Der Rubel rollt nur russisch

Nach der Geldreform diktiert Rußland Bedingungen für „Rubelzone neuen Typs“ / Inflation verhindert das Entstehen wirklicher Banken  ■ Aus Moskau Donata Riedel

Das Geschäft mit Fluchtkapital muß man ja nicht unbedingt der ausländischen Konkurrenz überlassen. Was deutsche Banken mit ihren Luxemburger Töchtern seit Jahren erfolgreich vorexerzieren, wird ihnen ab September die erste russische Geschäftsbank nachmachen: Die Inkombank eröffnet dann auf Zypern ihre erste Auslandsfiliale. Sie will damit ihren Geschäftskunden entgegenkommen, die im Ausland über Tochterfirmen Gewinne in Hartwährungen erwirtschaften und diese dort zinsträchtig anlegen wollen.

Das ist zwar nach russischen Gesetzen illegal, stört aber Inkombank-Vorstand Alexej Kusnezow nur wenig. Denn der 34jährige hat großes Verständnis dafür, daß ein Unternehmer seine Devisengewinne nicht nach Rußland bringen will. Dort müßte er die wertvollen Dollar zwangsweise zur Hälfte umrubeln und außerdem versteuern. Kusnezow gibt zu bedenken, es könnte ja auch sein, daß eben jener Unternehmer seine Dollars nur kurzzeitig aufbewahrt wissen will, weil er sie eigentlich zur Abwicklung des nächsten Geschäfts bräuchte. Womit dann die Anlage auf einem zypriotischen Inkombank-Konto immerhin in der Grauzone stattfände.

Jedenfalls will die Inkombank in Zypern drei bis sieben Prozent Zinsen auf Dollarguthaben zahlen – mehr als die dortige Konkurrenz. Vielleicht zieht sie damit ja auch nebenbei einen Teil des schon heute im Ausland geparkten Fluchtkapitals an, geschätzte zwölf Milliarden US-Dollar.

Das Geld für die zypriotische und andere Investitionen hat die russische Bank, an der zu 40 Prozent die US-Finanzgesellschaft Sherson Lehman Brothers beteiligt ist, vorwiegend mit dem höchst lukrativen Geldwechselgeschäft gemacht. Wegen der hohen Inflationsrate von monatlich 20 bis 30 Prozent bewahrt niemand größere Rubelbeträge auf. An den Bankschaltern und in den Geldwechsel- Bussen herrscht daher reger Andrang von RussInnen, die alle Rubel, die sie nicht sofort zum Einkaufen brauchen, in Dollar tauschen. Die Banken geben für einen Dollar rund 1.000 Rubel heraus, verlangen aber umgekehrt 1.100 Rubel für einen Dollar – ein sicheres Geschäft.

Von den 1.600 russischen Banken erfüllen denn auch nach einer Studie der EG-Kommission bestenfalls 130 mit ihrem Angebot westliche Standards. Die Mehrzahl der Geldinstitute gehört noch immer direkt zu den staatlichen Industriekombinaten und leitet im Wesentlichen die Zentralbankkredite an diese weiter.

Die hohe Inflation hindert auch die wenigen einigermaßen finanzstarken Banken daran, langfristige Kredite zu gewähren. Dabei fehlt überall im Lande Kapital zum Aufbau neuer Unternehmen oder zur Modernisierung privatisierter Geschäfte. So bleibt es zumeist bei kurzfristigen Krediten, die typischerweise an Importeure von Westautos oder an Rohstoffexporteure vergeben werden.

Bevor in Rußland ein dem Westen vergleichbares Bankensystem entstehen kann, das für die Wirtschaft das notwendige Kapital bereitstellt, wird vermutlich noch etliche Zeit vergehen. Viel hängt davon ab, ob es der Zentralbank gelingt, die Inflation zu dämpfen. Westliche Wirtschaftsexperten wähnten Rußlands Notenbank bereits auf dem richtigen Weg, sank doch die Inflationsrate von über 50 Prozent im März auf 21 Prozent im Juni. Doch das gerade aufkeimende Vertrauen machte die Zentralbank am 25. Juli jäh zunichte, als sie alle vor 1993 gedruckten Rubelnoten über Nacht für ungültig erklärte.

„Die haben nichtmal daran gedacht, daß es dann ja gar kein Kleingeld mehr gibt“, lästerte ein deutscher Geldexperte in Moskau. Bäckereien beispielsweise verlangten, daß die Kunden fürs Brot passend zahlten, was diese mangels Kleingeld gar nicht konnten. So erklärte Präsident Boris Jelzin einen Tag später die kleinen Scheine kurzerhand wieder für gültig, verlängerte die Umtauschzeit von zwei auf fünf Wochen und erhöhte den möglichen Tauschbetrag von 35.000 auf 100.000 Rubel pro Person. Weil das russische Parlament (dessen Zusammensetzung ein Relikt aus Sowjetzeiten ist) im Juli auch noch einen Haushalt für das laufende Jahr verabschiedete, der ein Defizit von 22 Billionen Rubel einplant, wird die Inflation in jedem Fall wieder wachsen. Das Billionendefizit entspricht knapp einem Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung (Bruttosozialprodukt). So ein Defizit schadet der Bevölkerung über galoppierende Preise weit mehr als die Verfügung, alte Rubelnoten für ungültig zu erklären.

Der Dilettantismus der Notenbanker brachte auch gleich das außenpolitische Ziel der sogenannten Geldreform in Mißkredit: innerhalb der Rubelzone zu einer Koordination der Geldpolitik zu kommen. Gerade der Westen hatte genau das immer wieder von Rußland gefordert. Rußlands Finanzminister Boris Fjodorow hatte lange vergeblich versucht, bei den Republiken zu erreichen, daß diese die Kredite der russischen Zentralbank an ihre Industrie als Staatsschulden anerkennen und entsprechend bedienen. Nach der Geldreform, in der der Rubel zur allein russischen Währung erklärt wurde, diktierte Rußland den anderen Mitgliedern der Rubelzone die Bedingungen.

Armenien, Usbekistan und Kasachstan haben sich darauf eingelassen und mit Rußland inzwischen einen Vertrag über eine gemeinsame „Rubelzone neuen Typs“ unterzeichnet. Die Vereinbarung, die noch von den Parlamenten der Unterzeichnerstaaten ratifiziert werden muß, sieht einen „schrittweisen Übergang“ zu einem gemeinsamen Währungssystem vor. In der Übergangsphase wollen die vier Unterzeichnerländer ihre Steuer- und Zollgesetze angleichen. Georgien und Turkmenien führten eigene Landeswährungen ein, während die Regierungen in Moldawien und Weißrußland diesen Schritt noch vorbereiten.

So könnte es Rußland sogar gelungen sein, wieder die Kontrolle über die Emission von Rubeln gewonnen zu haben. Der politische Preis allerdings ist hoch: In den vergangenen zwei Jahren hatte Rußland seine früheren Sowjetsatelliten fast überzeugt, daß es nicht einseitig Bedingungen bei der Auflösung alter Strukturen stellen, sondern über alle Probleme fair verhandeln würde. Jetzt – so scheint es – kommt der Großmachtanspruch wieder durch.