Geregelte Freiheit der Meere

Die Europäische Gemeinschaft hat den Fischfang fest im Griff  ■ Von Alois Berger

Manchmal werden Fischkutter mit Kriegsschiffen gejagt, wie vor einigen Monaten in der Biskaya. Aber das ist eher die Ausnahme. Mit Zollkreuzern kommt das schon öfter vor. In der Regel reichen einfache Fischereischutzboote, um die Einhaltung der EG- Bestimmungen zu kontrollieren. Dabei kann es allerdings vorkommen, daß ein Fischer den Motor aufdreht und einfach wegfährt. Denn so eine Stichprobe kann unangenehm ausgehen.

Die Kontrolleure, die auf hoher See an Bord klettern, untersuchen den Laderaum. Sie messen, wie lang und dick der gefangene Kabeljau oder Rotbarsch ist und ob die Netze nicht zu eng geknotet sind. Sie studieren auch das Logbuch, in dem der Kapitän eintragen muß, wieviel er von welchem Fisch wo aus dem Wasser geholt hat. Für alles gibt es genaue Vorschriften, und bei Verstößen sind Bußgelder noch die harmloseste Strafe: Im Extremfall kann das Schiff beschlagnahmt werden.

Die Fischerei fällt in der EG unter den Agrarbereich, und dort herrscht Marktordnung. Mit Markt hat das allerdings nicht viel zu tun, mehr mit Ordnung. Für 90 Prozent der Fische gibt es festgelegte Fangmengen. Zum Schutz der Bestände, wie es heißt, denn in den Häfen liegen riesige Flotten, die in der Lage wären, die Meere totzufischen. Jedes Jahr um Weihnachten legt die Fischfangkommission der EG auf der Grundlage wissenschaftlicher Bestandschätzungen die Höchstmengen fest. Dann beginnt das Feilschen, ob Dänemark in der Nordsee mehr Krabben und dafür Deutschland in der Ostsee mehr Sprotten fischen darf oder umgekehrt.

Als Seefahrernationen haben Großbritannien und Dänemark die größten Flotten. Aus alter Tradition dürfen sie die Hälfte der EG-Fänge fischen. Aufmerksam verfolgen die EG-Fischer zur Zeit die Beitrittsverhandlungen mit Finnland, Norwegen und Schweden. Die drei Länder bringen prächtige Fischgründe in die Gemeinschaft ein, die sie mit ihrer mittelständisch organisierten Flotte nicht voll ausnutzen. Schon seit 1992 fordert die EG von den Kandidaten Zeichen des guten Willens: Spanien, Portugal und Irland dürfen deshalb in Skandinavien 11.000 Tonnen Kabeljau pro Jahr fischen, die EG als ganze noch mal 20.000 Tonnen dazu.

Ein Blick nach Süden reicht, um zu verstehen, warum die drei Skandinavier sich höhere Quoten sichern möchten als derzeit abgefischt: In Spanien und Portugal ist seit dem EG-Beitritt vor sechs Jahren die ehemals handwerkliche Küstenfischerei zur modernen Fischfangindustrie geworden.

Die spanischen Fischer zählen heute zu den stärksten Verfechtern von Importbeschränkungen. Nur die französischen treten noch roher auf, wenn sie wieder mal ein paar Tonnen faulige Heringe auf Marktplätzen abladen. Die Regierung in Paris springt dann meist mit einer neunstelligen Soforthilfe ein und beschwert sich in Brüssel. Daß sie sich damit nur selten durchsetzen kann, liegt vor allem am Gegendruck der Konservenfirmen, die Heringe einlegen oder Sardinen in Dosen quetschen und dafür auf Importe angewiesen sind.

Die Fischindustrie ist längst stärker als die Fischer. In Deutschland stehen den rund 6.000 Fischern sogar fast 20.000 Arbeiter im Fischhandel und noch mal so viele in der fischverarbeitenden Industrie gegenüber. Nur bei einigen Weißfischarten hat sich die EG Anfang des Jahres weichklopfen lassen und Mindesteinfuhrpreise festgelegt. Der Erlaß richtet sich vorwiegend gegen russische und polnische Fischer, die vermehrt auf den westlichen Markt drängen. Anstatt den osteuropäischen Ländern die versprochenen Handelschancen einzuräumen, versucht die EG lieber, die eigenen Flotten auszubauen und dafür neue Fischgründe zu pachten.

Mit fast allen afrikanischen und vielen lateinamerikanischen Ländern gibt es inzwischen Verträge, nach denen europäische Fischer deren 200-Meilen-Zone abräumen dürfen. Im Gegenzug finanziert die EG in Nigeria oder Senegal den Aufbau einer einheimischen Fischindustrie. Das treibt nicht nur viele kleine Küstenfischer in den Ruin. Die EG schafft sich mittelfristig auch neue Konkurrenten, gegen die ihr später gewiß wieder nur Importbeschränkungen einfallen werden. Aber was soll so ein EG- Kommissar machen, wenn vom Marktplatz der Hering herüberstinkt?