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„Wir zeigen Forgotten People“

■ Am Donnerstag beginnt die Hammoniale / Eine Gespräch mit den Organisatorinnen

taz: Wenn ich das Programm der diesjährigen Hammoniale durchsehe, vermittelt es sich mir ersteinmal nicht, weswegen es noch den Titel „Festival der Frauen“ trägt.

Isabella Vértes: Das Festival ist 1986 entstanden aus einer Produktiongemeinschaft von ganz vielen Künstlerinnen. Aus dieser Geschichte erklärt sich auch der Name. Das Konzept des Festivals ist seit 1986, daß es zum einen ein künstlerisches Plädoyer für die Gleichberechtigung der Geschlechter und andererseits für die Gleichberechtigung von Kulturen ist. Das sind immer unsere beiden gleichberechtigten Grundpfeiler gewesen. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs hat dann dazu geführt, daß sich für uns der Schwerpunkt der osteuropäischen Länder ergeben hat. Die politsche Realität in diesen Ländern ist aber, daß Frauen und Männer gemeinsam ihre Unabhängigkeit erkämpft haben, deswegen macht es keinen Sinn zu sagen, wir zeigen jetzt aber nur die Frauen. Dennoch zeigen wir in vielen Bereichen vordringlich die Frauen, etwa in der Literaturreihe. Aber primär geht es darum, hier diese Kulturen vorzustellen. Und die Frage nach der Menge der männlichen Künstler? Es geht ja nicht darum, etwas gegen Männer zu machen, sondern gemeinsam für etwas zu kämpfen.

taz: Ich stoße mich nicht primär an der Quantität, sondern, daß es sich mir aus dem Programm heraus nicht erklärt, warum dieses Festival nicht auch „Baltische Musiktage“ mit Nebenprogramm heißen könnte? Die exponierte Präsentation weiblicher Ausdrucksformen fehlt mir.

Caroline Rehberg: Es ist ganz besonders die Stimme der Frauen, die wir zeigen. Und es ist ja gerade in der Literatur der Fall, daß dort Frauen als erstes ihre Stimme erheben und deswegen haben wir ganz bewußt eine ambitionierte Literaturreihe gemacht, die sich fast ausschließlich Autorinnen widmet.

Aila Gothoni: Die erste Lyrik Estlands kam von Frauen. Und wir haben einen großen Schwerpunkt Chorkultur, weil das im ganzen finnischen Meerbusen eine der wichtigsten Traditionen ist. Diese ganze Chorkultur ist nur möglich gewesen über Frauen, die die alten Lieder und Gedichte über Jahrhunderte überliefert haben. Ohne die Frauen hätten die Balten garnicht mehr diese Identität, aus der sie jetzt ihre Kraft ziehen.

Vértes: Auch die Suche nach neuen Ausdrucksformen findet statt, etwa mit Donnisulana, einem korsischen Frauenquintett, das sich die reine Männerdomäne der Liebes- und Leidgesänge zu eigen gemacht hat. Die sind sehr auf der Suche nach neuen Klängen.

taz: Warum hat das Festival so einen vehementen Musikschwerpunkt?

Vértes: Die baltischen Länder, die so lange so unterdrückt waren und wo sogar die eigene Sprache verboten war, die äußern sich eben vordringlich über die Musik.

Christiane Schultze-Jena: Und bei den Roma und Sinti erklärt es sich auch aus der kaum vorhandenen und praktizierten Schriftsprache. Das was dort über die Schrift gelaufen ist, spiegelt sich in zwei zentralen Veranstaltungen wieder. In dem Musiktheaterstück über die polnische Roma-Dichterin „Papusza“ und in der Lesung mit der österreichischen Roma-Schriftstellerin Ceija Stoika.

Rehberg: Papusza ist ja erst von ihrem Volk ausgestoßen worden, weil es gegen die Regeln war, daß jemand schreiben lernt und dann auch noch ein Frau. Später ist sie dann wiederaufgenommen worden, weil die Roma durch ihre Bücher Unterstützung erfuhren. Die Musik ist aber auch das beste Mittel, die Wurzeln der eigenen Tradition zu erhalten, die in den baltischen Ländern ja bis in vorchristliche Zeit zurückreichen. Veljo Tormis, der große Chorkomponist, den wir mit dem Zyklus „Forgotten People“ vorstellen, entwickelt aus den Rudimenten der traditionellen musikalischen Sprache, die er bis nach Sibieren aufspürte, eine neue, die der Gegenwart entspricht.

taz: War es ein Kriterium bei der Auswahl, daß die Ensembles sich mit der Erneuerung der Tradition beschäftigen müssen?

Gothoni: Nein, es ist einfach sehr typisch für diese Chöre und das war natürlich auch der Grund sie einzuladen. Diese Chöre sind etwas ganz anderes, als was man sich unter einem Chor vorstellt. Etwa bei dem Tapiola Kinderchor ist es so, daß zeitgenössische Komponisten mit dem Chor Werke entwickeln. Damit eröffnet sich ein ganz neuer Weg für die Kinderchorkultur. Mit Domspatzen oder Sängerknaben hat das nichts zu tun. Sie betreiben eine sehr innovative und gleichzeitig natürliche Art des Singens.

Vértes: Natürlich gibt es aber auch wichtige andere Veranstaltungen. Es gibt zwei Theaterstücke, dann das von Hella Wuolijoki dramatisiert estnische Kriegslied, das sie das „pazifistischte Kriegslied der Welt“ nennt. Dann die traditionellen Austellungen. Stephen Taylor Woodrow hat hier auf K3 einen riesigen Tempel aufgebaut, in dem sich ein kompletter Supermarkt befindet, inklusive Kassiererin, nur alles ist in kupferoxyd-grün. Und im BAT-Foyer wird es Neue Baltische Kunst geben.

Gothoni: Es geht uns ja auch bei klassischen Dingen hauptsächlich um das Inhaltliche.

Vértes: Am deutlichsten wird das bei dem Abschlußkonzert mit Schostakowitsch' 13. Sinfonie, die Bezug nimmt auf Jewtuschenkos Gedicht, das den Massenmord an ukrainischen Juden in der Schlucht von Babi Jar zum Thema hat .

taz: Warum gerade Baltikum?

Vértes: Diese Länder waren uns einmal ganz nahe, sowohl wirtschaftlich, Riga war Hansestadt, als auch kulturell. Und wir empfanden es als Notwendigkeit, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs uns diese Einflüsse wieder zurückzuholen.

Rehberg: Es ist uns wichtig, daß der Westen sich auch wieder beginnt, dem Osten anzunähern.

Gothoni: Aber eben nicht im Überstülpen unserer westlichen Kultur, sondern in der Umkehrung solcher Prozeße. Wir wollen nicht die alte Unterdrückungsgeschichte wiederholen.

taz: Wie kam es zu der Kombination mit Roma und Sinti-Kultur?

Rehberg: Wie auch für das Baltikum kann man dort auch nicht sagen es gibt die Roma- und Sinti-Kultur. In der Mischung aus ganz vielen verschiedenen Kulturen sind sie sich sehr ähnlich. Dadurch ist es ein entsprechender Kontrapunkt. An beiden kann man sehen, daß politische und kulturelle Grenzen nicht dieselben sind.

Gothoni: Auch entgegen dem negativen Bild, was hier von Zigeunern herrscht, zu zeigen, daß da ganz alte kulturelle Traditionen dahinterstehen.

Rehberg: Veljo Tormis sagt, daß es auch in der Kultur eine Ökologie gibt und ein eine Kulturlandschaft durcheinander kommt, wenn die kleinen Kulturen aussterben. In diesem Sinne stellen wir, wie auch Tormes Konzert heißt, „Forgotten People“ vor.

Fragen: Till Briegle

Die Hammoniale, das Festival der Frauen, läuft dieses Jahr außerplanmäßig. Vom 16. September bis zum 1. Oktober werden die Kulturen der baltischen Staaten, Finnlands und der Roma und Sinti vorgestellt. Programminformationen und Kartenvorbestellungen unter:

Tel: 040/2713317

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