Kitsch: eine Laune

■ Ein Gespräch über Kitsch in der Mode mit Joachim Schielicke und Thomas Greis

taz: Mode und Kitsch – was fällt Ihnen dazu ein?

Thomas Greis: Mir fällt zuerst ein, daß beides Spaß macht, da habe ich keinerlei Berührungsängste. Beides ist für Menschen wichtig. Kitsch ist vielleicht das lustbringende Zubrot zum alltäglichen Leben. Das wichtigste an Kitsch ist aber das vorgeblich Echte; es wird ein Wert suggeriert, der nicht vorhanden ist.

Joachim Schielicke: Es ist das scheinbar Unnütze, das wir alle brauchen. Vor allem den Spaß, den wir daran haben – dieser Todernst der kommerziellen Vermarktung von Mode hängt einem ja mal zum Hals heraus. Und da sucht man eben eine Alternative, z.B. Kitsch.

Wie sieht Modekitsch aus?

Th. Greis: Kleidungskitsch ist für mich, wenn ich das Gefühl habe, daß die Klamotten, die da gemacht werden, nichts mit der heutigen Zeit und den Menschen zu tun haben. Übelster Kitsch sind für mich beispielsweise Cocktailkleider, in denen Frauen wie verkleidete Barbiepuppen wirken. Diese Ganzkörpermasken, das ist Kitsch. Aber ich denke, wenn diese Frauen das brauchen, um ihre vielleicht nicht vorhandene Persönlichkeit zu tarnen, ist es auch wieder legitim. Es ist Kitsch – das heißt aber nicht, daß ich dies nicht akzeptiere. Ich könnte solche Mode nur nie machen.

Welche Formen sind in der Mode Kitsch?

Th. Greis: Ich denke, es geht nicht nur um die bloße Form. Zum Beispiel der Grunch-Look, der zur Zeit in ist – wenn solche Formen so sinnentleert zitiert werden, dann ist es Kitsch. Ganz konkret: Wenn die Leute, die sich vor zwei Jahren noch als Yuppies gegeben haben, heute irgendwelche Flower-Power-Westen tragen und sich Ketten mit Symbolen aus der Hippiezeit umhängen, nur weil das angesagt ist und nicht, weil es ihrem Lebensgefühl entspricht, dann ist es Kitsch.

Aber greift die Modebranche nicht permanent Mode der vergangenen Zeiten wieder auf – genauso sinnentleert?

Th. Greis: Aber die Modebranche kann doch nicht besser sein als die herrschende Geisteshaltung in der Gesellschaft! Und wenn eine Gesellschaft für das Jetzt und die Zukunft keine Ideen hat, wie soll dann die Mode, die die Gesellschaft immer nur wiedergeben oder reflektieren kann, dafür neue Ausdrücke finden?

J. Schielicke: Mode lebt wahrscheinlich immer von Zitaten – es ist nur die Frage, wie man Zitate in eine Zeit, in der man kritisch und mit Lust lebt, übersetzt. Blanke Zitate sind lächerlich. Aber wenn jemand solche Zitate pur trägt und lebt, heißt das auch, daß die betreffende Person nur ein Zitat sein kann und irgendwie versucht, aus dieser Welt zu fliehen.

Gesellschaftskritiker sehen Kitsch als Ausdruck der kapitalistischen Massengesellschaft, in der die Menschen mit billigen Imitaten ersatzbefriedigt werden – für kurze Zeit. Dann muß wieder ein neues Produkt her...

J. Schielicke: Kitsch ist ja eigentlich die preiswerte Alternative der sogenannten Kunst. Eigentlich waren Kitschprodukte immer Plagiate, mehr oder weniger schlecht. Aber sie sind gebraucht worden, weil sie bezahlbar waren für 'ne Masse von Menschen. Damit gab es die Chance, an einem scheinbaren gesellschaftlichen Wohlstand teilzuhaben – wie auch immer, egal in welcher Preisklasse. Aber das ist ein Irrtum; Kitsch hat außerdem nichts mit kultureller Bildung oder einer sogenannten Allgemeinkultur zu tun. Es geht nur darum, den Markt ganz schnell mit Massenprodukten zu sättigen. Der ganze Dino-Kult zur Zeit ist ja auch nichts anderes als Kitsch, absoluter Kitsch. Es wird etwas vermarktet, was alle haben wollen. Kitsch – das sind Massenprodukte ohne künstlerischen Anspruch

...und ohne Inhalt...

J. Schielicke: Meistens ja. Oder es wird ein Inhalt vermittelt, der keine Basis hat.

Aber irgendwie hat man ihn doch, den Hang zu diesen scheinbar billigen und oberflächlichen Sachen. Wenn man sich das erhalten kann, kann ich nur sagen: zum Glück. Nichts ist schlimmer, als nur der hehren Kunst zu leben.

Th. Greis: Ich glaube, man braucht Kitsch auch, um den Anspruch an bestimmte Dinge im Leben wieder menschlich zu machen.

Tragen Sie manchmal kitschige Kleidung? Ertragen Sie das, haben Sie manchmal Lust darauf?

J. Schielicke: Ich wüßte eigentlich nicht. Aber manchmal passiert das schon, daß man etwas kauft – und dann hängt das Stück im Schrank, und man gruselt sich davor. Aber Kitsch zu tragen hat auch mit Alter und Erfahrung zu tun. Ich glaube, daß man es unbedingt ausleben muß, sich schrille Dinge „anzutun“ – sonst wird man sie nie los. Irgendwann würde man dann völlig sinnentleerten Zitaten hinterherrennen.

Was haben Sie ausgelebt?

J. Schielicke: Die 70er Jahre, diese bekloppten Schlaghosen und diese bunten Hemden, all das...

Th. Greis: Ich trug Broschen von meiner Oma – es war wunderbar.

Würden Sie jemals kitschige Kleidung entwerfen?

Th. Greis: Nee. Wir haben ein anderes Anliegen, wir produzieren nach wie vor in Deutschland und müssen hochwertig produzieren, weil die Arbeitskraft teuer ist. Da muß man langlebige Sachen fertigen und keine Saison- oder Wegwerfklamotten.

Ist Kitsch auch etwas, an dem man sich nach einem Boom völlig satt gesehen hat? Das, was gerade out ist und plötzlich fast peinlich wirkt?

J. Schielicke: Na, es ist in diesen schnellebigen Industriegesellschaften eher so, daß man die Zeit gar nicht hat, zu überlegen, ob das oder das nun Kitsch ist oder Kunst, es ist einfach out. Man hat auch keine Zeit mehr, zu reflektieren, was an kulturellen Werten übrigbleibt. Das kann man erst viel später sagen, vielleicht ist es aber auch schon vergessen.

Th. Greis: Da gibt es ja auch herrliche Beispiele in der Literatur. Vulpius, der Schwager von Goethe, hatte mit seinen Mantel- und-Degen-Romanen eine viel höhere Auflage als Goethe. Oder auch Rosamunde Pilcher, diese Bestsellerautorin aus England...

J. Schielicke: ...zum Teil auch lesenswert. Man ist einfach nicht frei davon, sich dem auch hinzugeben.

Th. Greis: Ja, das sind alles Dinge, von denen man weiß, daß sie Kitsch sind – weil sie nicht echt sind, sie sind nicht problembelastet. Aber sie haben insofern mit dem Heute zu tun, weil man sich in eine andere Welt flüchten kann, vielleicht auch seinen Spaß dran hat. Ich denke, man sollte Kitsch nicht immer so negativ belegen.

J. Schielicke: Sicher, es ist eine Art Flucht aus der Realität...

Th. Greis: ...ja, es ist der Antipode zur versachlichten Welt und zur problematischen Lebensform.

J. Schielicke: Ich denke, daß jeder ab und an das Leichtverdauliche braucht.

Aber ist gibt Leute, die bewußt und ironisch Kitsch tragen, also nicht nur kompensieren. Andere dagegen tragen Kitsch, ohne sich dessen bewußt zu sein.

Th. Greis: Ja, sicher, aber das hat mit dem Intellekt zu tun, oder mit dem Umfeld...

J. Schielicke: Nun ja, da ist die Frage, inwieweit ich mich unbedingt anpassen muß, geschäftlich, oder ob ich mir den Luxus leisten kann, Ich zu sein, und das auch auslebe. Diese Chance haben wohl die wenigsten, vielleicht nur diejenigen in den sogenannten intellektuellen Berufen – und nur die können es sich leisten, mit Kitsch ironisch, auch lustvoll umzugehen. Die meisten Leute nehmen ihn wohl aber ernst, sind sich des Kitschigen nicht bewußt.

Aber vielleicht kann man darüber gar nicht so tiefgründig nachdenken. Kitsch ist eine Laune! Nichts ist schlimmer, als Kitsch ironisch zu sehen, gleichzeitig aber wieder ernst zu nehmen, weil man sich äußerlich in Szene setzen will.

Hat Kitsch nicht immer launenhaft zwei Seiten?

J. Schielicke: Doch. Verrückterweise kann ich mit diesen scheinbar kitschigen Dingen unheimlich kultiviert umgehen, zum Beispiel mit Spitzen – die kann man auch schön verarbeiten. Ich habe immer die Chance, mit den Dingen so oder so umzugehen.

Kitschelemente können also zusammen mit einer bestimmten Form Klasse gewinnen?

J. Schielicke: Ja, sie können einen ausgesprochen kultivierten Ausdruck finden...

Th. Greis: ...auch einen völlig neuen und zeitgemäßen Ausdruck. Das Gespräch führte

Petra Brändle