„Ich will das Denkmal retten, kein Remake“

■ Sonntag ist „Tag des offenen Denkmals“ / Im Gespräch: Manfred Fischer, Hamburgs erster Denkmalschützer

taz: Herr Fischer, Alfred Lichtwarks Bonmot von der „Freien und Abrißstadt Hamburg“ hält sich hartnäckig. Wie steht Hamburgs oberster Denkmalschützer dazu?

Manfred Fischer: Diesen Ausdruck hat Lichtwark um 1900 geprägt, als in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität und großer Strukturwandel in der Tat ganze Stadtteile etwa für die Speicherstadt abgerissen wurden, und er perpetuiert sich seitdem, wobei ich mich frage, warum die Hamburger das immer wieder zitieren. Ist das Masochismus? Ich benütze dieses Wort nie.

taz: Sie empfinden es also auch nicht mehr so?

Fischer: In der Zwischenzeit ist es für mich erledigt. Ich bin Ende des zwanzigsten Jahrhunderts tätig und habe eine ganz andere Sicht dieses Hamburgs und ich sehe auch eine ganz andere Breite des öffentlichen Interesses. Daß es in vielen Einzelfällen immer wieder zum Krach und Gnies kommt, damit müssen wir leben.

taz: Aber was kann das Denkmalschutzamt tatsächlich erreichen? Ist es nicht in dem ökonomischen Konflikt zwischen Investoren, leeren Staatskassen und Kulturinteressen immer der Verlierer?

Stolperdrähte im Vorfeld setzen

Fischer: Wir haben ein Denkmalschutzgesetz, das uns eine rechtliche Handhabe gibt. Dieses ist nicht das allerbeste, weil es einen sehr komplizierten Verwaltungsakt bei Unterschutzstellungen vorschreibt. Die Kulturbehörde überlegt jetzt, dieses Gesetz zu novellieren, um es handhabbarer zu machen. Aber mit dem Denkmalschutzgesetz von 1978 bekamen wir erstmals die Möglichkeit, den Auftrag der städtebaulichen Denkmalpflege zu erfüllen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wenn nun irgendein Gremium an einem Bebauungsplan sitzt, dann haben wir die Möglichkeit, in dem Plangebiet alles zu ermitteln, was uns aus denkmalpflegerischer Sicht sinnvoll erscheint, um diesen Bebauungsplan mit diesen Erkenntnissen zu füttern. Das ist eine unheimlich wichtige Arbeit, im Vorfeld die Stolperdrähte zu setzen, damit nachher nicht ständig die Leichen aus dem Keller hochkommen.

taz: Bedeutet das, daß man den Denkmalschutzbegriff heutzutage viel weiter faßt und ihn auf Gebäude ausdehnt, die nicht per Gesetz unter Schutz stehen?

Fischer: Wir ermitteln, was ein Baudenkmal ist, ob es nun schon geschützt ist oder nicht. Danach müssen wir die richtigen Instrumente einsetzen, um es zu schützen. Aber es ist nicht der Begriff, der sich gewandelt hat, sondern die Quantitäten. Hamburg hat heute rund 12.000 Kulturdenkmäler.

taz: Nehmen wir die Grindelhochhäuser, die nicht unter Schutz stehen, als Beispiel. Diese sind nach ihrer Bebauung entscheidend verändert worden und sollen jetzt wieder renoviert werden. Inwieweit greift Ihr Amt in diesen Prozeß ein?

Fischer: Der Senat hat klargestellt, daß die 50er Jahre in Hamburg wichtig sind. Und insbesondere in Bezug auf die Grindelhochhäuser hat er festgestellt, daß er selbstverständlich davon ausgeht, daß diese ein Denkmal sind. Das ist das Pfund in unserer Hand, mit dem wir wuchern. Mit dem Bezirk Eimsbüttel gibt es ein Jour Fix, wo alles, was anliegt, besprochen wird.

taz: Bei der Deckelung der Großmarkthallen von Bernhard Hermkes mit einer Mehrzweckhalle war der Senat nicht so sensibel.

Fischer: Das Ganze hat sich ja gottseidank als Windei herausgestellt und die Halle ist ja weg. Armut ist ja ein schöner Denkmalpfleger.

taz: Wie alt muß denn ein Haus sein, damit es ein Denkmal werden darf?

Fischer: Es sollte tunlichst einer abgeschlossenen Kulturepoche angehören, und da muß ungefähr eine Generation vergangen sein. Somit sind die 50er Jahre bis Anfang der 60er Jahre für uns die letzte abgeschlossene Kulturepoche.

taz: Läßt sich eine Erhaltung denn technisch immer realisieren?

Fischer: Wir haben da unheimliche Probleme, etwa mit der Wärmedämmung oder mit den DIN-Normen, die alles so unheimlich klobig werden lassen. Die 50er Jahre beispielsweise sind erheblich belastet mit einer großen Sorglosigkeit im Umgang mit Betonbau, und die 20er Jahre, dort wo sie formal am fortschrittlichsten zu sein scheinen, sind Bauzeiten gewesen, mit unglaublich gewagten Technologien, deren Folgen wir erste heute so richtig sehen. Da wurde natürlich auch geschludert, denn die Leute waren ja nicht erfahren genug. Vielleicht bedurfte es aber einfach dieser gewissen Lässigkeit, um etwas zu wagen.

Ein Köcher voller Möglichkeiten

taz: Wie wird, systematisch betrachtet, ein Gebäude zu einem Denkmal.

Fischer: Ersteinmal ist das Gebäude aus sich selbst heraus ein Denkmal. Im Gesetz steht, „...an dessen Erhalt ein öffentliches Interesse besteht.“ Und dieses Interesse zu definieren, muß an Kriterien entlang gemacht werden, an denen wir selbst vom Verwaltungsgericht überprüft werden können. Dann gibt es den Denkmalrat. Das ist eine Art Beratungsgremium mit zwölf Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen. Wann immer wir etwas unter Schutz stellen wollen, dann gibt dieses Gremium nach Anhörung der Eigentümer ein eigenes Votum ab.

taz: Gibt es eine Hausnummer, wieviel Gebäude pro Jahr im Schnitt unter Denkmalschutz gestellt werden?

Fischer: Bei der Schwerfälligkeit des Gesetzes kommen wir bei aller versammelter Anstrengung auf eine Hausnummer von 50 bis 60 pro Jahr. Gesamt sind es in Hamburg etwas über 1000.

taz: Nach welchen Maßstäben werden die 1,6 Millionen Mark Ihres Etats verteilt.

Fischer: Das Gesetz sagt, eine Maßnahme kann nur dann bezuschußt werden, wenn sie dem Eigentümer wirtschaftlich nicht zumutbar ist, und da sehen wir ganz genau hin. In Fällen, wo die wirtschaftliche Zumutbarkeit ganz miserabel ist, kann der Zuschuß allerdings bis zu 100 Prozent gehen. Liquide Investoren haben aber die Möglichkeit der steuerlichen Abschreibung. Das ist ein wichtiges Steuerungsinstrument, mit dem wir pro Jahr 60-70 Millionen Mark bewegen. Dann gibt es Städtebauförderungsmittel, Gelder, die man bei anderen Behörden bekommen kann, undsoweiter. Die Wirkungsmöglichkeiten des Denkmalschutzamtes nur an seinem Etat zu bemessen, ist somit einfach zu kurz gesprungen. Man hat ein ganzes Arsenal von Möglichkeiten im Köcher.

Hamburg ist schön, weil ungeschönt

taz: Wie oft verlieren Sie?

Fischer: Die Verluste von Baudenkmälern sind relativ gering in Hamburg. Aber es gibt natürlich auch immer wieder den Fall, wo wir verlieren, vor allem, wenn der bauphysikalische Zustand eines Gebäudes miserabel ist, denn ich will ja das Denkmal retten und nicht irgendein Remake von ihm.

taz: Hat sich das Gefühl für Denkmalpflege in den letzten Jahren verstärkt?

Fischer: Unbedingt. Nur bei einem Punkt kann ich alle meine Politiker eigentlich nur in den Sack tun und beuteln. Es ist bei manchen unglaublich schwer, daß sie diesen fürchterlichen Ressortegoismus an den Nagel hängen. Und dieses ewige Argument des Investitonshindernisses, Denkmalpflege ist kein Investitionshindernis. Es wurden Gebäude, etwa in Ottensen, sehr innovativ umgestaltet. Oder die Kontorhäuser in der Innenstadt, wo es gelungen ist, den Begriff des Kontorhauses neu ins Bewußtsein zu bringen. Vielen Politkern muß man allerdings klar machen, daß nicht nur Schönheit, sondern auch die Geschichtlichkeit einer Stadt erhalten werden muß. Das gilt eben auch für Dinge, die unheimlich häßlich sein können. Hamburg ist eine schöne Stadt, gerade, weil sie nicht geschönt ist.

taz: Wie soll die novellierte Fassung des Denkmalschutzgesetzes aussehen?

Fischer: Die Novelle ist von der Systematik her das ipsa lege Prinzip, d.h. es genügt zu sagen, daß etwas ein Baudenkmal ist, dann ist es per se geschützt. Alles andere ist erst in einer zweiten Ebene von Bedeutung.

taz: Ist durch die Steb mehr ein Scharnier zwischen Kultur- und Baubehörde entstanden oder gibt es eher einen Koch mehr?

Fischer: Der gesamte planerische Bereich hat sich einfach auf die Steb rübergetan. Die etwas individuelle, nicht von Friktionen freie Zusammenarbeit mit dem leitenden Beamten ist jetzt von der Baubehörde zur Steb gewechselt.

taz: Sie meinen Egbert Kossak?

Fischer: Ja. Der Kollege Egbert Kossak ist ein kreativer Mann, er ist sehr innovationsfreudig, er ist dynamisch, qualitätsbewußt, sprunghaft und unzuverlässig. Wir wünschen uns in Einzelfällen da dann einen Partner, der ein wenig mehr allgemeine Kollegialität kennt.

Wir sind nicht im Disneyland

taz: Wie diskutieren Sie Anträge von Eigentümern, denkmalgeschütztes Gebäude verändern zu dürfen? Ein augenfälliges Beispiel ist vielleicht das Kontorhaus Ecke Zippelhaus/Neue Grönigerstraße?

Fischer: Dieses Gebäude ist ein Gründerzeitbau, der in seiner malerischen Gruppierung bewußt Altstädtisches wiederaufnehmen sollte, dann ist er in den 20er Jahren verändert worden, dann kam ein Bombenschaden dazu, so daß ganz viele verschiedene Stilformen in einem Gebäude vorhanden sind. Es stellte sich dann die Zielfrage, wollen wir das gründerzeitliche Ideal wiederherstellen, als sei keine Geschichte über das Haus gegangen? Und dann haben wir gesagt, wir wagen es jetzt einfach einmal, das Ding weiterzuschreiben und an der Stelle einfach mal eine ganz neue Sprache hinzulegen.

taz: Das ist derselbe Ansatz, wie bei den Zeisehallen .

Fischer: Ja, aber verdammt nochmal, wir sind doch froh über wirklich gute neue Architektur. Ich habe dem Spitzenkandidaten der anderen Partei, meinem kurzbeiniggeratenen Namensvetter, neulich in Volksdorf am Bahnhof, gesagt: „Was macht ihr für einen Scheiß mit dem Alsterpavillon. Ersteinmal macht ihr den 50er-Jahre-Bau madig und dann sagt ihr auch noch, man könnte die Stelle nur retten, wenn man irgendeinen alten Pavillon nachbaut.“ Wir sind doch keine Disneyland-Produzenten. Diese seltsame Schizophrenie, die eigentlich in der Unfähigkeit zur Bewältigung von Geschichte begründet liegt, äußert sich in einer ganz seltsamen Zukunftsangst bis hinein in die Architektenschaft. Da frage ich mich, haben wir jetzt den Bezugshorizont Mittelalter? Wollen wir den Dom wiederaufbauen? In diese Schizophrenie zu kommen, nur noch Remakes machen zu wollen, da sehe ich die entscheidende Gefahr für die Denkmalpflege.

Fragen: Till Briegleb und Marco Carini