Bolivien liebt einen baskischen Schnauzbart

■ Zum erstenmal steht die Fußballmannschaft Boliviens vor einer WM-Teilnahme

Berlin (taz) – „Die Bolivianer sind ein Volk, das keine Freuden hat. Wir geben ihnen welche“, sagt der Spanier Antonio Lopez, der zusammen mit dem baskischen Cheftrainer Xavier Azkargorta drauf und dran ist, die Fußballmannschaft des Andenlandes zu seiner ersten Weltmeisterschaftsteilnahme zu führen. Als Azkargorta vor einigen Monaten zum erstenmal bolivianischen Boden betrat, stieß er noch überall auf Ablehnung und wurde als „Scharlatan“ bezeichnet. Inzwischen würden die Bolivianer dem Mann mit dem gewaltigen Schnauzbart am liebsten ein Denkmal setzen. Nach vier Heimspielen und einem Auswärtsspiel hat die Mannschaft 10:0 Punkte und benötigt noch einen Zähler zur Qualifikation.

Zwar hatten die Bolivianer in ihrem 4.000 Meter hoch gelegenem Stadion seit jeher die von Sauerstoffmangel geplagten Gegner das Fürchten gelehrt, am Ende aber dennoch stets das Nachsehen gehabt. Nun stand La Paz Kopf, als am vergangenen Sonntag die imposante Heimspielserie in der Gruppe B mit Siegen gegen Brasilien, Uruguay und Ecuador durch einen 7:0-Triumph über Venezuela gekrönt wurde.

Physisch und technisch seien die Spieler durchaus auf der Höhe gewesen, sagt Azkargorta, sie hätten jedoch nicht das mindeste Selbstbewußtsein gehabt. Mit Lektionen aus dem Buch „Männer für den Fußball“ von Santiago Coca päppelte der Baske die Psyche der Akteure auf, gab die einfache Taktik- Parole „viel rennen und den Ball immer einem Grünen geben“ aus, und plötzlich spielten Leute wie Marco Antonio Etcheverry, „El Diablo“, oder Erwin „Platini“ Sanchez ihre renommierteren Kontrahenten glatt an die Wand.

Der 7:1-Kantersieg in Venezuela zeigte, daß mit Bolivien auch im Flachland zu rechnen ist, das nächste Opfer könnte am Sonntag Brasilien sein, wo die Fußballwelt mal wieder zusammengebrochen ist. Nach wie vor sind die besten Fußballer der Welt in Brasilien zu Hause, unglücklicherweise aber auch die fanatischsten Journalisten. Gewonnen hat Brasilien schon lange nichts mehr. Das liegt zum einen daran, daß die Stars in alle Welt verstreut sind und kaum Zeit zur Vorbereitung bleibt, zum anderen an der fatalen Rolle, die die Medien, allen voran Altstars wie Pelé oder Ex-Trainer wie Tele Santana spielen. Kaum läuft ein Match schlecht, fallen sie wie Hyänen über den jeweiligen Coach her, verteufeln Taktik und Spielerauswahl in Grund und Boden. Der Sündenbock weiß, daß seine Tage gezählt sind, wirft sein Spielsystem panisch über den Haufen, hat dadurch natürlich noch weniger Erfolg – der Nächste bitte. Das letzte Opfer dieser absurden Prozedur ist Carlos Alberto Parreira, dessen Ablösung durch Santana auch im Falle einer Qualifikation als sicher gilt.

Diese gedenkt indes Uruguay zu verhindern, das seinen Trainerwechsel bereits vollzogen hat. Ildo Maneiro darf sein Debüt beim Heimspiel gegen Venezuela geben, die Entscheidung über den zweiten Platz der Gruppe B wird jedoch voraussichtlich am 19. September fallen, wenn Uruguay in Brasilien antreten muß. Es sei denn, Bolivien stürzt schon vorher einen der beiden Ex-Weltmeister ins Inferno. Matti Lieske