Die Karawane zieht weiter

Demokratie ist trotz entsprechender Zusicherungen in Turkmenien noch immer eine Fata Morgana  ■ Von Dilip Hiro

Das im Mai letzten Jahres verabschiedete neue Grundgesetz von Turkmenien garantiert allen Bürgern in Artikel 26 „Meinungsfreiheit, außer wenn es Dinge der Staatssicherheit berührt“. Artikel 28 gibt allen Turkmenen das Recht, politische Parteien zu gründen, mit der Einschränkung, daß diese weder gewaltsam zur Veränderung des verfassungsgemäßen Zustandes aufrufen noch die verfassungsmäßigen Rechte angreifen oder zu rassisch, national oder religiös begründetem Haß aufhetzen, noch eine Militärherrschaft anstreben dürfen. So weit, so gut.

Trotz dieser hehren Versprechungen und dem regierungsamtlichen Bekenntnis zu Demokratie und einem Mehrparteiensystem haben Turkmenen bisher von der versprochenen Freiheit noch wenig bemerkt. Alle Sender des Landes sind weiterhin in den Händen der Regierung, alle Zeitungen und Zeitschriften werden entweder von der herrschenden Demokraten-Partei, der alten KP Turkmeniens, oder von Organisationen der Getreuen kontrolliert. Und bisher hat noch keine Oppositionspartei den begehrten Registrierungsstempel erhalten.

Das Versprechen der Regierung, „die Medien zu öffnen“, steht in seltsamem Widerspruch zur Existenz eines „Zentrums für die Presse“ im Präsidialrat. Dieser Rat ist das höchste Exekutivorgan des Landes und funktioniert als „Superkabinett“, während die Mitglieder des tatsächlichen Regierungskabinetts lediglich Chefs ihrer Abteilungen sind. Von diesem Rat wird nicht nur die Presse „angeleitet“, sondern auch der „Rat der Staatssicherheit“, der seinerseits sämtliche Publikationen überprüft.

Anders als seine Kollegen in Kasachstan und Kirgisien enthält sich der Präsident Turkmeniens, Sepamurad Nijasow, nicht der Politik, sondern ist Vorsitzender der Demokraten-Partei. Zwar kann er die Registrierung anderer Parteien nicht direkt verhindern, aber er kann andere „dazu ermutigen“, die Linie seiner Partei zu diesen und anderen Fragen zu verbreiten; und genau das tut er – selbst mit der quasi-unabhängigen Presse. Die Kommunistische Partei mag ihre totalitären Methoden abgelegt haben, die Menschen und Maschinen der Kontrolle jedoch funktionieren zum großen Teil auch unter dem neuen System weiter.

Es gibt drei oppositionelle Gruppierungen, die im engen Rahmen der Verfassung agieren: die Einheitspartei, die Jungen Demokraten und die Demokratische Partei. Diplomaten in der Hauptstadt Aschchabad zufolge sind die ersten beiden lediglich „politisierende Kaffeekränzchen“. Die Demokratische Partei jedoch, die von Durdimurad Hoja-Muhammad geführt wird, ist eine ernstere Sache; sie behauptet eine Mitgliedschaft von 1.500, deutlich mehr als die zur Registrierung nötigen 1.000.

Über die Gründung der Partei am 2. Dezember 1990 berichtete die Moskau News, die örtliche Presse jedoch, so Hoja-Muhammad, widmete dem Ereignis „kein Wort und keine Zeile“. „Um über uns und unsere Politik zu sprechen, müssen wir die Fernseh- und Radiosender oder Zeitungen der Nachbarländer in Anspruch nehmen. Oft gehen Nachrichten über unsere Aktivitäten über Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans.“

Die erste Zeitung der Partei, Dainach, wurde im Januar 1992 in Moskau produziert – bis heute hat es kein Heft in Turkmenien geschafft. Eine Sendung von 30.000 Exemplaren wurde von Parteimitarbeitern in Moskau auf den Weg nach Aschchabad gebracht, von den Behörden der Hauptstadt jedoch festgehalten und konfisziert. Hoja-Muhammad behauptet, daß der Inhalt des Heftes weder gegen russisches noch gegen turkmenisches Gesetz verstößt...

„Von einer freien Presse zu sprechen, solange es keine Zeitungen der Opposition in Turkmenien gibt, ist wohl schlecht möglich“, sagte der stellvertretende Chefredakteur der Aschchabad am Abend, Jeren Taimowa. „Und bisher haben sich selbst Journalisten weder besonders heftig für die Freiheit der Presse noch für die Opposition eingesetzt. Aber ohne freie Presse und freien Rundfunk ist es schwer, Demokratie zu entwickeln.“

Die bunte Geschichte von Aschchabad am Abend exemplifiziert den Stand der unabhängigen Presse Turkmeniens. 1968 gründete sich die Zeitung als Organ der städtischen KP, zeigte in der Perestroika-Ära heftige Tendenzen, sich unabhängig zu machen, und wurde verkauft, als durch sowjetische Gesetzesänderungen die Kontrolle von Staat und Partei über die Medien aufhörte. Schließlich befand sich die Zeitung im Besitz des städtischen Bürgermeisteramtes, und auch andere Zeitungen endeten in den Händen verschiedener offizieller Körperschaften, einschließlich Parlament und Kabinett. Wenn nötig, wurde jede Zeitung noch rechtzeitig von der Linie der Partei überzeugt. Am 20. Oktober 1992 veröffentlichte Aschchabad am Abend zum Beispiel einen Artikel ihres Redakteurs Tagan Jumakow unter der Überschrift „Brauchen wir ein Mehrparteiensystem?“. Jumakow schrieb: „Die Zeit für ein Mehrparteiensystem ist noch nicht gekommen. So viele Probleme unserer Gesellschaft müssen gelöst werden, und wir müssen den Lebensstandard heben. Erst wenn unser Lebensstandard hoch ist und wir ökonomisch unabhängig sind, dann – und nur dann – können wir auch ein Mehrparteiensystem verkraften. Sollten wir jedoch sofort damit anfangen müssen, würden anarchische Zustände ausbrechen.“ Mit diesem Kommentar wiederholte der Redakteur nur, was als Meinung des Präsidenten zum Thema sattsam bekannt ist.

Direkte Zensur wurde im Dezember 1991, nach Erklärung der Unabhängigkeit, abgeschafft. Der KGB beendete seine Kontrollfunktion – aber der Posten blieb nicht lange frei: der allmächtige Präsidialrat und das Komitee für Staatssicherheit übernahmen.

„Das Zentrum der Presse im Präsidialrat schreibt der Presse vor, was sie zu tun und zu lassen hat“, sagt Jeren Taimowa. „Der Staat übt dabei seine Kontrolle nicht ganz so strikt aus, wie die Kommunistische Partei es tat, aber er hat das Pressezentrum zu einem Instrument gemacht, das Verleger und Chefredakteure ,überreden‘ muß.“

Eine klare Agenda regelt die Auswahl von Nachrichten, was erlaubt und was unerwünscht ist. Ein Beispiel sind die Konflikte in der Region. „Nehmen sie beispielsweise Afghanistan und Tadschikistan“, sagt ein Journalist. „Man hat hier Angst, daß sich diese Konflikte auf die Nachbarländer ausweiten könnten. Würden wir über Gewalttaten berichten oder sie auf unseren Seiten darlegen und erklären, könnte das zu Konflikten bei uns führen und unser eigenes Land destabilisieren. Und dann wären wir als Journalisten die Sündenböcke.“

Natürlich erfährt die Bevölkerung dennoch, was in den Nachbarländern los ist: ein Fernsehprogramm aus Moskau, das in Aschchabad empfangen werden kann, ist voll mit Nachrichten von den Kämpfen in Afghanistan und Tadschikistan. Über Tun und Lassen des Präsidenten dagegen ist ständig etwas zu berichten. Ereignisse wie seine Ernennung zum Helden des turkmenischen Volkes im Oktober 1992 sind Stoff für die ersten Seiten, große Fotos vom Tag und anschließend noch wochenlange Glückwunschbriefe und Lobhudeleien.

Trotz der äußerst schwierigen Situation machen einige wenige unabhängige Zeitungen, die zu Perestroikas Zeiten gegründet wurden, hartnäckig weiter. Die Wochenzeitung Turkmenien heute, die zweisprachig russisch-turkmenisch erscheint, ist ein Beispiel dafür. Sie wurde im Juni 1991, noch vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in Moskau registriert, und ihre Auflage erreichte innerhalb von 18 Monaten stolze 25.000 Exemplare.

Das Management der Zeitung hat sich bisher aus dem Netzwerk der offiziellen Zeitungen heraushalten können, muß deshalb aber alle Artikel vor ihrer Veröffentlichung durch die Zensur des Staatssicherheitskomitees gehen lassen, damit ja kein Staatsgeheimnis durch die Maschen schlüpft. „Aufgrund dieser Situation ist es so gut wie unmöglich, eine unabhängige Meinung zu vertreten“, sagt Allaguly Usupow, einer der Verleger der Zeitung. „Wir würden gerne alternative Standpunkte zu Gehör bringen, aber man hindert uns daran.“

Auch die Verleger von Turkmenien heute haben sich zunächst mit der Situation abgefunden. „Es ist völlig unmöglich, direkte Kritik zu veröffentlichen, und wir wollen das auch nicht“, sagte Odek Odekow, von Beruf Geologe und Vorsitzender des Verwaltungsgremiums. „Aber es gibt ja auch noch so etwas wie indirekte Kritik. Da gibt es beispielsweise die Ölpipeline von Turkmenien durch den Iran. Dieser Vertrag wurde geschlossen, ohne daß man Wissenschaftler zu Rate zog, und die Erdbebengefahr in dem Gebiet, durch die die Pipeline führt, wurde völlig ignoriert. Das Parlament diskutierte darüber nicht. Ich habe die Angelegenheit in Radio Liberty erwähnt. Und was unsere Zeitung angeht, möchte ich doch behaupten, daß wir einiges Material publiziert haben, das Sie in keiner anderen Zeitung finden können.“

Er zeigte mir eines seiner ins Englische übersetzten Gedichte, in dem er Turkmenen dazu aufruft, stolz auf ihr asiatisches Erbe zu sein. „Auch dies kann nicht offiziell publiziert werden. Es gilt als Aufhetzung zum Nationalismus.“

Dilip Hiro lebt in London und reiste kürzlich in Zentralasien.