für mäßige An- und Aufregung. Denn wer sich am Kick erotisch absoluter und cleaner Unverbindlichkeit berauschen möchte, muß tief in die Tasche greifen.

Der schöne, geile Telefonsex- Boy wohnt nämlich auf der Fidschi- oder Weihnachtsinsel, das heißt, wenn Mann ein bißchen Glück hat, auch gleich um die Ecke – in Hongkong. Die halbe Minute Sex-Talk kostet schlappe 1,56 DM und ist auch nur für Erwachsene – da kann selbst das bedürftigste Teil am Manne schon mal vor Schreck erschlaffen. Wer je teuer desto geiler findet, hat die Wahl, die so richtig gar keine ist, zwischen verschiedenen Nummern. „Hör heimlich zu“, wird Mann aufgefordert, „Bizarr“ soll es zugehen, „Wilde Orgien“ und „Verbotene Spiele“ werden angepriesen wie Softpornos aus Oswald Kolles Tagen.

Mann wählt also an, was ihn am meisten reizt – sagen wir mal „Bizarr“ und „Heiße Traumverbindungen“. Aber ach, es ist immer dieselbe smarte Stimme, die einen mit demselbem einfühlsamen Spruch einzuführen gedenkt: „Hallo, toller Typ, das ist die Gayline nur für Erwachsene. Minderjährige unter 18 Jahren legt bitte sofort auf ...“

Die „Verbindung für Männer, die Männer mögen und sich gerne mit ihnen über alles mögliche unterhalten“ verheißt vordergründig euphemistisch „Unterhaltung und Entspannung“, und das auch noch „hart und süß“ zugleich. Mit Sportlern, Ledertypen, Geschäftsmännern, Studenten, harten Motorradtypen – eben allen.

Wer tapfer seine Gebühren zahlt, wird zur „Live- Party“ geschaltet. Mann wähle zum Beispiel „Hör heimlich zu“ und gerät an – einen Sportler. Und das ist dann schon wieder unfreiwillig komisch – Codewort „Oswald Kolle“, wie schon erwähnt. „Huch, ich bin jetzt ganz erschrocken, ich bin noch gar nicht auf deinen Anruf vorbereitet“, tönt es. Der Traumboy ist 19 Jahre alt und hat bisher nur Sport getrieben; um ein „Sechs-Leben (tatsächlich so) habe ich mich bisher nicht gekümmert“. Da flutschen doch die Klischees, von wegen 19 und unerfahren, Sport und Muskeln, Body and Soul, der erste und möglicherweise der Einzige zu sein gewissermaßen. Auch beim dritten und vierten Anruf ist der Traumboy noch 19 und unvorbereitet – einfach phantastisch.

Die Sprache ist es dann schon weniger. Machte man sich die Mühe und stellte eine Statistik der meistbenutzten Sexline-Wörter auf, so würde dieselbe wenig umfänglich ausfallen. „Saft“, „geil“, „stark“, „schön“, „Traumbody“ und „Traumboy“, beide natürlich „durchtrainiert“, dann allenfalls ein bißchen Anales, „ficken“, „Lustloch“, „Eier“ und „Schwanz“, aber da kommt schon wieder ein Huuuch, das sich lüstern gibt. Spätestens beim vierten Anruf tritt mähliche Ermüdung auf, die aber wohl weniger mit „Entsaften“ zu tun hat.

Zu unverfrorene Klischees sind vielleicht nicht der Tod, aber doch die Grabredner der Phantasie. Das gemeinste, so scheint es, ist aber, daß zu Beginn jedes „geilen Spielchens“ für dessen Ende eine „heiße Sextelefonnummer“ für noch „tolerantere, freizügigere Männer“ in Aussicht gestellt wird. Zu denen möchte natürlich jeder gehören, und so harrt Mann aus, während in der „Party-Line“ „Lutschen“, „Saugen“ und Gestöhne simuliert und in der Selbstbeschreibung (alle mit 22 Zentimetern!) sowieso gelogen wird, daß sich die Balken biegen. Wenn dies die verborgensten Männerträume sind, die da wahr werden, so handelt es sich um gar bescheidene.

Aber wie umschrieb es einer der Callboys so treffend: „Ich bin ja auch nur ein geiler Mann!“ Das eigentlich „Anziehende im Sinne des Reizes“, wie es der französische Philosoph Pontalis definierte [Der hat hier gerade noch gefehlt! d. säzzer], liegt denn doch eher freudianisch im Verdrängten, Infantilen und – Visuellen. An genau der Differenz zwischen Bedeutetem und Bedeutendem aber scheitert eine Gayline mit linearem Anweisungscharakter, zumindest bei diesem/r und jenem/r.

„Hundert Prozent Erfüllung und Befriedigung“? Eher: Was für ein langweiliger dirty talk! Anke Westphal