"Weimar 680" lenkte ab

■ Ausstellung über 40 Jahre DDR-Medien im Deutschen Rundfunkmuseum Berlin

Jeden ersten Weihnachtsfeiertag, immer zwischen elf und eins, saß die halbe DDR vor dem Fernseher und überbrückte das Interregnum bis zum nächsten Essen mit einer „bunten Sendung“, die trefflicherweise „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ hieß. „Heinz, der Quermann“, seines Zeichens Taufpate so manches Ost-Unterhaltungskünstlers, und Margot Ebert, die einem für DDR- Verhältnisse immer so maßlos elegant vorkam, moderierten die Auftritte des Volksmusik-Duos Hauff/Henkler und plisseeberockter Kinderchöre.

„Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ rangierte beim DFF, dem Deutschen Fernsehfunk, in der Sparte „Unterhaltung/Show“ und erfüllte dabei noch eine spezielle Aufgabe im Wettkampf der Systeme: „Lenkung durch Ablenkung“. Das Fernsehen, der Rundfunk und die Presseagenturen östlich der Elbe waren direkt dem Ministerrat der DDR unterstellt – wenn man so will als Ausführende des administrativen Überbaus, der Ministerien für Inneres, Kultur und Volksbildung.

Fein säuberlich aufgeschlüsselt und als Graphik „Im Netzwerk“ visualisiert ist das Dilemma der vollständigen Instrumentalisierung von Kultur durch rigid kommunistische Ideologie in einer Ausstellung im Berliner Rundfunk-Museum. Sie unternimmt nichts weniger, als 40 Jahre Mediengeschichte der DDR begreiflich zu machen. Ein löbliches Unterfangen an einem so beispiellos komplett abgewickelten Kuriosum und Relikt, denn „Erinnern heißt leben“ – so allgewaltig jedenfalls formulierte es einst der Titel eines Defa-Dokumentarfilms. Das Erinnern am Hammarskjöldplatz unterm Funkturm konzentriert sich, ungeachtet der recht großzügigen Überschrift, ausschließlich auf Rundfunk und Fernsehen der DDR. Deren Presse bleibt erst einmal außen vor, und das ist angesichts der gewaltigen Materialfülle auch gut so. Das Motto der Ausstellung, „Mit uns zieht die neue Zeit“, stammt aus einem alten Pionierlied, und aus der Sicht einer Gegenwart, die es besser weiß, kommt einem nicht nur diese Textzeile ulkig und wehmütig zugleich vor.

Auch die exponierten Requisiten machen diesen Effekt, den man auch campy zu nennen pflegt: darunter der dämliche Fuchs und die zänkische Elster aus dem von der Abwicklung erretteten Abendgruß „Sandmännchen“, alte Fernsehgeräte und Radios Ost auf dem Weg in eine technisch-gesellschaftliche Utopie wie ein „Colortron“ von 1982 für 4.900 Mark (der DDR) und ein „Weimar 680“ aus den sechziger Jahren. Fotos, bisher unveröffentlichte Dokumente des Deutschen Rundfunkarchivs samt Ausschnitten aus Hörfunk- und Fernsehsendungen sind hier zu besichtigen.

Und da fällt es doch etwas schwer, „Heinz, den Quermann“ und seine „Vier Brummis“ den Propagandaplakaten gemäß als Zerschlager „der Lügen der Volksfeinde“ zu betrachten, oder gar Lutz Jahoda, wie er sich im „Kessel Buntes“, einer weiteren „bunten Sendung“, alle Mühe gibt, den Sinatra des Sozialismus vorzustellen. Mit beiden Stars befindet man sich allerdings schon jenseits des kalten Krieges, nämlich in der „Phase des umfassenden Aufbaus des Sozialismus“ (1961-71) bzw. der „der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ (1971 bis mindestens jetzt sollte sie schon dauern).

Die Ausstellung simuliert in der Darstellung und Periodisierung, von innen heraus sehr anschaulich und wohl auch den an ihrer Gestaltung beteiligten Ost-Zeitzeugen zu danken, das Vokabular jener marxistisch-leninistischen Handbücher, die zu einem guten Teil die Vitrinen füllen.

Budzislawskis Lehrbuch „Sozialistische Journalistik“ befindet sich zum Beispiel darunter neben internen Aktennotizen, Hausmitteilungen und Protokollen. Einige davon dokumentieren das Verbot des Fernsehfilms „Geschlossene Gesellschaft“ (Beyer/Poche) von 1978, weil der „den Sozialismus in Mißkredit brachte“ und „falsche philosophische Positionen“ aufwies. Allerdings markiert die emsige Textlastigkeit im Erdgeschoß ein Problem, das sich als Vorzug zu präsentieren sucht: Achtenswerterweise zugänglich gemachte Schrifttafeln – und dieser Verdienst sei nicht geschmälert – sind mit allzu sparsamen Bild-Pausen aneinandergereiht – vielleicht eine Spur zu didaktisch trotz bemühter Heiterkeit in den Überschriften – wieder jede Menge flotter Liederverse, „Sonderzug nach Pankow“ etwa, aber gerade diese Wahl ist wohl weniger gelungen.

Auf unterhaltsamere Weise lehrreich, um im Vokabular zu bleiben, geht es dann im Untergeschoß zu. Hier kann man alles noch einmal leibhaftig und nach Genres geordnet an sich vorbeiziehen lassen, „Aktuelle Kamera“, „Funkdramatik“, „Show“, „Beat“ und „Kinder/Jugend“, die Übergabe der einmillionsten Wohnung in Berlin-Marzahn, Wilhelm Piecks Büste aus dem Foyer des Funkhauses Nalepastraße oder eben – „Heinz, der Quermann“. Anke Westphal

Die Ausstellung „Mit uns zieht die neue Zeit – 40 Jahre DDR-Medien“ ist noch bis zum 31.1. 1994 geöffnet. Deutsches Rundfunkmuseum e.V., Hammarskjöldplatz 1, 14055 Berlin (Charlottenburg). Während der Funkausstellung täglich 10 bis 19 Uhr. Sonst täglich außer Dienstag 10 bis 17 Uhr. Der materialreiche und kompetent zusammengestellte Katalog ist bei Vistas erschienen, 308 Seiten, 30Mark.