Die Stadt - eine antiökologische Veranstaltung?

■ Ein Plädoyer für die Rückkehr zu Urbanität und Gemeinsinn / Ralf Fücks zu einem möglichen Leitmotiv „Stadt am Fluß“

Wir hoffen auf ein streitbares, aber konstruktives Gespräch zwischen BürgerInnen, Politik, Verwaltung, Bauleuten und Investoren auf diesem Forum — in der Hoffnung, daß daraus die Idee der Stadt als ein kollektives Produkt ihrer BewohnerInnen gestärkt hervorgeht: ein Produkt, an dem Generation auf Generation arbeitet, das geerbt und weitervererbt wird, dem sich deshalb auch alle verpflichtet fühlen sollten, die in dieser Stadt leben und ihre Entwicklung prägen.

Kurz: es geht um die Idee von einem Gemeinwesen, das mehr ist als die Summe der Partikularinteressen, mehr als eine Anlagezone für kapitalstarke Investoren und mehr als eine Ansammlung von egoistischen Stadtvierteln, die versuchen, sich gegen die Probleme der Gesamtstadt möglichst abzuschirmen.

Das ist wohl eine ziemlich altmodische Sichtweise auf eine Stadt. Aber diese Sicht hat die Städte über die Jahrhunderte groß gemacht, ihr verdanken sie die Reste ihrer baulichen Schönheit und ihres Charakters.

„Es braucht Akteure, die sich der Stadt verbunden fühlen“

Dafür brauchte und braucht es gesellschaftliche Akteure, die sich der Tradition und Zukunft der Stadt verbunden fühlen: Bauherren und Architekten, Planer und Politiker, und eine wache Öffentlichkeit, die die Entwicklung ihrer Stadt begleitet und notfalls korrigierend eingreift.

Diese Rückbindung der prägenden Akteure der Stadt an Geschichte und Gemeinwohl war einfacher, solange das Bildungs- und Besitzbürgertum durch Herkunft und Eigentum an diesen Ort gebunden war. Heute ist die Wirtschaft weitgehend internationalisiert. Gleichzeitig hat die Mobilität der Menschen enorm zu-, ihre Standortbindung abgenommen.

Schließlich ist die Stadt durch ihre Größenentwicklung anonymer geworden. Die Zerstörungen des Krieges und der an unmittelbaren Bedürfnissen des Wohnens, des Handels und der Industrie orientierte Wiederaufbau haben den Sinn für Stadtgeschichte und Stadtgestaltung in den Hintergrund gedrängt.

Außerdem hat die enorme Wertsteigerung von Grund und Boden auch den Verwertungsdruck stark erhöht und läßt kaum noch Raum für ökologische oder soziale Rücksichtnahme.

Dazu treiben Finanznot und gegenseitige Standortkonkurrenz die Städte zu einem Ausverkauf ihrer natürlichen und baulichen Ressourcen.

Wo ist die Stadt, die heute noch den Spatz in der Hand wegen der Taube auf dem Dach fliegen läßt? Die einen kurzfristigen ökonomischen Vorteil zugunsten einer langfristigen Entwicklungschance ausschlägt?

Diese verschiedenartigen Ursachen haben eine gemeinsame Wirkung: es gibt heute keine allgemein-verbindlichen Leitbilder der Stadtentwicklung mehr, keine aus Tradition gewonnene und an der Zukunftssicherung orientierte Vorstellung von „Gemeinwohl“.

Das geht an die Wurzeln der Lebensfähigkeit der Städte. Gesellschaftliche Gebilde dieser Größenordnung auf so engem Raum sind nicht allein durch Gesetze, Politik und Bürokratie zusammenzuhalten. Sie sind auf Selbstorganisation, Selbstverantwortung und Gemeinsinn angewiesen, wenn sie nicht aus dem Ruder laufen sollen.

Ein neuer Konsens über Grundsätze der Stadtentwicklung wird nicht durch wissenschaftliche Definition oder autoritäre Vorgaben zu erreichen sein, sondern nur durch das Herausmendeln von Übereinkünften aus dem vielstimmigen Chor der Meinungen und Interessen.

Genau das war über die Jahrhunderte hinweg Stärke und Triebkraft der Stadtentwicklung: die Stadt als ein sich selbst regulierendes, vitales Subjekt; eine nach Innen und Außen streitbare Gemeinschaft selbstbewußter Bürger; ein Ort verdichteter Öffentlichkeit; ein multikultureller Schmelztiegel; ein Laboratorium kultureller, wissenschaftlicher, technischer und politischer Erfindungen.

Inzwischen drohen die Städte auseinanderzufallen in voneinander abgeschottete Stadtbezirke und soziale Milieus. Sie sprengen ihre naturräumlichen Grenzen und ufern als Siedlungsbrei in die Landschaft. Sie können ihre verschiedenen Lebensäußerungen - Wohnen, Arbeiten, Kultur, Naherholung - nicht mehr integrieren, erst recht nicht die beängstigend wachsende Verkehrslawine, die sich durch die Stadt ergießt und sie buchstäblich ungenießbar macht.

Die „funktionalistische“ Stadtplanung mit ihrer räumlichen Separierung dieser verschiedenen Lebensbereiche hat dazu das Ihre beigetragen. Heute hängt viel davon ab, ob es gelingt, diese Fehlentwicklung umzukehren und die lebendige Mixtur von Wohnen, Gewerbe, Einkaufen und Kultur wiederherzustellen, die Urbanität erzeugt.

Diese Umkehr setzt allerdings auch eine größere gegenseitige Toleranz von Wohnbevölkerung, Betrieben, Sportvereinen, Kneipen etc. voraus. Man kann nicht in der Stadt leben, ihre besonderen Vorteile genießen wollen und gleichzeitig Ruhebedürfnisse wie in der ländlichen Idylle reklamieren.

„Rückkehr zur Urbanität“ - das mag manchen im Raum befremdlich erscheinen gerade aus dem Mund eines „grünen“ Stadtentwicklungs-Senators. Schließlich haben wir vor nicht allzu langer Zeit noch darüber disku

Ein Idyll jeder Hafenstadt: die Speicherstadt. Foto: Katja Heddinga

tiert, ob die Stadt nicht per se eine antiökologische Veranstaltung ist. Das ist auch heute noch eine berechtigte Frage angesichts des ungeheuren Energie- und Wasserverbrauchs der Städte, ihrer Abfallberge und ihres Verkehrschaos.

Aber es ist inzwischen allzu deutlich geworden, daß die Verdörflichung der Städte und die Verstädterung der Dörfer beiden nicht gut getan hat - auch nicht aus ökologischer Sicht.

Schon das zentrale Problem des Flächenfrasses gebietet, zum Programm des verdichteten Bauens zurückzukehren. Das gilt für den Wohnungsbau wie für die Gewerbeflächennutzung. Wir müssen wieder sparsamer mit dem knappen Gut Fläche umgehen, sie intensiver nutzen. Das heißt nicht Zubetonieren jeder Ökonische oder jeder Gartenzeile in der Stadt. Das heißt auch nicht Rückkehr zu Hochhaussiedlungen nach dem Muster der 60er Jahre. Die am dichtesten bewohnten und genutzten Stadtteile in Bremen sind gerade nicht die Trabantensiedlungen des sozialen Wohnungsbaus - Stichwort Osterholz-Tenever -, sondern die in ihrer städtebaulichen Struktur noch relativ intakten innerstädti

schen Quartiere im Ostertor/ Steintor oder in der Neustadt, die durch das „Bremer Haus“ geprägt sind.

Genau diese Stadtteile mit ihrem lebendigen sozialen Mix und ihren kleinräumigen Vernetzungen haben sich auch trotz hohen Ausländeranteils bisher als relativ resistent gegen rechtsradikaleund fremdenfeindlichen Strömungen erwiesen. Auch daraus kann gelernt werden.

Diese Erfahrung spricht auch dafür, am „polyzentrischen“ Stadtmodell festzuhalten, in dem die City mit lebendigen „Nebenzentren“ in den Stadtbezirken konkurriert, statt alle städtebaulichen Investitionen auf die Innenstadt zu konzentrieren.

Es gibt inzwischen viele Ansätze, die Stadt selbst umweltverträglicher zu machen:

-die Sanierung und Reaktivierung alter Industrie- und Hafenflächen

-der Verzicht auf Regenwasserkanalisation in Neubaugebieten und die Förderung von Brauchwasserkreisläufen im Gewerbe und privaten Haushalten

-der Ausbau von Fern- und Nahwärmenetzen, die Förderung von Solar- und Windenergieanlagen oder einer effektiven Wärme

dämmung von Gebäuden

-die Verbesserung der Abwasserreinigung

-die Verkehrsberuhigung von Wohnvierteln, die Eindämmung des Autoverkehrs in den Innenstädten oder Experimente wie das Bremer Modellprojekt „autofreies Wohnen“ im Neubaugebiet Hollergrund.

Es spricht sich langsam, manchmal noch zu langsam herum, daß diese ökologischen Ansätze auch die Attraktivität der Stadt für Bewohner und Investoren erhöhen. Sie gehören jedenfalls zum Kernbestand jeder Leitbild-Diskussion für die künftige Stadtentwicklung. Genau wie die Frage: Stadtentwicklung zwischen Metropolenwahn und neuer Bescheidenheit.

Wenn ich es richtig deute, dann schwankt Bremen seit einigen Jahren zwischen dem Wunsch, doch noch in einer verzweifelten Aufholjagd den Anschluß an die Metropolen des Geldes und der Kultur zu schaffen — und dem resignierten Bewußtsein, daß dieser Zug abgefahren ist und Bremen einen eigenständigen Weg zwischen Weltstadt und Provinz suchen muß.

Vielleicht kann das Zentral

thema dieses Forums „Stadt am Fluß“ ein Leitmotiv sein, an dem sich nicht nur die Stadteintwicklung orientieren kann, sondern auch ein neues, zeitgemäßes Selbstbewußtsein Bremens zwischen Tradition und Moderne sich formen kann.

Denn die Weser und die Häfen prägen nicht nur die räumliche, bauliche, verkehrliche und wirtschaftliche Geschchte dieser Stadt — sie sind auch die zentralen Entwicklungsflächen für ihre Zukunft.

„Stadt am Fluß“ — das ist gleichzeitig ein ökonomisches, ein städtebauliches, ein ästhetisches und ein touristisches Programm. Ökonomisch muß Bremen wie andere traditionelle Hafenstädte auch den Strukturwandel nachvollziehen, der zu Funktionsverlusten alter Hafen- und Industriereviere geführt hat. Hier liegen auch die attraktivsten Flächen für zukünftige Investitionen in Arbeiten, Wohnen und Freizeitgestaltung am Wasser. Der Teerhof und das Lürssen-Gelände mit dem Vegesacker Hafen sind nur zwei von vielen Beispielen dafür. Ob sie besonders gelungen sind, darüber kann trefflich gestritten werden.

Gleichzeitig haben die Grünzonen und Kleingartengebiete am Ufer von Weser, Lesum und Wümme einen hohen Stellenwert für die Naherholung der Bevölkerung. An der Weser liegen nicht nur große Industriebetriebe, Kraftwerke und Hafenanlagen, sondern auch eine ganze Kette von kulturellen Anziehungspunkten: die Kunsthalle und das neue Museum Weserburg, das Goethetheater und die Shakespeare-Company, das Bürgerhaus Weserterrassen, das „Lichthaus“ auf dem AG-WEser-Gelände und das KITO in Vegesack sind alle keinen Steinwurf vom Weserufer entfernt.

„Stadt am Fluß“ bedeutet kurzgefaßt: sich auf all diese Qualitäten und Potentiale besinnen, sie ausbauen, miteinander vernetzen, städtebauliche Trennlinien beseitigen, die Stadt wieder durchgängig mit dem Fluß verbinden. Es geht nicht um ein fertiges Konzept, sondern um einen zielbewußten Prozeß.