Ausrottung des Nordsee-Dorsches?

■ Alain Maucorps vom „Französischen Forschungsinstitut zur Ausbeutung des Meeres“ (IFREMER), warnt vor der Überfischung der EG-Gewässer

taz: Wie steht es um die Fischbestände in den europäischen Meeren?

Alain Maucorps: Gemessen am Potential zur Fortpflanzung und Erneuerung der Ressourcen, wird in allen Gewässern der EG, ganz besonders jedoch in der Nordsee, zu viel gefischt. Das wissen wir seit mehreren Jahren. Deshalb versucht die EG-Kommission ja auch, das Potential der Fischereiflotte zu verringern, doch von einem Gleichgewicht zwischen Ressourcen und Fangkapazitäten sind wir weit entfernt.

Welche Arten sind gefährdet?

Besonders schlecht steht es um den Dorsch in der Nordsee. Obwohl wir seit Jahren zu drakonischen Schutzmaßnahmen raten, sind wir von seiner Ausrottung nicht mehr weit entfernt, das bestätigen die jüngsten Analysen.

Der Bestand des Seehechts ist in den portugiesischen Gewässern gefährdet sowie im Golf von Biscaya. Große Krabben und Seezungen werden dort auch überfischt. Andere Arten wie Hering und Makrele könnten im Westen der britischen Inseln sogar stärker gefischt werden.

Vor allem der Hering hat sich seit dem Einbruch Ende der siebziger Jahre gut erholt. Die Jungfische müssen allerdings geschont werden.

Was schlagen die Wissenschaftler neben Fangquoten noch zum Schutz bedrohter Arten vor?

Wir suchen vor allem nach Möglichkeiten, wie die Jungfische geschützt werden können. Beim Kabeljau gibt es heute in der Nordsee praktisch keine alten Tiere mehr, also Fische, die fünf Jahre alt geworden sind und sich mehrmals reproduzieren konnten. Deshalb werden heute selbst zweijährige Fische gefangen. Das müssen wir verhindern.

Doch oft ist es schwierig, wirksame Schutzvorschriften zu erlassen. Ein Beispiel: In letzter Zeit gibt es einen reichen Bestand an Schellfisch. Doch die Fischer, die sich jetzt auf Schellfisch umgestellt haben, ziehen automatisch und unbeabsichtigt die jungen Dorsche mit aus dem Wasser, da sie in denselben Gewässern leben. Schutzmaßnahmen für die Dorsche allein nutzen daher nichts. Wir können den Schellfisch aber nicht verbieten, denn die Fischer müssen ja auch leben.

Versuchen die Fischer, bestimmte Zonen von Zeit zu Zeit zu meiden, damit sich die Bestände erholen können?

Die Flexibilität der Flotten ist ziemlich gering. Früher war das anders, doch das Seerecht verbietet ihnen heute viele Gewässer. Vor allem die deutschen Hochseefischer fuhren Anfang der siebziger Jahre noch bis in arktische Gewässer bei Grönland. Ähnlich war es in Frankreich.

Heute haben sich diese Fischer umorientiert und fischen näher, dort wo es ihnen noch erlaubt ist. Auch deshalb hat sich der Druck auf die Ressourcen in den EG-Gewässern erhöht. Weil es hier keine neuen Ressourcen mehr gibt, können sich die Bestände auch nicht erholen.

Was schlagen Sie vor?

Wir dürfen nicht den technischen Fortschritt bremsen, sondern müssen die Zahl der Boote an die Ressourcen anpassen. Wenn die Fangtechnik ergiebiger wird, darf es statt vorher drei Booten nur noch zwei geben. Doch darüber müssen die Politiker entscheiden. Interview: Bettina Kaps/Paris